08.11.1985 - 21.06.1990

Reinhardts Eintragungen in den Jahren 1985 bis 1990 sind so spärlich, dass sie gerade einmal einen rund 60-seitigen Band füllen. Sie drehen sich hauptsächlich um den Alltag im Restaurant und erstrebenswerte Umbauten, die auch finanziert werden wollen. Es gibt einige Anmerkungen und Magazin(foto)ausschnitte zur Literatur und Kunst. Reinhardt lässt seinem Ärger mit Birgit und den Mitarbeitern in puncto Restaurant Luft, bedauert einmal mehr die zu knappe Zeit für die Kunst. Er experimentiert mit Grafikprogrammen. Ein Alkohol- bzw. Drogenproblem wird angedeutet. Mit dem Geschäft geht es auf und ab, jedenfalls gut genug, um Projekte zu planen – wobei es ihm offenbar mehr auf das Pläneschmieden als die tatsächliche Realisierung ankommt. Er liest viel, erfreut sich an Lyrik, entdeckt die Lust am Gärtnern. Im Frühjahr 90 scheint seine Kreativität wieder neu entfacht worden zu sein: Er malt er „wie nie zuvor“, denkt über die Anschaffung eines Plotters und den Verkauf von Gebrauchsgraphik wie Kalendern nach, schmiedet Pläne zum Bau eines Hotels. Er überlegt sich, einen Gedichtzyklus mit seinen Lieblingsdichtern zusammenzustellen.

7.12.86
Geschäft läuft gut. Umbau Bar usw. Langsam nach oben lavieren.

8.8.87
Eigentlich habe ich die Zusage von der Bank. Es hängt an der Bilanz, außerdem steht eine Steuerprüfung ins Haus. Große Sch .... Die Pläne sind schon weitgehend gediehen. Mich erstaunt, mit welcher Lust ich Bücher, die ich früher nur mit großer Anstrengung hinter mich gebracht hätte – z. B. Popper, Elias – lese. Ich bin begierig auf die Information. Früher habe ich viel gelesen, jetzt bin ich richtig informationssüchtig.

13.9.87
Am 8.9.87 rief mich Schubert von der Bank an und sagte mir den Kredit ab. D.h. er schob Forderungen nach, die unerfüllbar waren. Nun muss ich sehen, wie ich durchkomme!
Mehrfacher Krach mit Birgit – sie hat sich bei der Hochzeit für 2100,- wegen Brot und Butter aufgeplustert und herrisch benommen wie ihre Mutter. „Wenn das nicht unterbleibt, dann gehe ich." Am Samstag gar hat sie ihren Dienst unterbrochen und mich in der Scheiße hängen lassen. Als sie nach Hause kam, sollte alles wieder in Ordnung sein. Lüssenhop war da.

21.9.87
Der Steuerprüfer ist da. Sieht aus wie eine Spinne. Gott sei Dank bin ich keine Fliege!

8.11.87
Ein ewiges Lavieren – und das Bistro steht immer noch leer!
Und schlechte Geschäfte, keine Kohle in der Kasse.

29.2.88
ich muß jetzt wieder öfter Tagebucheintragungen machen. Geschäft läuft so weit gut.

7.4.88
Gestern Büro aufgeräumt und kleines Bild gemalt.
Geschäft läuft dank neuer Bank. Umbau Bar viel Arbeit.

Bei einigen Zeichnungen auf Holz bezieht Reinhardt die Maserung in ihrer organischen Struktur mit ein und zieht ihre Linien mit dem Stift nach – eine Gestaltungsform, die sich in vielen Bildern wiederfindet.

10.4.88
Wieder ein kleiner Schub! Vit Schmerfeld war da!

16.4.88
Es muss weitergehen: die Bar, der Saal, das Büro, das Atelier, der Gewinn ...

18.4.88Walter Reinhardt Tagebücher 1988
Heute frei, geackert wie ein Tiger.
Humus riecht gut, wie Malz oder so. Hochbeete etc.

2.5.88
Reise nach London gebucht. Geschäft geht gut.
Immer anstrengend! Dabei vergeht die Zeit und man hat nichts Richtiges fertiggebracht. Und ich möchte Zeit zum Denken, Malen, Zeit für Musik haben!

25.6.88
Das Geschäft ist wieder einmal ganz unten. Es ist zum Kotzen. Umgeschuldet und nun wird die Substanz aufgezehrt. Ich muss in die Großstadt und hier ein Steakhaus draus machen. Sonst ist das umsonst.








Walter Reinhardt Tagebücher 1988
2.10.88
B. ist in Hamburg und wir haben uns in letzter Zeit immer wieder gestritten.
Am Samstag wieder „Ich mach das nicht!“

5.11.88
In Düsseldorf gewesen und Weinprobe.
Marion hat mich gelinkt, nun muss ich sehen wie ich die Scharte auswetze!

Theologie der Wiederholung (Artikel, ohne Angabe des Autors)

Nie noch schrieb einer eine Theorie der Wiederholung. Einzig Romano Guardini hat einmal, versteckt in seinem Büchlein über den Rosenkranz, die Frage zu stellen gewagt: Wie kommt es, dass auf keinem Lebensgebiet so viel wiederholt wird wie in der Religion? Wie ist es möglich, das die Frömmigkeit des Ostens ihre höchste Erfüllung findet im Klappern der Gebetsmühle: “Om mani padme hum , om mani padme hum……“! Und warum hat kein Gebet dem Westen soviel Andacht geschenkt wie das unablässig wiederholte “Du bist gebenedeit unter den Weibern“?

Romano Guardinis Antwort fällt überraschend medizinisch aus. Der Rosenkranz, schreibt er, versetzt den Beter deshalb in einen Zustand gelöster Harmonie, weil Wiederholung mehr ist als nur das Stilgesetz der Frömmigkeit. Wiederholung ist vielmehr – ganz biologisch – das innerste Gesetz gesunden Lebens. Atmen wir nicht im unablässigem Gleichmaß der Wiederholung?
Schlägt unser Herz in unablässiger Wiederholung gleich? Nicht dann ist ein Mensch alt und verbraucht, wenn er nicht mehr fähig ist zum Neuen. Im Gegenteil. Erst wenn er die Fähigkeit verliert zur mühelosen, selbstverständlichen Wiederholung, erst dann stockt sein Kreislauf, erst dann braucht er einen Herzschrittmacher. Lustvolle Wiederholung ist das innerste Geheimnis des Lebens. Wiederholung macht jung .

Ich glaube, es war Otto von Habsburg, der aus diesem ehernen Gesetz der Biologie als Erster die politische Konsequenz zu ziehen wagte. Wiederholt hat er im „Luxemburger Wort“ darauf hingewiesen, daß es ein modernistischer Irrtum ist zu glauben, Geschichte verlaufe linear, also in einmaliger Entwicklung geradeaus. In Wirklichkeit, so Otto, verläuft Geschichte zyklisch im Kreis herum. Sodaß es also, scheint mir, genügt, hinter allen anderen möglichst weit hinterherzuhinken, um auch schon allen anderen möglichst weit voraus zu sein. So ist es gar kein Zufall, daß alle revolutionären Bewegungen der Welt den Völkern unablässig die gleichen Parolen eintrichtern. Weil nämlich Geschichte in alle Ewigkeit zyklisch revolviert, ist Wiederholung wesenhaft revolutionär .

Ich brauche jetzt gar nicht zu wiederholen, was Wilhelm Reich gesagt hat über den intimen Zusammenhang zwischen Revolution und Erotik. Genügen mag eine ganz bescheidene Beobachtung: Auf allen Straßen sieht man zur Zeit den Minirock wieder. Zum dritten Mal in meinem Leben ist der Minirock Mode. Und ich freue mich darüber. Um es ganz altväterisch zu sagen: Wiederholung ist sexy!

Unrecht nämlich haben jene die behaupten, Pornofilme seien deshalb so langweilig, weil sie immerzu das Gleiche zeigen. Das Gegenteil ist wahr. Langweilig sind Pornofilme, weil sie krampfhaft und künstlich versuchen, eine Sache zu variieren, die lustvoll und schön nur ist in der allereinfachsten Wiederholung. Gemäß dem klassischen Wort von Marilyn Monroe: Do it again!

2.12.
Ich brauche Birgit nichts zu schenken. Will nichts.

17.12.88
Ich hatte vergessen, Tiburzy's Anzahl anzufordern. B. ließ es auf sich beruhen (Umbau), triumphierte aber, als ich in der Scheiße war und hielt mir einen Vortrag. Verlangte dann, als ich mir es geduldig anhörte, einen Kuss!

1.2.89
Am Abend die Geschichte mit dem Tee und dem Stil aufzwingen.
Ich versuche, ihr einen qualitativ hochwertigen Tee anzubieten, und ich bin sicher, dass sie nicht weiß, was first flush ist. Auf der anderen Seite biete ich ihr an, was sie gar nicht will. Ich meine es gut wie alle Mütter und beschränke sie in ihrer Selbstwahlmöglichkeit.


2.7.89
Eigentlich ist es die Bequemlichkeit, die einen ein elektronisches Tagebuch führen lassen will. Aber auch die Angst, sich selber nicht mehr verstehen zu können. Aber auch nicht mehr lesen zu können, was im Übrigen darauf hinausläuft.
Nun aber: Eine Entwicklung braucht eben ihre Zeit. Am besten lernt man so etwas, wenn man einen Garten bearbeitet. Man bekommt ein anderes Zeitgefühl, anders dimensioniert.

18.7.89
Nun warte ich schon 3 Tage. Eigentlich geht's gut. Was man hat, ist eigentlich sehr gut.
Manchmal möchte man nur für die Kunst leben. Und dann muss ich mir eine neue Infrastruktur aufbauen, die kostet einiges, aber ich schöpfe ja meine Energie aus der jungfräulichen Anerkennung. Natürlich schmeichelt es mir, wegen der ästhetischen Werte abgekauft zu werden, aber dann will ich zur Sache kommen.
Ich bin irgendwie verderbt wie Baudelaire, und ich hege genau wie er den bürgerlichen Traum, die Idylle. Mich überkommt immer ein unauslöschliches Gelächter ob der Frivolität dieses Gartens. Ich Asphaltpflasterer beginne Freude am Grünen zu bekommen!

3.11.89
Diese banalen Dinge, ein Feuerzeug aus Plastik, ein Geruch in der Luft, und die schwermütigen Farben des Herbstes.
Moder und Schimmel tun im Garten ihr einfältiges Werk.
Ich hatte geglaubt, jeden Tag dem Beton etwas Farbe abzuringen.
Nun sehe mit dem Tam-Tam des Lebens einem unrühmlichen Ende entgegen.
Lyrik versteht nur, wer ein eingerolltes Wissen um die Herbstluft besitzt!

17.11.89
Seit einer Woche clean. N. hat mir A. gegeben, aber es war H.
Danach auf den Truthahn gekommen. Das Zeugs geht auf die Pumpe.
Auch mit Honig aufgehört, wahrscheinlich Entzug.
Gestern am 17.11 bei Werner (Dr. Werner Eggers, sein Arzt)!

29.12.89
Vorgestern wegen Hochzeit Disput mit B. Sie gibt aber auch keinen Fehler zu wie damals bei Jürgen Tiburzy. Sie hatte es nicht im Reservierungsbuch eingetragen.

2.1.1990
Das Weihnachtsgeschäft hinter uns gebracht, es war immer nahe an der Katastrophe. Erst eine Aushilfe gehabt und im letzten Moment konnte sie nicht wegen Brauer. Die Marla hat mich abgelinkt und die Türkin hat mich sitzen lassen. Naja, es hat geklappt, und im nächsten Jahr mal sehen.

Am Sonntag erst einmal Theater wegen des süßen Senfes.
Stundenlang gesucht und nicht gefunden. Wegen einem Klacks Senf Aufstand. Schon gefrustet. Am Montag dann der Wein. Ich bestelle wieder: 1 Fl. Champ.140,-, dann einen Silvaner, der ihr schon nicht schmeckte, für 65,-, plus ein Leroy de Auvers für 78,-, insgesamt 283,- .
Auf der Rückfahrt dann langes Gemeckere und Anmache.
Heute Morgen endlich Gerda angerufen und Termin für Istanbul am 3.3. Es ist ihr auch scheißegal, ob Internorga ist oder nicht, sie fährt.

24.1.90
Man sollte die Speisekarte viel poetischer gestalten. Aber das kann nur ich, bei anderen würde dies kitschig wirken.

7.2.90
Ich sollte täglich mich üben in der Kunst des Schreibens, meine Ideen festhalten.
Ein bisschen mehr Zeichnen + Aquarellieren. Kann nicht schaden!

14.2.90
Heute Welsh rarebits – und habe es nicht geschnallt, und schon hat es wieder Theater gegeben. Sie ist empfindlich und unsicher. Es ist ein Drahtseilakt.
Wenn man nicht aufpasst – und man passt nicht immer auf –, dann kommt man in Turbulenzen, die man nicht mehr beherrschen kann.
Es ist halt, wie Erhard beschreibt: Jedes Mal, wenn man sich besondere Mühe gibt, bekommt man einen auf die Nase, dass einem die Lust zu allem vergeht.
Es ist alles auf sie bezogen, und sie überreagiert, wenn es an ihr Ego geht. Ich begreife das nicht. Wenn es mir so ginge, dann würde ich sagen, ich schau gleich nach, und dann erledige ich die Sache.

16.2.90
Die Sache mit Finanzamt ist geregelt. Nun muss ich sehen, wie ich die Kohle für den Umbau und den Saal bekomme.

8.3.90
Von selbst die Materie transformiert!
Bin stolz auf mich! Nun muss ich aber arbeiten, damit ich noch vor meinem Tode noch etwas vollende!

30.3.90
In der letzten Zeit kommt einiges in Bewegung.
Männe Bücheler verkauft. Fritze Ostermeier verkauft.
Ich mach natürlich wieder Projekte. Hotel für 3,5 Mio, aber irgendetwas bleibt übrig.
Ich denke natürlich nicht an den Tod. Aber ist das bei meiner Vitalität nicht natürlich?
Man muss immer Pläne machen, bis zum letzten Moment. Und dann stirbt man in dem Bewusstsein eines erfüllten Lebens. Nun muss ich meine mentalen Kräfte zusammennehmen und das Beste daraus machen!

3.4.90
Es dreht sich ja nicht nur um den Laden.
Wenn man ein Hotel neu baut, dann kann man alles zusammen planen. Malen, Verwaltung + Spaß. Und auf jeden Fall macht’s Spaß zu planen.

4.5.90
Bettina krank! Hat keine Lust mehr. Großen Auftrieb. Male Bilder wie nie zuvor!

17.5.90
Seit Montag, 14.5, Fete bei H. Manthey. Mir sehr schlecht gewesen ... Bier und Schnaps. Seither clean. Ich versuche dabei abzunehmen!

11.5.90
Das Schönheitsideal der gotischen Kathedrale auf das Schönheitsideal der Moderne beziehen. Dies ist gewiss eine witzige Aufnahme.
Ich muss das Atelier fertig + winterfest machen und das Geld für eine A1-Zeichenmaschine sprich Plotter + Computer, sehr schnell + schnelle Software zusammenkriegen. Und dann nur noch Gebrauchsgraphik verkaufen! Kalender etc.

21.6.90
Habe mit einem Gedichtzyklus angefangen. Als Erstes „etre“ von Paul Éluard. Dann folgen in loser Folge Benn, Trakl, Heym, Baudelaire, Rimbaud, Verlaine, Mallarmé, Krolow usw……etc.

Walter Reinhardt Tagebücher 1990

Theme by Danetsoft and Danang Probo Sayekti inspired by Maksimer