1971

Walter Reinhardt ist nach Salzgitter zurückgekehrt und arbeitet viel an seiner Kunst. Er ist auf Jobsuche, versucht sich darüber klarzuwerden, wie es weitergehen soll – Taxifahren, Seefahrt, eigener Laden ... ob in der Malerei seine Zukunft liegen kann? Depressionen plagen ihn, erfühlt sich zeitweilig wie gelähmt. Die beste Lösung scheint noch der oft überlegte Schritt in die Selbstständigkeit. Ende des Jahres arbeitet Reinhardt an der Fertigstellung von Bildern für eine Ausstellung. Sein Stempel, mit denen er später die meisten Arbeiten markieren wird, taucht dabei häufig auf.

3.1.71
Man muss die Psyche des anderen ganz unbefangen auf sich wirken lassen. Dann kommt man ihm innerlich nahe, sodass die Kraft der eigenen Person durch die geöffnete Pforte Einfluss auf den anderen gewinnt. Sieht man etwas Gutes, so ahme man es nach. Und sieht man etwas Schlechtes, Böses an sich, so lege man es ab.

Um das Gute+Böse zu erkennen, muss ich darüber nachdenken, wo das Gute und wo das Schlechte ist. Tut man täglich, stündlich etc., so hält es die Dinge im Fluss und man muss sich immer dem anpassen. Das Altwerden ist auch ein  moralischer und ethischer Erstarrungsprozess.

Ab Januar 1971 folgt das Mantra nun fast täglich, es finden sich auch einige Porträts.

30.1.71
Im Grunde kommt es nur noch darauf an, weg zu kommen, einen Vorrat an AN1 und weg, die Flucht. Es ist sehr schwierig, in den Osten zu kommen. Mir tut nur Mutti leid. Es tut immer einem  jemand leid.

(Abbildung S. 124, Rohrschachbild: Immer noch an 3 Stellen verbunden)

Ich glaube, ich werde langsam schizophren, es kommen immer mehr Anlässe zusammen, und dann eines Tages als ende der imposante Überrest einer großen Hoffnung. Daher auch dieses Streben nach der pedantischen bürgerlichen Idylle mit Segelboot und Haus. ……. auch ein Janus-Kopf ... Den Urlaub brauche ich und dann werde ich beruhigt meiner endgültigen Vernichtung entgegensehen.

4.2.71
Überlegung des Anfanges
Ist es ein Fehler, das Ende zu bedenken? Das Zeichen ist Ende und Anfang aller Bewegung. Der Tod ist endgültig und sinnlos wie das Leben.

8.2.71
Steinabreibungen auf großen Gipsuntergründen etc.
Dann kannst du machen was du willst.
Große Bilder mit den Fingern malen, von 3x5 Metern. Blinddrucke nach dem Prinzip der Steinabreibung. Masken schnitzen und bemalen. Goldfoliendekor!

29.3.71
Die Farben und Ornamente Afrikas und Asien und Australiens verwenden

24.6.71
Bei allen Bemühungen, so ein Leben zu begreifen, kommt man doch nur an den Näherungswert. Daran ändert nicht der Tod noch etwas, was außer Leben und Tod steht. Der Philosoph, der es in ein Schema zu pressen versucht und der Heilige, der es mit Gebet und Vorsehungen betreibt, sie alle sind den fehlenden 0/00000000000 machtlos gegenüber.
Denn es gibt Konzentrationen von Erkennen, die in ihrer äußeren Extraktion durch eben diese Masse müssen, die das Ganze ausmacht. Vor allem erkennbar ist die Unfähigkeit daran, dass man sich mitteilen will. Es ist symbolisch, dass man den fehlenden Teil aussprechen will.

27.6.71
Malen von Gemütszuständen, Lebensumständen
Stimmungslust + Depressionen. Darstellung durch Format + Farbe

Seefahrt
Geld sparen                                       unterordnen
Mädchen                                            anpassen
fremde Straßen                                 gezwungener Umgang mit Menschen
neues Sehen                          
Geruch
Regelmäßiges Üben?
Anpassung an minimale Verhältnisse
neue Ornamente
Buddhismus
Islam
Nutten

Vertreter
Reisen                                               mit Leuten auskommen, die ich nicht mag
                                                          verkaufen und Geld machen durch Bullshit

Barmann?
Saisonarbeit
Geld verdienen

Musiker
nicht immer Mädchen                         Routinearbeit
Orpheus

Maler         
Unsicherheit                                      Freiheit 

20.9.71
1. Sprache ohne Ausdruck (Dada)
2. Ausdruck ohne Sprache
3. Ausdruck der Gefühle (Navratil)
Psychopathologische Texte: Gedichte Trakl
Vergangenheit Gegenwart Zukunft
Hauptworte als Themen!
Aufgabe stellen über Thema zur Komposition
Talent – Begabung
Genie – Gestaltung, Gestattung
Enge Thematik
Konzentration auf Thema

20.9.71
Wenn dazu die Beharrlichkeit tritt, die nicht nachlässt, bis man sich Punkt für Punkt angeeignet hat, so wird ein schöner Erfolg sicher sein.

In der Mitte ist das Ei.
Es hat von roten Samenzellen in sich, von denen zwei die Befruchtung schon geschafft haben. Das Ei schwimmt im Meer des Vergessens. Das Ei ist blau. Das Ei ist meine Schöpfung, von dem alles ausgeht und ausgehen wird und ausgegangen ist. 25 Samenzellen, von denen zwei aktiv sind. Das Ei ist in der Lage, alle in sich aufzunehmen. Die 7 Wirbel sind die 7 Musen und Weisheiten. Sie versuchen, die Ruhe und Trägheit des Eis zu erschüttern, damit endlich der Vorgang der Schöpfung eintritt. Braun ist hier die Farbe des Wahnsinns und der Hölle.

Wenn ich nicht bald aufwache, ist alles vergebens.
Die Wirbel sind meine großen Beunruhiger. Bevor sich die Wirbel verflüchtigen, das tun sie im Angesicht des Todes, muss ich noch machen. Ich muss mich im Ei verwirklichen und meine Lebenspotenz durch das Ei transformieren. Dazu werden auch die Wirbel zu sinnhaften Gebilden, die sich dazu in die schicksalhafte Gebilde der kabbalistischen Zeilen auflösen, um dann wieder Wirbel der Schöpfung zu werden. Ich begrüße den Wirbel als den Beweger meiner Existenz das erste Mal bewusst und mit Freude im Herzen.

9.10.71
Der Kreis ist noch nicht geschlossen.
Ein Gesicht mit zerrissenen Gebilden, die das Gesicht zerreißen.
Zähne im Oberkiefer, die  auch Zitzen sind, und eine herauspräparierte Gurgel.
Das Ganze wird gehalten von dem nicht geschlossenen Kreis, eigentlich ein Wunder, aber es hält. Die nackte Frau – Nase habe ich nicht gesehen. Ebenso die Biene und das Häschen – so wie es ist, ist es nicht fertig. Alles ist verschoben. Darum habe ich auch den Kreis nicht regelmäßig in sich gemacht. Es ist gar kein Kreis, es ist eine Kugel und es ist noch keine Kugel.

Dass das Ganze hält, ist darauf zurückzuführen, dass der Kreis sich schließt.
Die vielen Augen beobachten das Innere nicht. Man kann das. Es ist ein schönes Bild, aber noch nicht fertig. Es ist für mich noch zu schwierig, diese Sachverhalte darzustellen.

10.10.71
Es droht sich diesen, aus den ungeformten Elementen eine wenn auch verschobene Ordnung darzustellen. Ich kann diese Welt erst dann verstehen, wenn ich einen Schöpfungsakt nachvollzogen habe. Wenn mir das gelungen ist, dann kann ich wahrscheinlich die Dinge so lassen, wie sie sind. Es erfüllt mich immer wieder mit Bewunderung, wenn jemand ein Instrument beherrscht oder er sich im Malen so ausdrücken kann, wie es ihm vorschwebt. Meine Vorstellungen sind noch sehr unklar und ich habe auch nicht die Möglichkeit, sie einmal auf einfache Strukturen zurückzuführen. Damit ist mein Weg vorgezeichnet, entweder ich versage, wenn ich nicht konsequent vorgehe, oder ich siege über die organische Materie und arbeite so lange, bis ich in der Lage bin, Bereiche mitzuteilen, die im Hintergrund meines Seins warten herausmodelliert zu werden.

11.10.71
Ich hab noch nie vor so einer Entscheidung in meinem Leben gestanden wie jetzt. Ich muss mich für das Taxi entscheiden. Es ist die Möglichkeit, alles richtig + konsequent zu tun.
Ist es das wirklich? Es ist alles offen in beiden Richtungen.
Was ich wirklich scheue, ist der alte Konkurrenzkampf, und ich muss das Risiko eingehen.

Checkliste für tägliches Programm

1. Aufstehen jeden Morgen durchlesen
30  sit ups
30  Hüfte
30  legs up
2x10 Bizeps
2x10 Schulter
2x10 Trizeps
2x10 Schulter
2x10 Trizeps
2x10 Rudern
------------------
waschen
Nase reinigen
Zähne putzen+ Fleisch massieren
Gesichtsmassage
Darm reinigen – Glas Fachinger
Fingernägel + Fußpflege
Frisur?

18.10.71
Die Blätter sind zu verspielt. Es ist auch nicht klar ersichtlich, dass sie aus der Brust entspringen. Sie umgeben den Kopf wie ein Lorbeerkranz, es sollte aber der Eindruck  eines verlängerten Kopfes entstehen. Das geht nicht mit solch einem breiträumigen Ornament, sondern nur durch anatomische Ähnlichkeit.
Jetzt ist nur noch wenig zu verbessern, wahrscheinlich fehlt noch eine Menge Kleinarbeit. Gelungen ist rechts neben dem Kopf das Überauge mit der Innensicht, es sieht aus wie ein Juwel, schon zweckfremd sieht es nach innen. Im Zentrum ist das Nichts. Chaos oder Chaos ist nicht nichts. Chaos ist eine Vorstufe, schon etwas Gewordenes, das Nichts ist ungeformt und enthält Geburt, Tod, Form und Chaos in sich. Es ist entscheidungsfrei und enthält die Summe aller Materie.

So verstanden ist auch die Summe des Universums nach vollendeter Entropie nichts. Die Summe des menschlichen Lebens mündet in anorganischer Materie und dies ist auch eine Form von Leben.
Auch ein Eisenmolekül hat Existenz, und wenn es durch Strahlung zerlegt wird, dann zerfällt es in andere Moleküle. Nichts hat mit dem alles nichts zu tun. Es ist auch kein  Urstoff oder Gott. Es ist nicht die Ursache noch die Folge. Nichts ist wahrscheinlich Bestandteil einer anderen Dimension, die wir ein Teil des Nichts sind, können wir auch andere Dimensionen entdecken und konstruieren, aber verstehen können wir sie nicht.
Ich bin noch ganz schön gehemmt, ich traue mich nicht Taxi zu fahren, weil ich einen Statusverlust befürchte. Obwohl ich mir damit meinen Wunschtraum erfüllen könnte .10 Stunden fahren von 8–18.00 Uhr ist immer noch besser, als 9 Stunden sabbeln und 2 Stunden Tagesbericht. Außerdem könnte ich mir bei einiger Konsequenz ein Taxi kaufen, weil meine Unkosten gleich 0 sind. Es gibt nur diese eine Möglichkeit, mach Dir nichts vor. Diskothek etc. alles  Bullshit. Kapitalträger Galerie. Geldsorgen, aber relativ wenig Sorgen.

20.10.71Walter Reinhardt Tagebücher 1971
Ich hätte nie gedacht, dass die eindeutige Entscheidung so viel Zweifel mit sich bringt. Daraus sehe ich erst, wie wenig Selbstvertrauen ich in mir habe.
Ich habe die Entscheidung immer hinausgezögert. Jahr um Jahr. Wenn ich sie jetzt wieder hinausschiebe, dann kann es passieren, dass ich eines Tages die Entscheidung nie mehr erreiche. Es musste ja einmal so weit kommen.
Alles, was ich getan habe, deutete und zielte darauf hin zu dieser Entscheidung. Erst unbewusst, und dann kam ich in Zugzwang. Dies ist die Geschichte auch bei jungen Menschen. Wenn man erst einmal in ganzen Dingen nachgibt, kommt man in Zugzwang. Es entwickelt sich auf einen Punkt, zu wo man nicht mehr Herr der Lage ist. Jetzt bin ich noch Herr der Lage. Spätestens wenn ich eine Stelle als Vertreter annehme, dann hat sich alles entschieden.

Sessel als Denkmal
Schubladen + Schränke bemalen
Einlegearbeit aus Streichhölzern

Die Japanpapiersachen aufmontieren wie die Chinesen.

25.10.71
Wann und unter welchen Umständen habe ich mich am wohlsten gefühlt? Spaß hat die Musik gemacht, obwohl das Damoklesschwert der Unfähigkeit immer über mir schwebte. Konzentriert habe ich gearbeitet beim Malen. Und wenn ich mich zur Schau stellen konnte. Du bist in allem doch recht abhängig von der Meinung deiner Umwelt über dich.  Was ich will: Bilder malen + Musik aus der technischen Beherrschung der Mittel, um mich selbst zu verwirklichen.
Bloß ist mir der konsequente Weg dahin zu lange, und so täusche ich meiner Umgebung etwas vor, um zu den gewünschten Streicheleinheiten zu gelangen. Also: dass du hergehst und konsequent an dir arbeitest.
Ich rechne in langen Zeiträumen, damit ich mir vorgaukele, ich habe Zeit. Ich habe aber keine. Leute, die es zu etwas bringen, und das heißt sich selbst egal in welcher Form, verwirklichen, arbeiten konsequent, nur das eine Ziel im Auge. Sie beschreiten einen Weg, ohne sich anbietende Umwege. Dabei spielt das Geld gar keine Rolle.

30.10.71Walter Reinhardt Tagebücher 1971
Eigentlich ist es ganz klar. Ich bin der Erzähler. In allem, was ich mache, stecken ein oder mehrere Geschichten. Irgendwo. Wenn ich alleine im Café sitze oder im Auto oder zu Hause, das sauge ich auf und denke nach. Ich kann eigentlich nicht richtig zuhören, immer ist dieses Sehen in rastloser Tätigkeit. Es saugt auf wie ein Schwamm, und um das alles los zu werden, muss ich etwas tun. Dass ich ein Atelier benötige, ist auch halbwegs eine Entschuldigung (...), und die fast unüberbrückbare Hürde für mich ist die technische Beherrschung meines Metiers. Malerei und Musik. Arbeit ist alles.

Kästen-Objekte, Origami-Objekte aus Holz oder Pappe!
gerilltes Glas mit Tuschlinien
Standbilder Holz mit Glas+ allen Materialien

5.11.71
Prinzip Hoffnung – Menzel, Bloch
Man muss wirklich beginnen, die Sprache neu zu formulieren, weil man über den Gehalt der Wörter, die man benutzt, nichts weiß. Das fängt mit Hoffnung an und hört mit „und oder gegen aus ein off on switch“ etc. auf.
Aus diesen Analysen kann man bestimmt Einstellungen über sein Handeln + Tun, über die Zielrichtung des Seins und über den Tod gewinnen. Allein die Gnade, mit der man von Gott versehen oder nicht versehen wurde, rechtfertigt nicht die Profitmaximierung oder den Mehrwert oder den Herrn oder den Diener. Mit dem Trostwort: Ihr sollt alle getröstet werden, denn die Auferstehung des Fleisches  ist Euch gewiss. Damit hat das Christentum diese Welt in eine behagliche und gemütliche Welt für diejenigen geteilt, die daran teilhaben, und eine unbehagliche und ungemütliche für die einige, die daran nicht teilhaben. Natürlich unter der Voraussetzung, dass sowohl der Begnadete und der Unbegnadete diese Darstellung dieser Welt glauben. Nun gibt es begnadete und unbegnadete außerhalb dieses Glaubensbereiches, und es gibt weiterhin welche, denen Gnade insofern fremd ist, als sie ihre eigene Einmaligkeit in diesem Universum erkennt. Dies bezieht sich auch auf den Tod, für den es keine Diener und Herren gibt, die jeden anderen als einen anderen auffassen und ihn als das, was er ist, respektieren und von dem sie nicht erwarten, ihn verbessern oder lehren zu können.
Sie können Denkkonzepte vermitteln, der Rest liegt nicht mehr bei ihnen.

7.11.71
Regal fertig. bin fleißig am arbeiten. Die Raucherei macht mir Kopfschmerzen.
Ich weiß immer noch nicht, was ich machen soll. Noch knapp einen Monat, dann muss ich was tun. Leider. Lotto klappt nicht und die Malerei bringt nichts ein, die Musik ist unvollkommen.
Ich quäle mich immer noch mit dem Ornament herum. Es ist zum Verzweifeln, wie langsam es bei allem Fortschritt doch vorwärts geht.

10.11.71
Ich könnte noch lange so arbeiten wie jetzt. Leider ist die schöne Zeit schon zu Ende. Ich muss arbeiten oder Taxi fahren usw. Keiner will mich haben, was mir eigentlich recht ist.

12.11.
Holzschnitte mit Handbohrgerät aus Stativ ausschneiden durch Bewegen der Holzplatte.
Ornamente durch Behauen von Punzen.
Handsprühgerät mit gekürzter Düse deren Breite eingestellt werden, kann für Einfärben größerer Flächen und kleiner Flächen zur Schattierung
Kalender
20.11.71
Vielleicht muss ich doch ganz klein anfangen und dann den Laden hochbringen.
Und immer wieder – wie komme ich zu einer konstanten Arbeitsweise? Langsam ahne ich, dass ein Teil der Begabung auch der Wille ist, etwas zu vollenden und danach neu zu beginnen. Wenn ich mich aber bloß zu einer Konstante durchringen könnte. Es fängt mit dem Morgen an und hört mit dem Abend auf. Da liege ich dann wach im Bett und träume anstatt dass ich hergehe und meine Träume realisiere. Daran sind wieder Sachen unerledigt geblieben und nun muss ich mit diesem wüsten Haufen, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hat, fertig werden. Ich habe letzthin einen salzigen Geschmack auf den Lippen gespürt, war's der Tod oder der Herbst.
Ich träume von einer Welt, die bunt ist, wo sich Träume in Bilder verwandeln und in der ich leben kann und träume von einer Welt, die bunt ist und das Essen opulent und raffiniert, wo ich mit Gleichgesinnten tafeln kann, und nach dem Essen lege ich mich in eine Nische und träume.
Die Träume verwandeln sich in Bilder, in denen ich leben kann und in denen ich in verzückter Erregung umschlungen bin von Mädchen, mit denen ich unendliche Zärtlichkeiten austausche, weit entfernt von den vulgären Genüssen dieser Welt. So lebe ich in Träumen und kann doch mit diesen Träumen leben. Ich möchte die Kraft haben zu träumen. So stark, dass diese Träume Bilder werden, in denen ich wandle und von einem Bild in die andere Welt kann, um all diese Erschöpfungszustände aller Welt zu erfahren.

23.11.71
Ich muss mir vor allem überlegen, welche Techniken ich zuallererst benötige, um meine Träume zu realisieren. Das sind Lasur- und Schattiertechnik und Ornament.

Wenn man bedenkt, was für ein Kunststück der Hooverstaudamm zum Beispiel ist, komme ich mir mit meiner Kunst doch sehr erbärmlich vor. Der Suezkanal oder Panama hätte nie verwirklicht werden können, wenn nicht die Idee eine zündende gewesen wäre.  Nach der Konzeption kam die Arbeit von Tausenden, das Detail und dann die Vollendung.
So oder so ähnlich geht es oder sollte es mir gehen.
Was ich mache, ist epigonal, bestenfalls ein Eklektizismus niederen Ranges. Was aber hilft ein Studium des Details, wenn keine Konzeption dahinter steht. Dann bleibt auch das Detail fragwürdig.

Ich werde nie etwas Großes fertigbringen, wenn nicht ein großzügiger Entwurf in der Zielsetzung dahinter steht. Ich rede jetzt nicht von Bildformaten, sondern von geschlossener und ausgereifter Konzeption. Wenn das fertig steht, fällt viel unnötige Arbeit weg und die Ausführung ist ein Klacks. Die Frage ist, was will ich, wozu soll es gut sein und ist die Originalität gewährleistet. Alles andere ist Bullshit, ebenso in der Musik.
Was ich im Grunde will, ist Ego Food, oder nicht? Ich suche Anerkennung in Verkennung, dass ich im Grunde so lange ein Würstchen bleibe, halb belächelt und halb bemitleidet, solange ich immer nur rede und nichts vollbringe.

6.12.71
Immer noch kein Job. Mal sehen.
Vorgestern im Atrium, mit Gerlinde im I-Punkt. Es war schön, fast etwas zu lange. Aber es ist immer die alte Geschichte. Junge Mädchen sind auf Dauer zu langweilig und eine Frau wie Gerlinde zu anspruchsvoll. Und ich habe keine Lust, für jemand meine Zeit zu opfern für Statussymbole etc., dazu habe ich keine Zeit, es ist zum Kotzen. Dieser blöde Filzschreiber macht mich auch noch nervös. (wechselt den Stift)
Es ist die alte Frage, was man eigentlich ist? Bei den meisten Menschen ist dieser Grund dieser Hauch von Anlagen zu etwas Schöpfendem – genießen ist auch schöpferisch – überdeckt von Gewohnheiten, die in ihrer Art und Weise nur auf das Äußerliche gemünzt sind. Die Anlage kommt immer im Katzenjammer durch, und den versucht man durch alle möglichen unsinnigen Angewohnheiten zu übertünchen.
In dieser Welt und dieser Umgebung und überhaupt das Licht das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren. Schon noch einem kurzen Impromptu mit Gerlinde denke ich nicht mehr ans Malen, sondern ans Zusammenleben. Man ist so beeinflussbar. In dieser scheiß Bar geht es mir denkbar schlecht, der (...) ist ein Arschloch, und er wäre keines, wenn er es nicht so weit gebracht hat. ;an hat viel zu wenig Willen und zu viel Gier nach Lebenslust.

7.12.71
Aber richtig ist es eigentlich, dass man im Großen ein Ziel verfolgen soll und im Kleinen nachgiebig wie das Wasser. Es wäscht Felsen aus und füllt alle Vertiefungen und Unebenheiten aus!

Säbelfressendes eisenverschlingendes Ungeheuer aus dem Geschlecht der Meduse. Ich bin kein Perseus, der Deinen Blick scheuen müsste, vielmehr bin eine schamlose Zikade, die im hohen Summen zeitlos den Gesang des Grases umrahmt.

Ich habe zugesagt, dass ich schreibe, und wieder bin ich einmal mehr dabei, eine Zeit der Depression hinter mich zu bringen. Das Beste wäre gewesen, wenn ich nach München gefahren wäre. Hier muss ich zu sehr kämpfen. Aber noch sitze ich nicht fest. Es ist bloß so schwierig, eine konstante Arbeitsweise zu erreichen. Ich habe eine neue Checkliste gemacht. Wenn ich doc einmal über längere Zeiträume danach handeln könnte. Dabei wäre das alles, die primitivsten Übungen, in zwei Stunden erledigt. Ich könnte mein Fett schon los sein und das Ornament bewältigt haben. Die Harmonielehre auswendig sagen und Bilder von nie gekannter Schönheit gemalt haben. Ich könnte gesund an Körper und Seele sein und froh in die Zukunft blicken.

Nun sitze ich hier mit dem Gegenteil. Ich male mittelmäßige Bilder, bin ein schlechter Musiker und fett, und krank an Seele und mäßig in der Gesundheit. Dabei – wenn ich zurückblicke, dann ist schon immer ein Leidensbedürfnis bei mir vorhanden gewesen.

Was aber strebe ich an?
Was waren meine positiven Erlebnisse?
Positiv war die Schule, obwohl ich nicht den Willen und die Konsequenz besaß, mich in diesem System durchzusetzen. Ich wollte, von der Wichtigkeit der Collegmappe als Statussymbol durchsetzt, die Leute durch die Wichtigkeit meiner Person und ihrer Gedankengänge äußerlich beeindrucken. Seltsamerweise war aber nicht nur alles äußerlich. Denn ich pumpte Information in mich hinein, natürlich auch um zu onanieren, aber auch aus echtem Interesse.
Der Abteilungsleiter war eine letztlich beschränkte Befriedigung. Spaß machte es wieder richtig, als ich die Ausstellungen und Veranstaltungen machte. Ich bekam einen Hauch des Künstlerischen und das Recht, ein Bohemien zu sein.
Die Musikerzeit war schön, aber anstrengend.
Das moving der Anlage war nicht schön. Der Fortschritt auf dem Instrument und die Anerkennung great. Das ist over. Der Seemann war schön in seiner geregelten Zeit und der Überfluss des Geldes. Auch das ist over. Eine Chance mehr vertan.

Aber wie geht es weiter?
Ist in der Malerei so viel drin? Es ist immer so viel drin, wie man hineinsteckt, und das habe ich noch viel zu wenig getan. Ich weiß den Weg, aber ich beschreite ihn nicht, weil mich so vieles daran hindert. Ich brauche keinen Abschluss, aber Erfolg, und Abschlusszeugnis ist auch Erfolgserlebnis. Du willst Geld, aber das Brutale ist dir zu unästhetisch, so musst du aus dem Geldmachen ein künstlerisches Erlebnis machen. Das Geld zu verdienen ist schön. Aber die Leute zu unterhalten und nur auf die Kohle zu achten ist primitiv. Ich verachte es. Ich kann es zeitweise, aber ohne dass ich auf meine außerordentliche Person aufmerksam gemacht habe, nicht.
Man hat sich im Laufe der Zeit zu einem ganz schönen Monster entwickelt. Ich arbeite ja, aber nicht genug, nicht konsequent. Ich kann nur hoffen, dass in der Entwicklung eine quadratische Progression entsteht. Wichtig ist jetzt ein Job.

Wenn ich jetzt einen festen Job habe, dann muss ich auch zu Hause für die Ausstellung arbeiten. Du wirst Erfolg haben, aber nur unter dem Aspekt der unermüdlichen Arbeit und den technischen Problemen. Und das sowohl an der Gitarre als auch an Zeichentechnik. Als Erstes: Bau eines brauchbaren Ateliers im Zimmer.

15.12.71
So schön das ist mit Geld verdienen in der Bar, aber sonn- und freitags das ist wirklich scheiße, so wenn ich als Vertreter arbeite, dann sind das 5x10 Std., aber zwei Tage frei und ich muss Zeit gewinnen, na ja, ist egal. Ein eigener Laden auch problematisch, keine Zeit, also was machen? Saison +2 ½ Monate Urlaub, aber immer unterwegs, wie kann ich das Problem lösen: ein einigermaßenes Einkommen mit viel Urlaub und Freizeit und ein Maximum an Pensionseinzahlung.
Eine Versicherung abschließen und die Rente, ein höherer Bausparvertrag oder was. Was wird in 20 Jahren sein? Ist egal, da bin ich mit der Gitarre + Malen so weit, dass ich mir dadurch ein zusätzliches Einkommen verschaffen kann. Das Problem ist nur, die Zeit dazwischen möglichst angemessen zu lösen.

Es geht aber weiter, sehr zähflüssig und träge. Gerlinde lässt nichts von sich hören. Manchmal verzweifele ich an mir selbst. Es geht alles so langsam – Ungeduld.
Aber irgendwann muss man ja mal einen Weg bis zu seinem bitteren Ende abschreiten. Und dies ist jetzt the thing to do. Und das ist ein langwieriger Prozess.
Ich mache etwas eine Zeit lang und dann höre ich wieder auf. Selbst die Checkliste nützt wenig. Sie reizt mein schlechtes Gewissen wie ein Grashalm einen Elefanten.
Vermutlich ist meine Persönlichkeit schon so weit gespalten, dass zwei komplette Ebenen und Über-Ich existieren. Vielleicht verschmelzen auch die beiden in einem. Es könnte ja sein, dass im Mutterleib eine andere Persönlichkeit Zuflucht, bewirkt durch einen plötzlichen Tod, gesucht hat, meine andere Persönlichkeit aber auch sehr stark war, sodass sich die Substanzen nicht durchzusetzen vermöchten. Ein Problem am Rande.
Wie ist das mit der Wiedergeburt? Kommen immer nur Inkarnationen in Frage, und gibt es nichts Neues? Wie ist es, wenn alle in Frage kommenden im Nirvana sind: Baum, Tier, Stein? Was war der Zustand vorher und was gab den Anstoß zu dieser Welt. Muss der Anstoß innerhalb oder außerhalb liegen? Ein Sündenfall?
Was ist die fünfte Dimension? Wie kann man einen neuen Weg beschreiten, wenn der ursprüngliche vorgezeichnet ist? Oder versuche ich nur, meinen ursprünglichen Weg zu finden? Wie kann ich mich dazu bringen, einen Weg zu beschreiten, der mir gemäß ist? Regelmäßige + konstante Leistung von mir verlangen.
Ebenso dürfen eigene Fehler nicht direkt bekämpft werden. Solange man sich mit ihnen herumschlägt, bleiben sie immer siegreich. Die beste Art, das Böse zu bekämpfen, ist energischer Fortschritt im Guten.

23.12.71
Wenn man über Dinge nachdenkt, muss man in der rechten Weise darüber nachdenken. Wenn ich über den Körper nachdenke, dann muss ich unterscheiden, was mir daran missfällt und was so bleiben kann. Dann muss ich auf Abhilfe sinnen, wie ich die Dinge, die mir missfallen, abstellen kann, ändern kann, damit ich in Harmonie mit meinem Körper komme, dass ich mich in ihm mit ihm wohlfühle.
So ist es mit der Malerei, der Musik, der Poesie, der Seele, dem Ziel und  dem Tao. Dies ist auch mit dem energischen Fortschritt im Guten gemeint, mit dem man das Böse bekämpft.

Es werden so die Ursachen des Bösen fortgeschafft, absorbiert und man rennt nicht dagegen an. Die Beschäftigung mit dem Bösen darf nur so weit gehen, dass man etwas als böse erkennt und es dann im Fortschritt des Guten zum Guten umformt. Vielleicht ist alles Böse nur falsch platziert oder nicht im rechten Zusammenhang.

30.12.71
So langsam klingt meine Depression ab und ich kann wieder aktiv werden. Bei Kochs war ein ziemlich langweiliger Abend. Zum Schluss konnte ich wieder meine Story anbringen, um mich davon zu überzeugen, dass ich auf dem rechten Weg bin. Er ist ein recht verschlossener Astheniker, der m. E. einen homosexuellen Zug hat, und das kann natürlich auf die Dauer mit diesem Überweib Gerlinde nicht gut gehen. Je mehr man überhaupt hinter Verhältnisse von solchen Menschen schaut, umso undurchsichtiger werden die Verhältnisse.

Nun fragt man sich, was ist man selbst? Wenn man sich selbst beurteilen will, muss man sich selbst verlassen, aber was will man mit einem Körper mit Eigenschaften, in dem man im entscheidenden Augenblick nicht da ist.
Die Beurteilung wird auch immer vom Wunschbild getragen, von dem man zwar ein Teil ist, aber diese Wünsche, positiv oder negativ, sind doch immer eine Verzerrung, so wird es einem wahrscheinlich erst im Augenblick und Anblick des Todes, wo sich das Bewusstsein auflöst, möglich sein, sich selbst zu beurteilen. Stunde der Wahrheit, umschrieben in guten und bösen Taten.

30.12.71
Ich glaube, die chinesische Auffassung von der perfekten Vorstellung dessen, was man will, ist die mir gemäße Methode. Es wäre schön gewesen, wenn ich vorher die technischen Fertigkeiten beherrschen gelernt hätte. Das sind sehr müßige Spekulationen.
Ich muss mich mit der Realität auseinandersetzen, und die ist ein großartiges Material mit einem gewissen Know-how. Jetzt brauche ich Zeit, um eine Vorstellung zu bekommen, wie ich meine Mittel einem ökonomischsten einsetzen kann, ohne die Übung und den Fortschritt aus den Augen zu verlieren. Wenn es irgendwelche Götter gibt, dann bitte ich sie, mir die Kraft zu geben, meine Träume wahr zu machen, mögen sie mir weitere Träume geben und die Kraft zur Verwirklichung, dann will ich auch alles drum herum mit Gleichmut und dem Wissen ertragen, mich selbst zu vollenden, das will ich von ganzen Herzen.
 

Theme by Danetsoft and Danang Probo Sayekti inspired by Maksimer