09.05.1982 - 28.10.1985

Walter Reinhardt, Tagebuch 9.5.82- 28.10.85


Eine gewissenhaft dokumentierte, ausgedehnte Italienreise mit Birgit im Sommer 1982 bildet den größten Teil des Buches. Parallel wird ab Mai 1982 der Kauf von Heinemann's Höhe vorangetrieben, das ist hier jedoch nur ein Thema am Rande. Das Tagebuch nutzt Reinhardt ab 1983 nur sporadisch. Er füllt es hauptsächlich mit Zeichnungen, die oftmals seine aktuellen Stimmungen und Empfindungen kommentieren und entsprechende Titel tragen. Nach Rückkehr von der Reise zeugen die Einträge meist von frustrierten, bisweilen sogar depressiven Gedanken. Die geschäftliche Situation der Jazzgalerie und der Stimmung im Dorf werden immer schlechter – Reinhardt meint, dass dort alle gegen ihn sind. Der Verkauf der Jazzgalerie naht.


9.5.82
Mit Ernst geht’s zu Ende.
Hoffentlich dauert es nicht so lange wie bei Mutti. Es ist zum Heulen oder zum Kotzen.
Nichts mehr dran, 40–42 kg, und es geht nichts mehr drauf + Schmerzen.
Mit dem Haus geht’s wohl in Ordnung. Schade, ich könnte Ernst gut gebrauchen.
Aber er will wohl auch nicht mehr.

13.5.82
Morgen entscheidet man über meinen weiteren Lebensweg. Ich bin zu jeder Schandtat bereit. Aber ich könnte mir durchaus den Weg der göttlichen Langeweile vorstellen. Wenn ich im Lotto gewönne – ich würde mich an der Cote einpflanzen.
Und könnte mich königlich langweilen. Eine göttliche Langweile, die ich mit Burgunder Cote Rotie etc. begießen würde. Maximin + Vergé würden mich als göttlichen Gourmet vergöttern.
Im Herbst nach dem Urlaub, da wird ich mich mal richtig vollpumpen mit Einsamkeit und dann den Entwurf studieren, bis ich nicht mehr weiter kann.
Ich weiß dass ich ein Mensch bin, der sehr gut allein sein kann, aber ich brauche auch Publikum, Publiko, Publikum.

Epigramm: Sein oder nicht sein – ist doch egal

14.5.82
Alle Welt regt sich jetzt auf, dass zwar eine Menge der Gastarbeiter, sprich Türken, Tunesier etc. in der BRD bleiben wollen, nicht aber bereit sind sich zu integrieren. Sie igeln sich in Gettos ein und bleiben unter sich, heiraten unter sich. Und die Leute glauben, man müsste nur ein wenig freundlicher sein, und dann sind sie auch schon integriert.
Aus diesem Blickwinkel heraus sollte man sich der Anthropologin Margareth Mead und ihres Buches „... und haltet Euer Pulver trocken“ besinnen, in dem sie den Integrationsprozess der Einwanderer in den Vereinigten Staaten präzise beschreibt. Sogar in einem Artikel in der FAZ, von der ich bisher immer annahm, dass sie top informiert ist, ist kein Wort davon. M. Mead schreibt, dass man erst in der dritten Generation von einer Integration sprechen kann. Vorher sind und bleiben sie ihrer ursprünglichen Heimatmentalität verhaftet.

15.5.82
Am Donnerstag ist die Geschichte mit Heinemanns Höhe durch den Wirtschaftsausschuss! Jetzt muss ich langsam in die Gänge kommen. Mitte nächsten Jahres bin ich Hausbesitzer und habe Schulden von ca. 300 000,- DM.
Naja, mal sehen!

23.5.82
Je älter ich werde, umso mehr geht es mit meinem Leben nach innen. Nach den vielen Reisen in meinem Leben kommt jetzt die Reise in das innere Universum. Habe ich bis jetzt die Optik, das Gehör und das Gefühl geschult, so kommt jetzt als Vollendung der Geschmack und das Riechen. Dies sind sehr vernachlässigte Sinne, die einer intensiven Schulung bedürfen, um unter die Heroen der Feinschmecker wie Curnonsky, Brillat-Savarin, Rossini, Meyerbeer und all die anderen Ungenannten und Ungezählten, eingehen zu können. Dies ist die Vollendung des Lebens. All die Sinne zusammen entwickelt, kann ich endlich daran, mein Leben als Gesamtkunstwerk zu gestalten.

22.5.82
Es ist nachgerade widerlich zu beobachten, wie ich mich wieder besseren Wissens den Leuten anbiedere, nur um zu Ego-Food und exponierter Stellung zu gelangen. Dabei harrt meiner so viel Arbeit. L'art pour L'art, Information um des Gehirnes-Geistes willen.
Die Abtrennung des Restes von der eigenen Art.
Die Abtrennung der Psyche von – na ja, was hab ich mit diesen Chaoten zu tun?
Ich bewundere Leute wie Fruhner, Gröttrup, und diese bewundern mich. Ich, der intelligente Chaot, der alles macht, was sie gern machen möchten. Eigentlich möchte ich noch über die Sicherheit eines Goethe oder Gerhart Hauptmann verfügen.
Ich bin gerade dabei, mein Haus Wiesengrund zu schaffen.

– geboren – totgelebt
Eigentlich erstaunlich, und das macht mich hoffen, dass die Jungen an den Tod, das Rätsel des Endes, des Endgültigen denken. Aber war das nicht immer schon so?
Jedenfalls ist das ein blöder Spruch.

Reinhardt und Birgit brechen auf nach einer Reise mit dem ZIel Rom. Übernachtet wird auf Campingplätzen und unterwegs werden ausgiebig die sehenswerten Orte und Museen auf der Reiseroute besichtigt und die kulinarischen Angebote des Landes verköstigt. In Deutschland werden zunächst auch Freunde besucht.
Der Route führt über Schlitz, Fulda, Stuppach, Weikertsheim, Creglingen, Rothenburg ob der Tauber, Schillingsfürst, Feuchtwangen, Nördlingen, Dinkelsbühl, Neresheim, Kloster Waiblingen, Ulm, Zwiefalten, Sigmaringen, Überlingen, Birnau, Lindau, über die Schweiz mit Ascona und den Monte Verità nach Italien: Como, Monza, Mailand, Pavia, Piacenza, Cremona, Parma und Modena, Bologna, Forli, Faenza, Ravenna, Cesena, Rimini, Riccione, Perugia, Assisi, Spoleto, Piedeluzzo, L'Acquila, Tivoli und Rom. Der Rückweg führt über den Bracciano-See, Viterbo und Urbino.


Sonntag, 4.6.82
Gestern Morgen abgefahren und zu Julius. Es war eine Abfahrt mit Hindernissen.
Ernst ins Heim gebracht und dann so um 1 Uhr am Freitag ab. Für Frau Kenberg und Marburg war es zu spät, also nach Schlitz. Julius hat ein etwas verkommenes Fachwerk- haus gekauft und lebt ähnlich wie in München.
Es gab eine tierische Sauferei mit einer sinnlosen Diskussion, wobei wir beide nicht qualifiziert geredet haben. Heute Morgen so um 1 Uhr Aufbruch nach Fulda.
Die Stadt des Bonifazius und eines riesigen Doms, der gerade zum Teil renoviert wurde. Eine sehr großzügige Anlage mit Residenz und Orangerie und der sehr alten Michaeliskapelle.
Anschließend nach Stuppach und auf den Campingplatz, nachher duschen und dann ins Bett. Morgen geht’s nach Weikersheim und Creglingen, nach Rothenburg ob der Tauber.

Die Stuppacher Madonna ist ein Bild von furchterregender Schönheit, perfekt wie alle Grünewald-Bilder. Detailgetreu bis zum Gehtnichtmehr.
(Zeichnung Pfarrkiche Maria Krönung)
In Rothenburg den Heilig-Blut-Altar von Riemenschneider bewundert und von dort nach Schillingsfürst, dem Dornröschenschloss. Schillingsfürst ist ein Schloss nach meinen Wünschen – verwunschen, verkommen. Dekadenz. Schillingsfürst hat die schäbige Eleganz eines, sagen wir mal, Eric Satie. Wie manche 3-Sterne-Restaurants, die vom Ruhm der Vorlehre leben.

Von Schillingsfürst über Feuchtwangen nach Dinkelsbühl und Nördlingen. Alles schöne alte Städtchen, in denen man gut Bratwurst kaufen kann. In Dinkelsbühl bei Rothemund.
In Kloster Neresheim ein Barock von Balthasar Neumann, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Licht, klar und zu einer eindeutigen Aussage bereit. Keine überflüssigen Schnörkel. Das Wesentliche in der Liturgie ausgedrückt im Herrschen.

Durch Beherrschung der Mittel
Bis zur Gotik wurde beherrscht durch die Wucht der Persönlichkeit, von dort an wurde beherrscht durch intellektuelles Kalkül.
Die Morphologie der Macht und des Herrschens!
Danach Kloster Waiblingen mit Bibliothek. Eine Omi führt uns durch Kirche und Bibliothek. Mit von der Partie war eine ganze Schulklasse von 11-12-Jährigen.
Im Ulmer Münster ein bisschen gotische Architektur studiert, Obermarchtal war Wahnsinn, barock, Zwiefalt mit Brauerei.
Sigmaringen mit Burg + katholischer Kirche, die Burg im pompösen Stil.
Überlingen nach Birnau, super Barock, über Lindau nachts angekommen. Dort das Auge Gottes erkannt und die beiden Reliquien-Augen gesehen.

Freitag 10.6.82 (Fronleichnam)
Gestern Abend zwischen Wasserburg + Lindau übernachtet und dann über Lindau nach Ascona. In Chur im Café Büchli zwei Eisbecher, einen Tarte Tatin zwei Café verzehrt.
Von dort nach Ascona gefahren.
Unterwegs, d. h. noch in Lindau vor der Grenze, ist mir eingefallen, dass in Ascona ja der Monte Verità ist. Nun sind wir in Ascona und morgen schauen wir uns Monte Verità an.
Im Prinzip ist das nichts anderes als eine Reverenz an meine geistigen Vorfahren.
Außerdem sind wir im Schloss Weikersheim, dem Stammschloss der Hohenloher, gewesen. Ein schönes Schloss mit einem sehr schönen Garten und in der Mitte mit einem sehr schönen Brunnen. Das Schloss wurde 1967 für 5 Millionen verkauft.
Von dort nach Creglingen zur Madonna, Detwang, anschließend nach Rothenburg ob der Tauber. In Creglingen war Sängerfest, so richtig traditionell. Im Hirsch eine Bratwurst gegessen und ein schönes Mädel gesehen!

6.82Walter Reinhardt Tagebücher 1982
In Ascona übernachtet, und des Nachts fing ein Gewitter an. Es hörte nicht auf bis zum anderen Tag. In strömenden Regen zum Monte Verità, zur Villa Anatta.
Geschlossen. Sie, die Villa machte einen sehr geschlossenen Eindruck. Wenn man  an die Vergangenheit denkt: Die Natur-Philosophie Gusto Gräsers, Bakunin, Steiner, Mary Wigman. Es stimmt mich nicht wehmütig, sondern es ruft in mir dieses Gefühl hervor, wenn man den Verfall studiert und daran seinen eigenen Verfall erkennt.
Von Ascona über Lugano nach Como! und den Dom angesehen. Links daneben angebaut der Stadtpalast Bellotto von 1215. Der Dom merkwürdiger Mischstil. Kaum zu fotografieren, weil zu eng und kleiner Platz. Die Marmorsäulen des Bellotto schon vom Zahn der Zeit stark angenagt. Ein Bild eines gemütlichen, vor sich hindämmernden Verfalls.

Von Como aus nach Monza über Landstraßen.
In Monza direkt neben der Rennbahn von im Kreise kurvenden Autos genervt worden.
Der Dom und die Altstadt waren sehr schön. Besonders beeindruckend die reich gegliederte Fassade, die trotzdem von klarer proportionaler Gestaltung war. In Monza war gerade Gottesdienst, und ein Vorsänger in Jeans und Polohemd war schon komisch. Man stellt sich das immer so feierlich vor. Während die Italiener das scheinbar nicht so sehen. Die eiserne Krone der Langobarden angeschaut und im Museum einen schönen Domschatz. Der Dom mit einer Ausmalung des 18. Jahrhunderts, mit Szenen aus dem Leben der Theodelinde.

Von Monza aus, wo wir 2 Tage blieben, nach Mailand.
Der Dom, dieses bedeutende Bauwerk der Gotik in Italien. Wahre Wunderwerke sind die Türen voll plastischer Marien und Heiligenfiguren in feinster Arbeit. Die Türen von Dom in Florenz mögen zwar schöner sein, aber in ihrer Kunstfertigkeit sind die Mailänder kaum zu übertreffen! In der Galleria Vittorio Emmanuele Savini meine Reverenz erwiesen.
Dann anschließend im Castello Sforzesco gewesen. Eine denkwürdige Ausstellung von Leonardo da Vinci gesehen und vor allem das Deckengemälde mit den Bäumen als Labyrinth. Im Castell selber eine mustergültige Hängung von Bildern der Romanik bis zum Barock. Dann in Sant Ambrogio, wo der Heil. Ambrosius begraben liegt. Eine wahrhaftig gigantische Anlage, die in ihrer Konstruktion und Grundriss Maria Laach ähnelt. Nicht zu vergessen im Castello die „Pieta Rondanini“, Michelangelos letztes Werk. Anschließend in S. Eustorgio gewesen und in der Galleria d'Arte Moderne.

Von Mailand aus nach Pavia.
Im Dom der ehemaligen Langobardenhauptstadt ein feierliches Hochamt zu Ehren S. Francescos mitgemacht. Wir hatten einen Campingplatz am Fluss mit einem bemerkenswertem, freundlichen, netten + gutaussehenden Campingwart. Am Abend sind wir zum Dom getigert, da war schon große Aufregung und Geschäftigkeit wie in einem Ameisenhaufen. Carabinieri, Polizia und ein Haufen Geistlicher stiegen aus dem Auto und eilten dem bischöflichen Palast zu.
Wir beschlossen, erst einmal zu essen und uns dann die Féte anzuschauen. Eine ausgezeichnete Pizzeria und Ristorante erwartete uns und wir aßen Pizza und  ich vorher Antipasti Marinara. Danach im Dom. Wir kamen, als die Prozession gerade vorbei war und sie zurückkamen. Es waren etwa 30 Kardinäle und Bischöfe dabei. Es war grandios. Besser als eine Aufführung in der Scala.
In Pavias Pietro in Ciel d’oro Grabmal Augustinus + Boethius!

Von Pavia über Piacenza nach Cremona.
Ab Piacenza fuhren wir auf der ehrwürdigen Via Emilia, die nach Rimini in die Via Flamina übergeht und dann nach Rom führt.
In Piacenza der Palazzo Comunale mit den beiden Reiterstandbildern der Farnese, der Herzöge dieser Gegend. An den Dom kann ich mich im Augenblick beim besten Willen nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall lombardische Vorhalle mit sehr verfallenen Löwen.
Der Palazzo Farnese war geschlossen. So blieb es mir verwehrt, die berühmte Bronzeleber anzusehen.

In Cremona hatten wir bei Dom und dem Baptisterium während der Mittagszeit Pech, er war zu. Der Dom auf einen Platz mit Palazzo Comunale und Loggia dei Militi.
Das Museum mit einem verrückten Arcimboldo. Keine Karten. Keine Dias. Naja, sonst sehr schön.

Von Cremona über Parma und Modena nach Bologna. Parma. Dom + Baptisterium, die Jahreszeiten von Antelami, im Dom der Bischofsthron von Antelami und die Kuppel von Correggio. Außerdem noch 3 Seitenkapellen von Parmigianino. Von dort nach Modena.
Wieder ach wie selten ein mustergültiges Museum mit einem Riesen-Altar von El Greco
und sehr schönen etruskischen Skulpturen, eine wunderschöne Portraitbüste eines d'Este von Bernini. Ein chinesischer Zierschreibschrank mit Darstellungen aus der Tierwelt in Perlmutt und Stein, der einen Lalique hätte erblassen lassen. Einen riesigen Haufen von ausgemalten Handschriften in Vitrinen. Außerdem ein merkwürdiges Holzbildrelief als Memento Mori.
Von Modena nach Bologna, dort 2 Tage geblieben. Der Dom, eines der größten Bauwerke seiner Zeit, ist gewaltig, ebenso das Delikatessengeschäft um die Ecke. Wir waren dann noch in S. Domenico, wo der heilige Dominikus in S. Francesco begraben liegt.
Palazzo Comunale. Pinakotheka hatte wegen Feiertag geschlossen. Die Galleria d'arte moderna hatte offen, und ich sah eine schöne Ausstellung von Morandi und eine Modeausstellung von 1940 bis 1970. Seit dem 18. sind wir in Ravenna und machen 2 bis 3 Tage Pause.

26.6.82
Nun sind wir in Tivoli. Aber chronologisch.
Wir sind am 21., nachdem wir von Donnerstag, 17., abends, bis Sonntag gefaulenzt hatten, in Richtung Forli gefahren. Vorher sahen wir uns in Ravenna noch einmal San Vitale, das Mausoleum der Galla Placidia und Sant'Apollinaire in Classe an.
San Vitale schlägt alles, was ich weit und breit gesehen hatte. Wenn ich an die Marmor- verkleidung innen und außen denke – gewaltig. Durch Forli durchgefahren und den Dom Santa Croce angeschaut, es war leider Fiesta und so haben wir uns auf der Piazza ein königlich gut schmeckendes Eis geleistet und sind dann nach Faenza gefahren. In Faenza war das Internationale Keramik-Museum trotz Michelin geschlossen. Und so beschlossen wir, eine Nacht in Faenza zu bleiben.
Ein Campingplatz war auch in der Nähe, und wir hatten angenehme Nacht beim - Schotten. Am Abend konnten wir uns auf dem Campingplatz einen Film und eine Dia-Show ansehen, die über Reiter und Ritterfestspiele berichtete, ähnlich wie in Siena. Bloß hier waren es fünf Dörfer mit jeweils 50 Rittern, Edelleuten, Kriegern und Edelfräulein. Der Chef der Gruppe von Faenza zeigte uns alles, auch die fünf Pferde.
Am Abend aßen wir bei Achille Carine eine ausgezeichnete Vorspeise + Pasta und mäßiges Fleisch.
Am anderen Tag ging’s weiter über Forli, Cesena und Rimini nach Riccione, wo wir Rast machten, Mittag aßen.
In den unteren Befestigungsanlagen unter Arkaden waren seltsame Vögel, die „Tschau“ sagten und pfiffen wie die Gassenbuben.
Von hier ging’s durch die Berge und 180-Grad-Serpentinen nach Perugia. In Perugia angekommen, fuhren wir etwa 20 km in die Irre und wussten immer noch nicht, wo Perugia ist. Es war Nacht und kein Campingplatz in Sicht. So beschlossen wir auf einem Parkplatz zu nächtigen. Am anderen Tag erlebten wir Perugia als quicklebendige Stadt mit Haufen von Touristen wie in Urbino. Birgit hatte sich ihren Fuß verletzt und so besahen wir uns von außen alles recht gründlich, ebenso den Kommunalpalast mit Fresken aus dem 14. Jahrhundert.
Dann haben wir das teuerste Eis von beschissener Qualität gegessen. 5000 Lire=10,-DM auf die Faust. Spätere Entschädigung  war eine gute Bar mit einer Einrichtung aus der Jahrhundertwende. Das Essen war gut, und Cafe + Kuchen gab's hier. Dolci rundeten das Vergnügen ab, wobei man nicht auf den Pfennig sieht, wenn wenigstens Qualität und Umgebung stimmt.

Von Perugia aus ging's an dem Tag nach Assisi, wo wir die Hauptkirche Basilika San Francesco besichtigten. Unter dem Grab und um herum seine Mitstreiter, darüber in der Unterkirche Cimabue in Gold-Look, darüber in der Oberkirche ein Freskenzyklus von Giotto – sein Hauptwerk – und in der Apsis  und im Seitenschiff wieder Cimabue.
Birgit war ganz kaputt und ich habe sie von oben abgeholt. Dabei habe ich den  Geräuschdämpfer und das Endrohr vom  Auspuff verloren. Ich musste es am anderen Tag in Spoleto machen lassen. Kosten 60,-!
Vorher übernachteten wir in Petrognano und feierten Birgits Geburtstag mit italienischem Spumante brut mit Guinness, also Black Velvet.
Spoleto! Eine ganz süße Stadt. Mittelalterlich bis in die Außenbezirke und mit einem wunderschönen Dom + Domplatz. In einem Palazzo auf dem Domplatz rechts eine Ausstellung von Balthus. Ein besonderer Leckerbissen. Mittags zusammen einen Trüffeltoast und anschließend Spaghetti und Tortellini mit Trüffeln gegessen.

Außerdem haben wir uns zwei Trüffeln gekauft und uns zubereitet, aber die Italiener haben es besser drauf. Danach haben wir uns ungern von Spoleto getrennt – vorher haben wir eine kleine Odyssee durch Foligno hinter uns gebracht und fuhren dann weiter über Terni nach Piedelucco am Lago und übernachteten dort, nachdem wir uns vorher die Cascata delle Marmore angeschaut hatten.

In Piedeluzzo am gleichnamigen See übernachtet (Wespennest) und fuhren anderen Tag nach Tivoli. Vorher schauten wir uns in L'Aquila den zauberhaften Dom an. In Tivoli Freitag + Samstag geblieben und die Villa d'Este mit den großartigen Gärten im Stil des Manierismus angeschaut. Die Villa selber präsentierte sich in schäbiger Eleganz, und für ein solches Wunderwerk könnte ruhig mehr getan werden. Aber Italien ist ja voll von solchen Häusern, und wo sollten sie am ehesten anfangen? Die Villa Adriana besuchten wir am Tag vorher. Ein gewaltiges Bauwerk, ausgeschmückt mit immensen Kunstwerken.
Man kann das nur ermessen, wenn man in den vatikanischen Museen gewesen ist und in Villa Borghese und im Kapitol.
Zwei Nächte waren wir in Tivoli und am letzten Abend noch big féte mit den Italienern und einem immens schweren Kopf. Und am Sonntag fuhren wir nach Rom. Fanden den Campingplatz nach einigen Mühen und legten uns dann schlafen.

St. Maria Aracoeli, Kolosseum, Termini, Thermen Diokletian zu!
Dienstag Galleria d'arte Moderna. Magritte + Klimt Lebensaltar, Galeria Borghese + Pinakothek. Mittwoch vatikanische Museen bis 2 Uhr, Donnerstag Vatikan + S. Pietro, Palazzo Doria Pamphilj + Kirchen, Sonntag Galleria d’arte Fruste Cimiterio + Via Appia Antica, anschließend nach Bracciano See und Dienstag noch Viterbo!
Das Tagebuch wird weiter fortgesetzt, aber Rom – da ist Paris ein Parvenü. Vielleicht werde ich im September, Oktober noch 4 Wochen nach Rom fahren. Italien, der Traum der Franken!

Von dort ging’s im Eilmarsch in die Berge nach Urbino, die Geburtsstadt Raffaels.
Ein Städtchen, auf und an den Fels geklebt, alles in hellem Ocker und verschachtelt wie in lebendiges Bild der Kubisten und den zarten Farben der späten Aquarelle von Cezanne. Wir schauten uns den Palast an und gingen ein wenig herum.

(Ende der Reise)

Es folgen eingeklebte Zeitungsausschnitte, in denen vom Tod Adolf Portmans und Alexander Mirscherlich berichtet wird.

Der Tod von Portman berührt mich persönlich. Der von Mitscherlich durch den Artikel nicht weniger.

Idee für einen Comic mit meinen Figuren aber auch Theaterstück, als Scheibenmarionetten wie javanische Schattenspiele, eher als Hampelmänner.
Theater!
Gedicht-Erzählung: Theaterstücke, 1x Handlung ganz banal, immer wieder unterbrochen von Assoziationen – Zitaten – wissenschaftlichen Formeln – etc. Eklektizismus!
Ein ganz gewöhnlicher Zuhälter der Hure Kunst – Bibliothek, Friedhöfe der Ideen.

Und so wirst du an den Punkt gelangen, wo du die diplomatischen Beziehungen mit der Realität abbrichst und dich endgültig im Bereich der Träume, der Wünsche + Hoffnungen akkreditierst.
Dieses Stundenbuch ist nichts anderes als die ungeduldige Ausschreibung der Träume in der Realität. Immer wieder, seit ich zurückdenken kann, kämpfe ich, schlage ich mich damit herum. In letzter Zeit hüte ich mich realistisch zu sein. Ich muss sagen, es bekommt mir. Ein Stundenbuch der trüben Stunden. Nicht übermäßig erfreulich, aber sehr schleimig. Überhaupt, schwache Stunden sind schleimige Stunden.

Die schönsten Stunden sind die des grünen Schleimes. Man schafft Welten und Landschaften und so wirklichkeitsnah sie auch sind, sie bestehen nur aus grünem Schleim. Dieser grüne Schleim ist solange ein willfahriges Instrument meiner Gedanken, solange er nicht mit den Realitäten dieser Welt in Berührung kommt. Bekommt der  grüne Schleim in Kontakt, dann verwest er wie jeder irdische Metabolismus unter unerträglichem Gestank.
So geht es mit unseren Träumen. So, also halte deine Träume fern der Realität. Sie werden es dir vergelten, indem sie dich umgarnen wie eine emsige Spinne mit einem Netz aus Wünschen und Hoffnungen.

Blick aus dem Krankenzimmer (von Mops)
Meine Gedanken sind leer, der Blick lastet schwer auf den kleinen Ausschnitten, die das Fenster bietet.
Ein helles Grau krönt den schneebehangenen Himmel,
die Gerippe der Bäume stehen silhouettenhaft in der Ferne.
Nichts regt sich,
es ist alles still und
leer. Leer wie meine Gedanken.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, im Bewusstsein, wofür man lebt .
Was hat so ein Gnom wie Hitler gedacht, bevor er ein Stück Weltgeschichte wurde?

Ganz gut – habe Zeit für die Filme: Fitzgeraldo! Célésté! Kamikaze, Tag der Idioten!

7.12.82
Nun ist alles durch und ich komme mir vor wie Sisyphos, weil ich mir es auch nicht leicht mache. Leicht ist es, sich für etwas zu entscheiden und damit die Vielfalt aufzugeben, während ich mich nie entscheiden kann. Irgendwann muss ich sterben und ich möchte die Vielfalt auskosten und mich nicht von der Eintönigkeit auskotzen.
Salzgitter-bitter-Song.Walter Reinhardt Tagebücher 1982



















22.1.83Walter Reinhardt Tagebücher 1983
Heute in Hamburg gewesen und im Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung „Möbel perdu“ gesehen. Ausgesprochen lustig. Da war eine Sonnenliege, die mit Topfkratzern beklebt war. Perlonkratzer und bunt, blau, rosa, gelb und weiß. Ich stellte mir vor, es käme aus der Tür eine dicke Torte mit Bikini wie Erika oder eine Figur von Duane Hanson. Der Bikini und die Badekappe waren voll mit Topfkratzern beklebt. Sogar die Sonnenbrille hatte einen aufgeklebt. Nun, ich machte mich lustig über die Zusammenstellung von Liege und Torte. Da nahm die Frau die Brille ab und nun sah ich, dass es leere Augenhöhlen waren, die mich anstarrten, und sie sprach zu mir: „Ist doch egal, wie ich aussehe, ich seh's ja doch nicht.“ Klappe zu, diese Sequenz ist gelaufen. Dies sind die brotlosen Künste, und mit meiner brotreichen geht es langsam aber sicher vorwärts.

1.3.83
Nun haben wir den Casus Knacktus. Die Finanzierung bricht zusammen, bevor sie steht. Bin sehr deprimiert und bin gespannt, wie es weitergeht. Es ist überhaupt amüsant, sich mit meinem Verdrängungsmechanismus zu beschäftigen. Auf der einen Seite bin ich verzweifelt und deprimiert, und auf der anderen betrachte ich die Situation mit dem Engagement eines Voyeurs.

6.3.83
Gestern gelesen: Arthur Köstler mit seiner Frau Cynthia gestorben. Freiwillig. Irgendwo verstehe ich ihn. Ich fühle mich ähnlich wie Cioran, bloß nicht so gereift und spezialisiert.
Viele Leute werden mich bewundern, weil ich wirtschaftlichen Erfolg habe, und merken gar nicht, dass mein wirklicher Wert in der Abstraktion liegt.

10.3.83
Ich habe viele Denkgebäude bewohnt und wieder verlassen!

9.7.83
Ich befinde mich in äußerst tiefer Stimmung. So langsam geht es dem Ende entgegen. Eine äußerst traurige Angelegenheit. Gut ist bisher alles gelaufen und nun zu Ende.

24.7.83
Depressiv, ich weiß nicht, was ich machen soll!
Am 21.7. evtl. Ansatz. in Salder. Davor am Samstag und Sonntag Boden und Küche von Hirt.

2.8./3.8.83
Schmerz, lass nach ...
Es wäre ein großer Moment, im dramatischen Moment zu sterben. Sterben ist immer Dramatik und unglückliche Liebe der kleine Bruder.
Abschied nehmen von einer liebgewonnenen Vorstellung, die Locke des geschenkten Haares verliert den Geruch, und der Wind zerstreut sie in alle Winde.
Später fährt ein wütender Schmerz durch die Seele. Der Gedanke des möglichen Glückes und der verpassten Gelegenheit.

Als Anlass nehmen und ein Tagebemerkungsbuch mit allen möglichen Gedanken – Diktiergerät.

Versengtes Leinen hängt spröde im Wind
Das Wetter wird es wieder bleichen
Einige Zeit später
wird nichts erinnern
an die kostbaren Erektionen
und verflossener Schweiß
verschwindet geruchlos
im Abguß von Lethe

Die Bemerkung der Woche und die Zeitung, jede Woche ein Gedicht – ein Gedicht für Einheimische

Ein ausgebrannter Glücksfaden hängt fächelnd im Wind
das Wetter wird ihn bleichen
und nichts wird erinnern
an die seligen Stunden
in denen die Sterne
Diamant und dein Körper verzaubert
neben dem Weinendes
und ich
nach getaner Lust
die Amplitude
der Brüste
und Lenden
in mich aufnahm
mich auflud
wie ein Akkumulator
all dies wird vergehen
in nichts
– ich ein alter Mann
mit so stinkendem Körper –
– du, eine alte Vettel
mit sabbernden Enkeln –
und doch
in der Stunde meines Todes werde ich an dich denken

Die Hand
entschwand
in flimmerndem Laub
nun ist sie weg
und ich bin taub

Die Götter mögen mir gewogen bleiben, damit ich die Wirren behalte.
Es ist schon genug Stress, und nun noch der Krach im schlechten Gewissen. Es ist nicht zum Aushalten mit Übermenschen

2.2.84
Eigentlich bin ich schon fertig - es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle es wissen. Ich weiß es schon!

25.2.84
Retlaw findet nach langem Suchern den Einausschluss aus einer sehr verworrenen Lage

13.4.84
Wenn alles logisch zugeht und nicht ein Wunder passiert, dann kann es passieren, dass ich im Kreis gehe. Ich bin mal gespannt, wie es mit mir zu Ende geht!

(Zeichnung) Es krampft sich was zusammen!

Frauen sind entweder Sklaventreiber oder Schlampe. Eine trügerische Hoffnung im Licht des Untergangs. Ich bin ohne Hoffnung, und wenn ich hier raus komme, ohne Verzögerung!

25.4.84
Was soll ich machen?

4.5.84
(Zeichnung) Tendenzrasterantenne fokussiert auf kleinste Schlupflöcher

28.5.84
Heute beim Finanzamt (Rechnung)

28.5.84
Einen Schritt voraus und das Glück entschwindet.
Ein bisschen Glück im Leben könnte man schon gebrauchen. Ein bisschen viel Glück stände mir zu, hätten sich nicht alle Parzen und Furien gegen mich verschworen.

6.7.84
So, das Dorffest läuft und ich habe das Gefühl, alles ein Schlag ins Wasser. Ich habe Angst und keine Lust mehr. Hoffentlich kommt ein Käufer. Ich kann bald nicht mehr!

10.7.84
Dorffest vorbei – aber die Leute, die ich habe, speziell Mario, sind für'n Arsch. Am besten verkaufen, aber an wen? Und außerdem ist das Flüchten. Flucht vor dem Aufgeben. Was heißt aber Aufgeben? Nichts weiter als bürgerliche Moral, und dafür ist mir mein Leben zu schade!

18.7.84
(Zeichnung) Wenn ich nicht malen kunt wär ich ein armer Hund.

19.8.84
Auf in den Kampf - die Folgen kann man hinterher abschätzen. Mit dem Geschäft geht es systematisch abwärts! Nun ist im Winter auch nichts los.
Dieses Mal ist überhaupt kein Retter in Sicht. Es ist aus!

15.8.84
Irgend jemand will mir übel und daran könnte ich kaputtgehen. Ich gehe aber nicht auf Wolken, Ich nehme alles wahr. Bis zum Gehtnichtmehr!

21.8.84
Wer niemals ruht, wer mit Herz und Blut auf Unmögliches sinnt, der gewinnt.

22.8.84
Ich möchte gerne wissen, was das für ein Psycho-Mechanismus ist, der mich veranlasst, fäliigen Arbeiten aus dem Weg zu gehen. Ich muss mich für alles immer so anstrengen und manchen Leuten fällt alles zu.

13.9.84
Ich plane im Saal eine Disco. Vielleicht ist das die Rettung! Sonst sehe ich schwarz.

(Zeichnung) Die Schlange Wurbol geht auf die Suche nach dem verlorenen Schwebezustand

Aus dem Herbst und Winter 84 gibt es nur wenige Einträge, nur die des I Ging sowie unkommentierte Zeichnungen. Offenbar spitzen sich die unerträgliche Lage mit Geschäft und die Stimmung im Dorf zu.

Ich verkaufe! Hoffentlich bleibt was übrig!
Walter Reinhardt Tagebücher 1985
26.2.85
Krach mit Fritze V.
Das Dorf war schon immer gegen mich. Nun sind sie nicht nur verstört, sondern auch noch neidig.

28.10.85
Mit dem Geschäft ist es eine Qual, dann, wenn man glaubt, man hat es geschafft, dann gehen die Geschäfte wieder so schlecht, dass man fast kollabiert. Ich müsste mich meiner Formulierungskünste bedienen und mal anfangen, tolle Ideen niederzuschreiben und was zu formulieren. Im Zusammenhang mit Schreiben, Malen und Musik bin ich unschlagbar.

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