22.12.1973 - 30.12.1979

Reinhardt hat sich in Salzgitter eingerichtet und richtet sich mit seinem Leben hinter der Bartheke des eigenen Ladens ein. Der Kampf mit seinem Gewicht beschäftigt fast dauernd – auch als notwendige Voraussetzung, um die Frau fürs Leben zu finden. Das klappt nun endlich: Er lernt nach einigen weiteren Enttäuschungen Anfang April 1974 seine spätere Frau Birgit kennen. Trotz glücklicher Verliebtheit und der Energie, die ihm seine Liebe gibt, bedauert er aber immer wieder auch den fehlenden Antrieb zum Malen und Gitarrespielen. Zudem taucht der Wunsch nach einem großen gastronomischen Betrieb auf, zu dem ihm jedoch das nötige Geld fehlt. Er plant mit Birgit seine Zukunft. Das Tagebuch führt er unregelmäßig. Immer wieder beschäftigt ihn auch körperliches Leid von Menschen in seiner Umgebung, unter anderem auch das der Mutter. Er reflektiert viel über den Tod, das Werden und Vergehen, beobachtet eine Orchidee – Sinnbild der Erotik – beim langsamen „Sterben“. Depressive Phasen wechseln sich mit zuversichtlicheren ab. Er äußert den Wunsch zu schreiben, kauft sich einen Füller, eine Schreibmaschine, eine Polaroidkamera. Er experimentiert mit Ornament, Porträt, Kalligraphie und Zeichen, aber auch mit Techniken wie Gipsguss oder Hinterglasmalerei für die Ausstattung des Ladens, gestaltet Räume und fertigt viele, oft seitenfüllende Skizzen an. Er zieht Parallelen zur Thermodynamik, die er auf das Leben überträgt.
Sein am 20. Juli 1976 getroffener Vorsatz beschreibt seine Vorgehensweise beim Malen, aus der sich sein typischer Stil zunehmend herauskristallisiert: "„Ich muss mich mehr auf die Leichtigkeit konzentrieren. Bilder mit Pflanzen und sonstigen ornamentalen Hintergründen, durchaus mit stark leuchtenden und schillernden Farben.“ Er nimmt sich vor, die Bilder ebenso wie seine Musikstücke vorher zu konzipieren. Und er erkennt ein Vorbild: Jörg Schulthess. „Die Bilder, die ich malen will. Und die Bilder, die ich malen wollte. Dubuffet, der malt, wie ich könnte. Erst Zeichnung und dann ausfüllen. Es ist eigentlich das, was ich schon immer wollte. Eigentlich das, was ich schon immer gemacht habe.“

 

22.12.73
Was lähmt mich so? Nur noch Geschäft und schlafen, bestenfalls Zeitung und Radio.
Es ist zum Kotzen, zu wenig Zeit und Geld.
Zweimal zum Training, einmal Sauna und weniger schlafen, mehr Aktivität und schon wäre es geschafft. Auch benötige ich weibliche Gesellschaft, um zu gedeihen. Und ich benötige die Zeit, um zu malen und um Gitarre zu spielen.
Ich sehe, zu viel der Wünsche und zu wenig gute Geister. Ich kann die Götter nicht überfordern, so muss ich eigentlich alles alleine und ohne Hilfe machen.
Und das heißt eines nach dem anderen. Es ist schon eine Leistung, das ich das Rauchen aufgegeben habe.
Meine wichtigste Sorge außer Mutti ist im Augenblick mein Gewicht. Ich wiege jetzt 95 kg, das sind 25 kg über dem, was ich wiegen will, und 11 kg über dem Gewicht vor einem Jahr.
Aber solche Sachen werden immer Probleme bleiben, wenn ich nicht eine gewisse Konstanz in meine Lebensweise bringe. Ich muss jedenTag eine Stunde Gitarre spielen und mindestens eine Stunde malen. Oder dreimal die Woche Krafttraining. Vor dem Waschen Gewichtsgymnastik und täglich diese Pillen nehmen. Dann muss ich das in einem halben bis einem Jahr schaffen.
Ich bitte Euch, ihr Götter, mir die Kraft dazu geben.
Walter Reinhardt Tagebücher 1974
11.1.74
Man muss alles und täglich malen, auch wenn es einem zu kompliziert oder unnötig erscheint – man muss Technik bekommen, nur so kommt man in Freiheit.

Ich brauche bald wieder mal eine Frau, einfach aus Bestätigungsgründen, evtl. mit ein bisschen Seele. So eine kleine nette ...

13.1.74
Vielleicht sollte ich hier kurz Mon. gedenken. Eine Frau, wie ich sie mir schon lange wünschte. Sie ist so lieb und in ihrer Passivität doch aktiv. Wie ich mir eine Frau wünsche. Hoffentlich kommt sie wieder. Ich möchte sie näher kennenlernen. Wenn sie doch ein paar Jahre älter wäre, dann könnte man zusammen reden und sich gegenseitig helfen.

13.1.74
Naja, die Katze ist aus dem Sack.
Sie will nicht mehr, nichts als eine schöne Erinnerung, und mir bleibt nichts als Einsamkeit und nochmals – wann hat das ein Ende. Soll ich hartnäckig bleiben und die Geschichte verfolgen? Soll ich dann kämpfen, wo ich das Ende bereits absehen kann?
Bis das Buch kommt und bis du den ersten Brief bekommst, oder bis Du mehrere Briefe bekommen hast, und dann kann man ja weitersehen.

Soweit ich das bis jetzt übersehe, ist M. ein Mädchen mit einem sehr reichem Innenleben und vielleicht kommst du an ihre Seele heran. Wenn Du sie gewinnst, dann hast du einen Schatz. Man kann nicht verlangen, dass jemand deine innere Schönheit erkennt, wenn du nur alt und hässlich hinter der Theke stehst.
Dann bist Du ein fat Bartender und sonst nichts. Du musst ihr plausibel machen, dass du ihre Seele liebst und nicht ihren Körper alleine. Im Grunde repräsentiert sie das, wonach du strebst. Sie ist ruhig und sexy, aber hat einen Kopf und ich werde Ihren Widerstand überlisten. Ich werde sie zu meiner Frau machen und werde mit ihr mein Leben genießen.
Es tut schon nicht mehr so weh, aber ich sehe ein, dass man um etwas kämpfen muss. Es fällt einem nichts in den Schoß, sondern man muss sich Mühe damit geben.

15.1.74
Fruster frustra Mäuschen
du klopfst an meinem Häuschen
und bringst den Frieden um
und ich stehe da wie dumm.

Wie soll ich es anfangen? Und wie soll das enden.
Es ist eigentlich ärgerlich, wenn man immer die Frage nach dem Hinterher stellt, aber warum kann man nicht einfach zusammenkommen, eine Zeitlang zusammenbleiben  und wenn es nicht mehr geht, zum nächsten Versuch, bis man irgendwo landet.

15.1.74
Irgend so etwas sucht ja meine Seele und Monika ist ein Ausdruck dessen, was ich suche. Einen Menschen, dessen geistige Grundrichtung mit der meinen harmoniert und von dem ich außerdem erwarten kann, dass er mir zumindest geistig treu bleibt. Außerdem möchte ich eine junge Frau und keine alte. Ich will mit ihr gemeinsam das Leben genießen.

16.1.74
Was soll ich schreiben?
Soll ich Dir sagen, "Ich vermisse Dich"?
Wo ich dich überhaupt nicht kennen kann? Es ist alles so schwierig. Liebe Monika, komm doch zu mir. Die Götter meinen es gut mit uns.
es ist schon so weit, dass ich mich in alles verliebe ... aber ich bin der Überzeugung, dass Monika nicht jede ist.

19.1.74
Heute wieder konsequent, das ist gut.
2,5 kg runter, das sind ca. 10% des gewünschten Gewichtsrückganges. Moni war seit Mittwoch nicht mehr da  Erst dachte ich, sie schreibt mir, aber es ist viel prosaischer. Ihre Tage waren am Mittwoch vorbei und am Donnerstag und gestern wurde in Salder gebumst. Es ist ja alles so einfach und jetzt stehe ich da, ich armer Tor.
Aber es tut gar nicht weh bei dem Gedanken. Früher wäre ich vor Eifersucht krank gewesen!

M. ist verschwunden, jedenfalls sehe ich sie nicht mehr. Zum Kotzen – und zu Hause ist sie auch nicht. Scheiße usw. usw. Ich bitte um gutes Geschäft.

21.1.74
Heute Abend Monika (andere M., Anm. d. L.) gesehen, die ist ja wirklich süß, leider noch so jung.
Und so ein nettes Mädchen, das wird so schnell weggeangelt, dass man später keine Chance hat. Darum sind ja auch die nettesten Frauen immer in festen Händen.
Warum soll es nicht mal so eine schöne Romanze zwischen uns beiden geben? Es wäre wirklich an der Zeit. Die andere Monika kenne ich nicht genug.

Natürlich wüsste ich, was ich machen müsste, aber es ist so schwierig, richtig konsequent zu sein Die Frau ist noch ein Kind, und du willst sie gleich haben. Keiner weiß, wer zum anderen zuerst gehen soll, und du denkst jetzt, jetzt ist's ihr Deal. Auf der anderen Seite will ich niemandem zur Last fallen.

22.1.74
Irgendetwas ist passiert, und ich bin Monika dankbar. Es war Zeit, dass ich zurückgewiesen wurde, damit mein Ehrgeiz aufgeweckt wurde.
Die Mechanismen sind ja im Grunde so einfach, es war an der Zeit, dass ich mich verliebte und zurückgewiesen wurde. Warum hatte es damals bei der Gärtnerin (Rada) nicht den gleichen Effekt? Weil ich durch den Laden so viel Ego-Food bekam, dass ich mich bald beruhigte. Aber jetzt, wo im Grunde alles im Lot ist und es anfängt langweilig zu werden, jetzt habe ich Zeit, über meine Situation nachzudenken, und da geht’s natürlich los. Indem man Zeit hat, denkt man über vergangene Dinge nach, wenn man über vergangene Dinge nachdenkt, wird die Gegenwart langweilig, weil man Zeit braucht, um in die Zeit zurückzukehren, in der man ein interessantes Leben im Sinne der jetzigen Bedürfnisse zu führen hat, und so weiter.

Soweit ich es übersehen kann, habe ich Monika schon overtaket.

Er lernt Brigitte kennen, ist aber offenbar noch nicht über Monika hinweg. Die beginnende Romanze hält alledings nicht besonders lange. Mitten in dieser Phase mehrerer Enttäuschungen lernt er Birgit kennen, seine spätere Frau. Eine große Zuneigung spricht aus seinen Einträgen – aber immer wieder auch Zweifel, ob aus der Beziehung tatsächlich etwas Längeres werden kann.
Walter Reinhardt Tagebücher 1974
7.4.74
Das ging ja schnell.
Am 3.4. kennengelernt, am 5. love und 6.4.74 verliebt.
Da kann man nur eins den Göttern danken und versuchen, was daraus zu machen.
Ich habe sie wirklich gerne.
So etwas habe ich mir immer gewünscht, hoffentlich kann ich es mir bewahren. Birgit

9.4.74
Eigentlich ist das Wahnsinn, was ich mache, aber ich kann nicht anders.
Birgit ist zu süß in Ihrem Wesen und in Ihrer Art und Weise, und etwas von dem wird immer bleiben und sie liebenswert bleiben lassen. Ihre Aufnahmefähigkeit und Interesse sind einfach verblüffend. Hinzu kommen ihre Beharrlichkeit und Aufmerksamkeit, naja, wir werden sehen. Die Gefahr ist die, dass unsere finanziellen und statusmäßigen Vorstellungen auseinandergehen.

Und da ist noch das Auto, das ist aber sekundär.
Sie will ein gefestigtes Zuhause und Kinder. Ich auch. Mit dem, was man unter ... auch scheiße, ich habe sie lieb und egal wie es kommt, ich werde sie nie vergessen, weil ich selten oder nie eine so schöne Romanze hatte. Ich danke den Göttern dafür!!!
Sie ist so süß, dass ich ihr unabhängig von allem ein langes und glückliches Leben wünsche!

11.4.74
Ich bin wirklich mal gespannt, wie die Geschichte mit Birgit ausgeht. Irgendein Teil von mir bleibt ja immer der kühle Beobachter. Ich könnte mir vorstellen, dass wir eine lange
Strecke des Weges zusammen gehen können, aber kann sie das?
Ist sie schon so weit, dass sie mit Bestimmtheit sagen kann, der und kein anderer?

11.4.74
Tot Tod Todt
Ich habe meinen Mops sehr lieb.

12.4.74
Es ist ganz schön beschissen zu wissen, dass die geliebte Frau mit einem anderen feiert. während man, zu Untätigkeit verurteilt, dasitzen muss und abwarten.
Aber ich wusste ja, was mich erwartet, aber ich bin immer wieder überrascht, mit welcher Wucht die Ereignisse mich gefangennehmen.
Gestern Morgen, das war schrecklich. Aber man kennt den Mechanismus und den Ablauf einer Affäre, man weiß, wie ausgebrannt man zum Schluss ist, und dann folgt wieder die Zeit der Konzentration. Es ist wie Ein- und Ausatmen, bloß in längerem Intervall.
Aber es ist gut zu wissen, dass ich noch zu Leidenschaft und Liebe fähig bin. Sogar Eifersucht? Wer hätte das gedacht. Da bin ich ja wirklich ganz schön verknallt.
Aber sie ist ja noch so jung, weiß vermutlich noch gar nicht was sie will.
Das einzige, was sie vermutlich weiß, ist, dass sie sich nicht verloben will.
Auch die Sache mit Wilfried Ruthmann. Sie mag ihn und weiß nicht, dass sie den nicht so schnell loskriegt. Selbst wenn sie mich damit nur schaffen will. Es ist eine schöne Illusion, und ich möchte mich bei den Göttern bedanken, dass sie mich in dieser Weise bedachten.

16.4.74Walter Reinhardt Tagebücher 1974
Bis jetzt ist alles gut gelaufen.
Ihr Freund reiste am Freitag oder Samstag wieder ab. Seitdem sind wir zusammen. Am Montag haben wir bei Mutti gegessen und anschließend waren wir bei Diedl Jung und abends habe ich Buchführung gemacht und Birgit hat Gitarre geübt. Es war sehr schön auch anschließend, als wir zusammen waren.
Heute habe ich ihr eine Gitarre gekauft. ich kann einfach nicht anders, egal ob wir
zusammenbleiben oder nicht, ich möchte Ihr jede erdenkliche Freude bereiten, weil sie es sich so wünscht. Natürlich bin ich genau so pessimistisch wie sie, aber ich lasse mich einfach in das Glück fallen und werde auf jeden Fall beschenkt herauskommen. Außerdem habe ich sie wirklich lieb und das soll jeder wissen und lesen.

23.4.74
Es ist noch immer schön, obwohl es mir manches Mal erscheint, als wäre die schönste Zeit vorüber, wir werden ja sehen.
Ein ganz schön mentaler Kampf, und noch ist alles offen. Aber ich muss den Kampf gewinnen.

(offenbar nach dem Legen des I Gings) Der Globus hat recht. Ich bin ein Schwein!
Es ist wirklich der Kindergottesglaube, der sich in Birgit verwirklicht, und ich?
Ich möchte weinen. Aber ich muss es ihr sagen.
Gibt es denn nur wahre Liebe unter Gleichaltrigen? Gleichartigen?
Ich habe geweint.
nur Tränen
nur Leid
nur Trauer
nur Tod
tot


26.4.74
Wenn ich ihr das alles erzähle, dann muss ich ihr die positiven Seiten ... und dann, macht nur ein Kind uns glücklich und zufrieden, dann muss ich meinen Lebensplan ändern.
Ich habe Birgit so lieb. Ich liebe sie und ich wünschte, sie bleibt so nett. Ich liebe sie.

28.4.74
Frage about Birgit ans I Ging
Zu rasch Dauer wollen, bringt beharrlich Unheil, nichts, das fördernd wäre.
Dauerndes lässt sich nur durch lange Arbeit allmählich und sorgfältig nachdenken. Genauso, wie ich es sehe, aber man muss erst die Klippe der Zeit überspringen, damit man sich kennenlernt, und wenn es dann so weit ist, kann man es ruhigen Gewissens tun, dann wird auch was daraus. Ich liebe sie, aber weiß sie das – und weiß sie genau, dass sie mich so liebt, dass ich auch noch in 10 Jahren Ihren Ansprüchen genüge?

Dieses erhabene Gefühl des Verliebtseins entspricht in etwa dem Gefühl einer Gipfelbesteigung, es ist eine Sache, die den Höhepunkt einer vorangegangenen Verhaltensweise darstellt. Bloß bedenkt man nicht, dass der Gipfel nicht Nahrung und Erwerb bietet, und so muss man wieder hinunter und für die Ernährung sorgen. Man kann sich ja in der Nähe des Berges ansiedeln, aber Ernähren ist die Grundlage des Körpers, Liebe Grundlage der Seele.

Also weiß ich genau was zu tun ist. I love Birgit.
Ich hoffe, ich kann dieses Feeling recht lange bewahren, es ist doch so schön mit Ihr. Es ist eigentlich schon mehr als verliebt, es ist wie eine Verdunklung der Ratio und der Durchbruch der Emotionen, es ist einfach schön. Es ist schon so lange her, dass ich so verliebt war, dass ich die jetzige Liebe für einmalig halte.

12.5.74
Ich hoffe, dass alles bald in Ordnung kommt, ich glaube, ich brauche Birgit sehr nötig, weil sie mich zu den Leistungen anspornt, zu denen ich fähig bin.
Letzthin im Gespräch mit Globus kam die Sprache auf das alte Problem „soll man tun oder nichts tun“, da fiel mir mit einmal die Lösung ein.
Es gibt wie in der Physik eine kinetische Energie und eine potentielle, und diese Energieformen bekommt das Karma mit bei der Geburt. Nun muss man herausfinden, welcher Art die eigene Energieform ist. Man ist nicht immer im Besitz der gleichen Energieform, sondern sie wechselt.
Schöpferische Pause: Kontraktion – Potentielle Energie
kreativ – Expansion – kinetische Energie
Beide Formen sind schöpferisch, jede auf ihre Art.

Nun glaube ich, dass mich Birgit auf die Sprünge bringt.
Wenn das so weitergeht mit Birgit und mir, dann läuft alles auf diese eine Entscheidung hinaus: Zusammen, Kinder und Arbeit. Eigentlich brauche ich nicht lange zu überlegen. Ich will Birgit, und mit ihr Kinder und damit auch das Weitere. Die ganze Palette der Konsequenzen. Ich bin einfach nicht dafür geschaffen, alleine zu sein. Ich bin es zu lange gewesen und kann es langsam beurteilen.
Ich muss jetzt mein Leben und mein Geschäft in Ordnung bringen, denn wenn das mit
Birgit in Ordnung geht, dann muss alles bereits in der richtigen Bahn liegen.

22.5.74
Über B. und mich! (ans I Ging)
Es bereitet mir Mühe, meinen Vorstellungen Folge zu leisten, und wenn es überhaupt mit uns beiden gut geht, dann liegt der dornenvolle Weg von viel Arbeit vor mir.
Ob ich jemals dann zum Malen komme? Es ist zum Kotzen, man wird hin- und her gerissen und man bittet die Götter um Gaben, die man oft nicht verkraften kann, weil man sich die Konsequenzen nicht genug überlegt. Es ist in der letzten Zeit nicht mehr von Kindern die Rede und ... ich bin wirklich gespannt, wohin die ganze Geschichte noch hinführt. Ich bin natürlich frustriert, weil ich noch nichts habe, jetzt muss ich alles in kurzer Zeit nachholen. Und Birgit ist eine Frau mit Ansprüchen.

24.5.74
About Birgit and me (ans I Ging)
Es ist sehr schwer, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, aber das heißt auch unter widrigsten Umständen korrekt bleiben. Ich muss auch, es ist alles so traurig.
Wenn ich in ihrer Nähe bin, dann glaube ich alles und später wieder das alte Misstrauen, es ist zum Kotzen. Ich sehne mich nach einem Leben, wo dieses Misstrauen, diese Angst vor der Enttäuschung nicht mehr ist.

15.6.74
Es ist zum Kotzen, bei den  anderenTypen läuft alles so stinknormal, und bei mir immer diese Komplikationen. Alles scheiße.
Nicht ganz, denn ich habe Dich sehr lieb (Die Worte stammen von Birgit)

17.6.74
Ich habe Birgitt so lieb dass ich – na was? Ich möchte sie wirklich heiraten!!!

26.1.75Walter Reinhardt Tagebücher 1975
Die Lampen sind fertig, und nun kommt der Laden dran. Ich muss alles ordnen, wenn das doch mit den Schulden ein bisschen schneller ginge. Wenn ich den Laden so weit habe, dass ich ihm meinen Stempel aufgedrückt habe ...

12.2.75
Eine einfache Komposition aus Strichen erstellen und dann lange anschauen, dann die Augen schließen und das Echo-Bild studieren und gegebenfalls malen.

25.2.75
Ich habe heute so ein ungutes Gefühl, es sind wieder diese alten Sachen WEVG + Steuern, naja, wird schon werden. Es ist so schwer und dauert so lange, bis man aus den Schulden raus ist, und ich möchte dem Mops doch alles bieten und der Mutti. Aber mir geht es in allem wie in der Malerei, kurzen Perioden der Fruchtbarkeit folgen lange Perioden der Lähmung.
Die Beschäftigung mit der Farbe wird mir bestimmt einiges bringen. Jetzt kann ich langsam wieder anfangen zu malen.
Ich muss bloß mein Ziel immer im Auge behalten, dann erreiche ich es auch.


27.3.75Walter Reinhardt Tagebücher 1975
Langsamer Wiederanfang des Malens durch Naturstudium. Es ist zum ... ich muss immer wieder neu anfangen, die Götter lassen es nicht zu, dass ich einmal eine kontinuierliche Entwicklung durchmache. Dabei ist ja gar nicht die Frage, was könnte ich, wenn ich –, sondern wie kann ich (was muss ich tun), damit ich nicht in Selbstbewunderung versinke, nicht so werde, wie ich nicht sein will, vergesse darüber nachzudenken, was ich will und etc. usw. Vor allem die finanziellen Dinge regeln, damit ich endlich darangehen kann, "in Ruhe" Geld bunkern und der Laden an der Ostsee o. Nordsee ... Hoffentlich dauert es nicht mehr so lange.

4.10.75
Drei Wochen in Urlaub, und es war sehr schön. Den nächsten Urlaub werde ich allerdings etwas ruhiger verbringen, mal sehen, wie Birgit darauf reagiert!
Wir sind losgefahren und wollten ursprünglich nach Köln.
Aber ab Dortmund haben wir uns verfahren, sodass wir abends in Utrecht Halt machten.
An einer Gracht haben wir übernachtet. Dann nach Leiden und von dort nach Amsterdam über Rotterdam nach Knokke und Brügge. Rotterdam, Chalet Suisse, Amsterdam, Cafe Bohème und das Grillrestaurant.

Ich kann nicht malen, ich konnte noch nie malen, ich werde nie malen können.
Was ich mache, ist Zusammensetzung.Walter Reinhardt Tagebücher 1975
Ich muss jeden Tag üben und aufhören, meine Kraft an Dingen zu verschwenden, die nur Kraft kosten, und die Energie verpulvern!

10.10.75
Ich muss jetzt langsam daran denken, den Umbau des hinteren Raumes zu planen, dann die Thekenrückwand, die Lampen hinten und die Damentoilette.

2.12.75
Man macht immer Pläne und dann? Man muss immer Pläne machen, weil man die alten nicht ausführt, und um einen Sinn in diesem Leben zu bekommen, macht man Pläne. Es wird Zeit, dass ich wieder etwas von dem verwirkliche, was ich mir vorgenommen habe.

Nun stehen 7 Glasscheiben vor mir und ich gehe einfach ran, weil mir nichts anderes übrig bleibt. Endlich kann ich malen, was ich will und nichts als malen.
Hoffentlich geht mir die Freiheit nicht auf den Wecker.

13.6.75
Das Haus ist renoviert und jetzt kommt drinnen alles neu. Die Hinterglasbilder sind natürlich noch nicht fertig, und ich muss malen wie ein Teufel, wenn ich nicht alles verlernen will.

15.7.76Walter Reinhardt Tagebücher 1975
Die einen nennen es inneren Schweinehund, die anderen biologische Uhr.
Im Augenblick jedenfalls bin ich in einer depressiven Phase, es gibt bei mir eine kurze, alle ein bis zwei Monate wiederkehrende Phase, in deren negativer Phase z. B. all die Dinge, die ich positiv getan habe, negiert werden. Pfunde, die abgebummst wurden, werden wieder angefressen. Diese Schizo-Situation von Betrieb verlangt von mir alles oder nichts.
Auf der einen Seite alles, weil der Betrieb es verlangt, auf der anderen, weil es für mich keinen größeren Status zu erreichen gibt, es herrscht eine Antriebslosigkeit vor, die mich
noch nicht einmal die primitivsten Aufräumarbeiten erledigen lässt.

17.7.76
Jetzt habe ich mir einen Mont-Blanc-Füller gekauft, 55 DM, wenn ich Geld habe, dann fällt es mir sehr schwer, es zusammenzuhalten.
Jetzt will ich mit dem Füller malen wie mit dem Spritzgerät.
Ich muss zu dieser Ursprünglichkeit durchdringen, mit der ich alles malen kann, was mir gerade einfällt.

19.7.76
Wenn mich der neue Füller nun dazu veranlasst, jeden Tag eine Tagebuch-Eintragung vorzunehmen und mich gleichzeitig daran erinnert, dass ich abnehmen will, dann hätte
sich diese Investition schon ausgezahlt.

20.7.76
Pongratz und Wölfli malen ungeheuer schwer. Ich muss mich mehr auf die Leichtigkeit konzentrieren. Bilder mit Pflanzen und sonstigen ornamentalen Hintergründen, durchaus mit stark leuchtenden und schillernden Farben.
Außerdem muss ich mir ein Thema stellen. Beaudelaire oder Michaux oder eigenes. Und Aquarell, evtl. Gouache. Öl + Acryl später.

20.9.76
Warum soll ich nicht so malen, wie ich fühle?
In Zukunft muss ich mich mehr dem Zeichnen und Tagebuchführen widmen, es ist auch besser, alles in einem zu haben. Wenn ich es mit dem Tagesbericht führe, dann komme ich doch zu einer gewissen Regelmäßigkeit, die ich anstrebe!

22.9.76
Wenn ich mir etwas wünsche, dann rufe ich immer die Götter an, aber ich habe mir keine Gedanken darum gemacht, was das für Götter sind.
Gott kann ich nicht anrufen, denn dann wäre ich umsonst aus der Kirche ausgetreten und dieser Christengott ist nicht mein Gott. Ich weiß auch, dass es keine Götter gibt. Aber um sich selbst so weit zu bringen, damit man das tut, um die Verwirklichung der Wünsche
in Gang zu bringen, benötige ich komischerweise die Götter.
Ich habe mich gefragt, wenn ich nicht den Gott und nicht die Götter anrufen darf, wen soll ich denn dann anrufen?
Großes Gelächter über mich selbst!

22.9.76
Irgendwie hängen diese Depressionen mit den Dingen zusammen, die man nicht tut, oder nicht getan hat, obwohl man genau weiß, was zu tun ist.
Das fängt an mit den morgendlichen Liegenbleiben bis zum Rumgammeln während des Tages, um wichtiger Arbeit aus dem Weg zu gehen! Da ich weiß, was zu tun ist und ich langsam durch mein Verhalten immer Schuld ansammle, durch meine Vogel-Strauß-Politik, gerate ich in regelmäßigen Abständen in eine Depression!

3.10.76
Heute hat der Mops angerufen und hat mich gefragt, ob ich ihn noch lieb habe. Na klar.
Bloß wird es Zeit, dass er nach Hause kommt. Ich komme langsam voran.
 
8.12.76
Die Küche in Betrieb genommen und den Flur angemalt. Dies ist ein ewiger Kampf um die Beherrschung des Chaos.
Auf jeden Fall muss ich mich zusammenreißen und versuchen, noch System in mein Leben zu kriegen. Das Geschäft nimmt einen zu großen Teil meines Lebens ein.

4.12.76
Heute bin ich ziemlich depressiv, ein Tiefpunkt. Komm nicht in die Gänge und überhaupt – mit meinem System ist es auch nichts, denn die Antwort auf dieses starre System ist dann die Weigerung, es zu tun. Es ist zum Kotzen.

31.1.77
Bin am 16. im Burghotel mit der Mutti gewesen. Es war alles ausgezeichnet, und ich bin begeistert. Aber selber so einen Laden – dann lieber so eine Mischung von Backstube und Haus Grashoff. Aber wie viel Kohle, fragte er sehr gefasst?
Mir bleibt nichts als ein Lottogewinn. Erste Generation zu sein ist halt schon ganz schön scheiße.

22.3.77
Das Café Winuwuk in Bad Harzburg wird verkauft, und ich habe kein Geld. Ich bin schon etwas niedergedrückt. Zumal 450.000 DM Anz., Rest Rente. Naja, da kann man nichts machen.
 
(mit Schreibmaschine getippt)
Ja, ich habe das schon so oft gesehen, na und? Da lassen sich Leute Schreibmaschinen
schenken und fangen nichts damit an. Schlimmer, sie glauben, dass sie mit der Schreibmaschine den Literaturnobelpreis gekauft haben, oder den Pulitzer Preis.

Ich habe das Sterben bei einem Frauenschuh erlebt, kurz vor dem Verwelken, das Sterben einer Blume, konnte man die Struktur sehen. Jede Ader, alles, alles war so fragil, so fragwürdig, die Maske abgelegt, die Haut wurde immer dünner und dann es fing bei der Blüte an, über die Verbindung von Blüte zum Stiel bis zu diesem, dann neigte der Stiel sein Haupt.
Wann hört Leben auf?
Was ist Tod?
Fragen wie am ersten Tag – jetzt 44, seit ich 15 war und früher. Die anderen, nein sie werden weder glücklicher als ich, noch sind sie es.

1.4.77
Die Erde ist kein kosmischer, sondern ein komischer Irrtum.
Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum Leben existiert. Der Rest ist doch viel sauberer + schöner.

5.4.77
Charisma, Ausstrahlung – was ist das?
Ein Typ mit meiner Ausstrahlung ist in der Lage, einen ganzen Landstrich unter seine Kontrolle zu bringen. Das heißt unter anderem, Landtagsabgeordneter zu werden. Und dann? Dann ist die Möglichkeit für den persönlichen Einfluss vorbei. Dann ist man nur noch Fraktion.
Der Ausdruck Fraktion ist schon unmenschlich. Er ist ein Zeichen für schwache reaktionäre Reaktion.

22.4.77
Winuwuk wird immer noch verkauft. Aber ich weiß nicht, ob ich es noch haben will, am liebsten ein Lottogewinn, und einen Bauernhof (Resthofstelle) kaufen und mit Federvieh und viel Zeit, das Leben sinnvoll verbringen.
Der (Arik?) Brauer kann im Grunde genommen ebenso wenig malen wie ich. Es sind einfache Kompositionen. Vorzeichnung und ausmalen, der Rest ist dann einfach da.

Langsam wird mir unheimlich. Durch die Folie kann ich jetzt langsam mit meinen
Memoiren anfangen. Das wird ziemlich lustig werden. Ich muss so eine Mischung zwischen Burroughs und Éluard werden. Natürlich mit kleinen Bruchstellen.
Die Darstellung von Tinguely in „Du“ (Zeitschrift, umfassendes Porträt in einer Ausgabe aus dem Jahr 1977) ist einfach umwerfend, so etwas muss ich auch machen. Nein, es ist einfach die mir gemäße Form – so etwas mit Bildern und dann als Zettels Traum. Das ist etwas, womit die Leute etwas anfangen können. Die Bilder am besten in Farbe, und ich mache eine Enzyklopädie, dass im Abendland nur so die Wände wackeln. Ich werde alles verarschen, und nur Dinge übrig lassen, vor denen in der Gunst des Augenblicks strammsteht.
Damit sind wir wieder am Anfang. Reform des gesamten Wissens. Ich werde nur bruchstückhaft alles wiedergeben, wie ich alles nur bruchstückhaft aufgenommen habe. Man muss schreiben, wie wenn man es selbst getan haben könnte. Aber wer kann schon so schreiben. Wer ist das Chamäleon, das die Augenblicke einfangen kann wie ein Videorecorder. Scheiß dann auch auf die Rechtschreibung …

9.5.77
Der Gourmet ist immer ein seltenes Exemplar gewesen. Der Gourmet ist der Dichter, der einsame Wolf, der verwöhnte Bastard, den man nicht mit Cornflakes und Steinadlern zufrieden stellen kann. Er geht auf Jagd, um immer neue und aufregende Genüsse zu finden. Wird er fündig, kann er so etwas natürlich nicht für sich behalten, er verkündet es der Welt. Und diese Welt, die wiederum aus entwurzelten und sozialen Aufsteigern besteht, geht hin, um die beschriebenen Genüsse nachzuvollziehen, schreien entzückt  „superb“ und plappern ein Parteichinesisch nach, das der Poet, der Feinschmecker, der Genusskünstler in einer Laune des Augenblicks brauchte. Die anderen machen ihr Evangelium daraus. Sie merken nicht, dass man so etwas nicht nachvollziehen kann, sondern dass all diese Sprüche nur dafür da sind, als Anleitung zum Genuss.

10.5.77
Warum bin einfach nicht in der Lage, eine konstante Leistung zu erbringen? Ich beneide diese Leute wie Gerhart Hauptmann oder Thomas Mann, oder Robert Musil, die sich einen exakten Tagesablauf geschaffen haben und nur an ihrem Nachruhm arbeiteten.
Mit Hesse ging das auch nicht anders. Ich versuche gerade meinen Kampf gegen das
Chaos, und ein solcher ist durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu begründen. Meine Wohnung oder mein Leben besteht aus Energiespitzen oder Anhäufungen, dazwischen sind Zonen niedriger Energie. Um zu verhindern, dass sich nun die Amplituden nivellieren, ist eine bestimmte Energie notwendig, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Wird die aufgewandte Energie geringer als die Entropie, nivelliert sich das Energie-Niveau, und es ist entsprechend mehr Energie notwendig, um zumindest den alten Zustand wiederherzustellen.

16.5.77
Ich habe mir heute Fritz von Herzmanovsky-Orlando gekauft. Und ich bin begeistert. Noch mehr als Albert Paris Gütersloh verkörpert er die Wiener Schule. Aus solchen Anfängen ist ein Spektrum von Ringel bis Fuchs denkbar. Natürlich sind die Schüler dieser Leute viel raffinierter, in der Technik und im Sujet, aber sie sind es in einer Weise, die man als marktreif umschreiben kann.
Mich reizt nicht diese beziehungslose Erotik eines Fuchs, ich mag die handfestere Art eines Bellmer bis zurück zu der eines Baudelaire.

6.6.77
Heute Morgen hatte ich einen seltsamen Traum, ich sprach mit einigen Leuten, es war eine Umgebung "Fachwerkhaus-Zelt-Höhle-Behausung". Zum Rücken war alles offen, ich war so lässig hingelehnt wie ich oft im Laden vor der Theke zu stehen pflege. Ich konversierte mit den Leuten und im Gespräch so nebenher sagte ich: „Naja, irgendwann gehen wir ja alle drauf, oder sind wir alle dran“. Darauf sagte  eine Frau, die mit Frau Ahrens eine gewisse Ähnlichkeit hatte, “warum?“.
Diese Frage nach dem Tod in ungeheurer Intensität gestellt mit der ungestellten Frage
"Warum müssen wir sterben?" Warum gibt es dieses Leben nach dem Tode nicht?
Der Tod hat mich schon lange beschäftigt, schon eigentlich schon als Kind mit 4-5 Jahren.

7.6.77Walter Reinhardt Tagebücher 1977
Das Buch von Unica Zürn, ein schlechter Spontankauf, ist etwa das, was ich erwartete. Ein disziplinierter William Burroughs. Der Typ ist bloß so vulgär und die Zürn verträumt. Die Zeichnungen von Bellmer auf der Vorder- und Rückseite sind traumhaft schön und entsprechen in ihrer Melancholie dem Inhalt des Buches.
Maldorodor, Ezra Pound, Saint-John Perse, T. S. Elliot, ich liebe sie – Éluard – das waren Poeten – diese Realisten, vor allem die Sozialisten, kotzen mich mit samt ihrer Relevanz an. Ihre Anagramme wunderbar – sie erinnern mich, dass ich in München Ähnliches unternahm.
Manchmal frage ich mich, warum wird aus mir nichts, obwohl ich alle diese Begabungen  in mir habe? Naja, vielleicht wird’s noch.

27.1.78
Jetzt weiß ich auch, warum ich Blumen und insbesondere Orchideen liebe.
Sie haben eine starke erotische Ausstrahlung, wie David Hamiltons Bilder!
 

30.4.78
Ich male in zwei verschiedenen Stilen, also muss ich, da ich schizophren bin, meinen Produkten zwei verschiedene Namen geben.
Die konstruktiven Sachen sind von W. Reinhardt, die tachistischen von Retlaw Drahnier. Sehr folgerichtig. Eine letzte Begründung, eine folgerichtige Handlungsweise.

20.5.78Walter Reinhardt Tagebücher 1978
Ich habe mir angewöhnt, ernste Dinge etwas lustig zu verkleiden, weil die meisten Menschen nur über schmutzige Witze lachen können.

21.5.78
Eine fragwürdige Leidenschaft lässt einen, bei allem Bewusstsein des Glücks, sein Glück woanders suchen. In Zufall der menschlichen Begegnung, in dunklen Gassen und am Tag auf Marktplätzen und in Cafés.
Dabei ist es immer dasselbe – nach der ersten überhitzten Eruption sucht man in der schlimmsten Schlampe die Seele. Und die Seele? Die bekommt man nicht so en passant. Das ist ein flüchtiger Hauch von Spekulation.
Es ist dasselbe wie die im Zug vorbeihuschende Schöne, die dann für immer im Nichts verschwindet. Man fährt mit einem Zug durch die Gegend und behält eine Szenerie im Kopf, und daraus macht man eine Idylle.
Dieses Suchen nach dem anderen Glück ist eine sublimierte Form der Arbeit. Und Arbeit ist das Einzige, was man dem Tod entgegenzusetzen hat.

12.6.78
So langsam arbeite ich mich an die Lösung des Problems heran.
Moreau, Hugo, Kalligraphie und Tachismus gebändigt durch das Ornament, da kann man sich Atavismen wie Ringel und Pongratz erlauben.
Vor allem in der ungebändigten Kraft des Tachismus kann man sich austoben, bis das Ornament kommt und das Chaos verschwindet.
Ornament, das ist exakte Naturwissenschaft. Die Verklärung dieser Welt mit rationalen, intellektuellen Mitteln.
Tachismus ist das Gegenteil des Erfassens dieser Welt mit der Intuition, diese ist immer gewalttätig, weil sie der Kontrolle durch das Ornament entbehrt.
Es zielt also wieder einmal auf den Ausgleich einfache Synthese, den Kompromiss.
So, etwa so kann es weitergehen.

10.7.78
Angefangen zu malen.
Des Bürgers frommster und schönster Selbstbetrug die Kunst. Damit ist das Rathaus geschmückt. Wie Kafka. Kafka ist überall.

14.8.78
Heute die Katze auf der Autobahn. Ausgedärmt und platt. Ich weiß gar nicht, ob es eine Katze war. Wer kümmert sich um die Seele der Katze? Sie hat keine!
Warum und aus welchem Grunde beansprucht der Mensch für sich eine Seele?
Weil er weiß, dass er sterben muss? Ich weiß nicht. Ich bin wirklich nicht verzweifelt. Und sollte ich nicht mehr leben und jemand bekommt diese Zeilen zu lesen, dann möchte ich hiermit und ohne allen Sentiment erklären, dass ich nicht verzweifelt bin und dass ich nicht an Wiedergeburt, Gott und Seele glaube. All dies hindert mich nicht daran, an einen Gesellschaftsvertrag im Sinne einer Moral zu glauben. Moral ist für mich eine Verhaltensweise, die es mir ermöglicht, meinen Kaviar in Ruhe und ohne Belästigung zu essen.

25.9.78
Gib ihm Almosen, Weib, es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt, als blind zu sein in Granada! Beim Anblick einer spanischen Briefmarke ersehe ich die Strecke, die ich bis jetzt schon zurückgelegt habe. Einst war es ein erstrebenswertes Ziel, in der Zeitung, auf Briefmarken abgebildet zu sein, Konzernherr oder Boss als Ersatz für blaues Blut. Mittlerweile haben sich die Ziele verinnerlicht, dass sogar Malen etwas Extravertiertes ist, man wird auf seine Ursprünge zurückgeführt, man denkt intensiver über den Tod nach und über den Sinn.
Jenes Gehirn als Cyborg, das nur zu denken braucht, und schon verwirklichen Helfer die Gedanken, sodass man zum Schluss sogar des Denkens überdrüssig ist, weil kein Publikum da ist, für das es sich lohnt, etwas zu machen. Wie ein Hund, der sinnlos seine Kunststücke zeigt, die niemand sieht, er wird wieder das, was er immer war – ein Hund,
wieder ein Hund. So muss man die angelernte  Akrobatik überwinden und erkennen lernen, was ist: Akrobatik – und was ist man selbst.
Da bleibt zum Schluss wenig übrig. Wenn etwas übrig bleibt, ergibt das noch lange nicht den Sinn des Lebens.

29.10.78
Ich bin schon auf dem richtigen Weg, es fehlt bloß ein Anstoß.
Und weiter im Text: Wer braucht das zu verstehen?
(handschriftlich, über die folgenden Schreibmaschinenzeilen unleserliche Schriftzeichen)

Texte schreiben in der obigen Form, und dazu Linearübersetzung.
Gedichte schreiben und dazu unleserlicher Kommentar, den niemand lesen kann.
Es kommen ja doch immer wieder Dinge im Leben vor, die besser unausgesprochen bleiben, und in dieser Form kann man auch seine Gedichte komplettieren. Entweder das Gedicht ist unverständlich und der Kommentar ist verständlich oder umgekehrt.
All dieses abwechselnd, damit sich das Volk nicht daran gewöhnt.
Auf diese Art und Weise kann man sogar den primitivsten Umdruck zum Kunstwerk
erheben. Man kann auch mit primitiven Mitteln ausdrücken, was einen bewegt.
Es braucht ja keine Dauer zu haben, es muss Tiefe haben.
Angesicht der Zeit des Universums bedarf unsere Dichtung und Tätigkeit der Tiefe, weil wir ohnehin keine Zeit haben.

28.11.78
Es ist heute kalt. Die Luft weht frisch, und ich sehe gut angezogene Leute spazieren
gehen. Die armen Leute haben nichts anzuziehen. Dies ist ein Lehrbeispiel, wie die Kapitalisten sich die Jahreszeiten untertan gemacht haben. Aber die Kraft des Volkes wird es ihnen schon zeigen. Der Winter als kapitalistische Erfindung.

5.12.78
Das Buch, die verbrannten Dichter. Bei mir ist so ein verdammter Nachahmungs-
trieb. Man sucht, ich suche aber auch nach vollwertigen Ausdrucksmöglichkeiten. Wobei der Akzent nicht auf Ausdruck liegt, sondern auf die Art und Weise, in der man sich von anderen unterscheidet. Ausdruck, etwas zu sagen, hat man ja mittlerweile, bloß muss man noch die Form suchen, in der man das alles gibt, damit man die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht, und außerdem muss es verkäuflich sein.

Die protestantische Ethik fördert die Leistung insofern, als Erfolg ein Indiz  für die Gnade Gottes ist. Damit macht sie sich zum Werkzeug des Kapitalismus. Einer solchen Kirche, deren Endziel die Extraversion ist, habe ich den Rücken gekehrt.
ich kann mich mit Ihren Zielen nicht mehr einverstanden erklären, weil diese Ziele mit der Lebensqualität, wie ich sie mir vorstelle, nicht zusammenbringe.

„Sie sprachen vorhin von der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise des Todes und der religiösen?
Ja, richtig. Sehen Sie, der Naturwissenschaftler betrachtet den Tod empirisch. Er hat im Grunde genommen immer damit zu tun. Ob er nun als Chemiker eine Verbindung in eine andere mithilfe eines Katalysators übergehen sieht, ob der Physiker kurzlebige Teilchen beobachtet, er sieht einer immerwährenden Wandlung der Zustände zu. Der Biologe und der Arzt sehen den Tod, die eigene Art betreffend, täglich zu. Wie etwas geboren wird und wie etwas stirbt. Diesen Erkenntnissen nach ist der Tod ebenso wenig etwas Ungewöhnliches wie bei einem Igel auf der Autobahn. Die Ähnlichkeit mit einer menschlichen Leiche, die auf der Autobahn liegt, sind nicht zu verkennen. Es blutet bei beiden, sie zucken im letzten Stadium und die Farbe des offenen Fleisches, das vom Blut gerötet ist, ist die gleiche.“

Ich weiß gar nicht, warum sich die Leute so aufregen, wenn’s um die Kirche geht.
Anders ist es, wenn man an ein Leben nach dem Tode denkt, dann kann man ja munter auf den Tod zuleben. Man muss sich nur dem Zustand der Gnade befinden, glauben zu können. Denn der Glaube an die betreffende Ideologie ist natürlich unabdingbare Voraussetzung, dass dieses Wunderwerk funktioniert. Aber dann, wenn der Glaube vorhanden ist, kann man munter auf den Tod zuleben.

Nun, Einstein in Ehren ...
Es ist verständlich, in einer Welt des Werdens und Vergehens nach einer Konstanten zu suchen. Es bleibt doch immer Spekulation, weil es müßig ist, nach dem Ende und dem Anfang des Universums zu fragen. Es ist dies eine Ausschnittfrage.
Mit Sicherheit ist das Universum Bestandteil eines viel größeren Universums und so fort.
Man kann so lange fragen, bis man an eine Dimension kommt, in der Anfang und Ende angesichts unserer räumlichen und zeitlichen Vorstellungsvermögens gegenstandslos werden.
Angesichts dieser Tatsache bin ich nur in gewissem Umfang bereit, für eine bessere Welt späterer Generationen Opfer zu bringen. Auf jeden Fall habe ich weder Lust, in einem kommunistischen noch nazistischen Staat zu leben, in dem ich meine Lebensäußerungen gezwungen bin einzuschränken. Ich werde mich meiner Haut schon wehren.
Walter Reinhardt Tagebücher 1978
2.3.79
Ich muss meine Bilder und auch die Musik, die ich machen will, vorher konzipieren.
Die Bilder genau beschreiben und die Musik in ihren Grundzügen, bzw. Stücke festlegen. Dann wird auch was daraus.
Bei der Musik eine dem Malen ähnliche Vorzeichnung, anhand der dann das Finish  stattfindet. Mit dem Tagebuch, der täglichen Kontrolle der persönlichen Leistung, bin ich auf dem richtigen Weg.

2.5.79
Ich habe heute beim Speckbraten über den Tod nachgedacht.
Dabei habe ich einen Artikel in der „Zeit“ über Bestattungen und Bestatter, auch über den geprüften Bestatter, gelesen. Es hat mich nicht beruhigt, Speck zu braten, wie es mich beunruhigt, zu sterben. Irgendwie ist Speckbraten der Sinn des Lebens.
Mir gefällt es nicht, dass ein Sinn so etwas Banales sein kann.
Eine Schlange, die gerade scheißt, das ist auch der Sinn des Lebens.
Wenn es keinen Gott gibt, gibt es auch keinen Sinn. Dann ist auch jede geforderte Leistung vergeblich. Dann ist eigentlich alles vergeblich, was keinen Spaß macht.

20.6.79
Ich habe heute die Tinguely- und Luginbühl-Maschinen gesehen, die bringen sehr originell Klamaukmaschinen mit dem Sinn des Lebens zusammen.
Nun versuche ich, meine Ironie, Sarkasmus etc. in meine Bilder einfließen zu lassen.

27.6.79
Jörg Schulthess – die Bilder, die ich malen will. Und die Bilder, die ich malen wollte.
Dubuffet, der malt, wie ich könnte.
Erst Zeichnung und dann ausfüllen. Es ist eigentlich das, was ich schon immer wollte.
Eigentlich das, was ich schon immer gemacht habe. Ich muss mich bloß motivieren zu arbeiten!!!
 

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