24.07.1990 - 23.02.1992

Walter Reinhardt, Tagebuch 2.1.90-23.2.92

Reinhardt führt sein Tagebuch von 1990 an fast ausschließlich per Computer. Viele Gedankengänge und Überlegungen sind  nun klarer ausformuliert, als es zuvor oft der Fall war, die kreativen Ideenskizzen und Inspirationen für seine Kunst fehlen bis auf bewundernde Beschreibung von Musik und Musikern fast gänzlich – was ihm durchaus bewusst ist. Es ist die Zeit des Irakkriegs, der RAF-Attentate, die Mauer fällt – Themen, zu denen sich Reinhardt auch in seinem Tagebuch äußert. Er zeigt Sympathien für die „Aussteiger“, die biertrinkend in der Einkaufszone herumlungern, ob ihrer offenbar selbst gewählten Freiheit – anders als er frei von Verpflichtungen und Forderungen. In diesen Jahren ist der Betrieb der Restaurants weitgehend gesichert, jedoch stören Reinhardt zunehmend die Routine, die viele Arbeit und die ständigen Sorgen um den Umsatz, finanzielle Forderungen seitens des Staates und Probleme mit der Stadt. Es finden sich einige Beispiele für die von ihm gestalteten Speisekarten, Ärger mit dem Personal und Bemerkungen zu den Gästen, insbesondere dem von ihm geschätzten Politiker Peter-Jürgen Schneider, mit dem er sich vergleicht. Die Idee taucht auf, die Bar mit einer Galerie zu kombinieren, den Saal zu vermieten – oder aber, im März 1991, den Laden zu verkaufen. Lichtblick sind die Urlaube nach Italien, die jedoch im Tagebuch nicht weiter beschrieben werden.

In das Alltagsgeschehen mischen sich Hinweise auf Reinhardt vielschichtige Lektüre: Charles Baudelaire, Ezra Pound, Jean Paul, Lautreamont, Adolf Wölfli und Umberto Eco. Aber auch durch die sozialwissenschaftlichen Theorien und Gedanken von Norbert Elias ("Über den Prozess der Zivilisation") und Horkheimers und Adornos "Dialektik der Aufklärung" arbeitet er sich durch. Zugleich versucht er, dem Leben durch Parallelisierung mit naturwissenschaftlichen Phänomenen und (System-)Theorien auf die Spur zu kommen, wie sie Ilya Prigogine mit den "dissipativen Strukturen" in selbstorganisierenden Systemen beschreibt, oder den Vergleich mit dem physikalischen Gedankenexperiment des Paradoxons von "Schrödingers Katze".


24.7.90
Noch eine Woche bis zum Urlaub. Mein Gott, bin ich dieses Mal froh. Heute nervt sowieso alles.

25.7.90
Noch 3 Tage bis um Urlaub! Habe in der letzten Zeit hohen Blutdruck, muss zu Werner (Dr. Eggers, sein Arzt).

25.7.90, 3 Uhr
Ich habe alles und nun, wo ich so reich bin, schaffe ich mir noch eine Familie an. Die Motivation ist nicht nur Natur. Auch die Angst vorm Alleinsein.

2.9.90
Urlaub gehabt, Bruchsal, Ellwangen, Rastatt, Frankfurt am Main, Idstein, Vincent (Vincent Klink, Koch in der Wielandshöhe in Stuttgart)

Samstag, 22.9.90
Heute war es wieder einmal ganz schön voll, trotzdem macht mir das Finanzamt gehörigen Kummer, so viel Schulden und ich komme einfach nicht mehr runter. Es ist manches Mal entmutigend, immer nur ackern und es bleibt einfach nichts übrig. Das geht mein ganzes Leben schon so. Und dann sehe ich Leute wie den Wf.lge, denen fällt es einfach so zu. Irgendwie ist es ungerecht.
Aber das hat auch schon Calvin definiert, und hat auch den Sohn der Götter erkoren. Der fromme Spießer, wie zum Beispiel mein Schwager. Aber so möchte ich auch nicht sein. Ich finde solche Menschen einfach zum Kotzen.
Er sucht sich ein Netz zusammen, aus dem ein normaler Bürger nicht mehr entrinnen kann, er saugt ihn mit legalen Mitteln aus wie ein Vampir und glaubt sich auch noch im Recht. Ist denn das noch normal? Natürlich ist das normal, so sind die Stützen der Gesellschaft, und im Grunde ist man ja auch nicht besser. Oder? Ja, ich glaube, ich mache bestimmte Trends und Dinge nicht mit, ich glaube zwar nicht an Moral oder Menschlichkeit, aber es gibt so etwas, was der kategorische Imperativ bei mir hinterlassen hat, und das ist so eine Art im Umgang mit Menschen. Aber seit ich den  Prozess der Zivilisation gelesen habe, sehe ich immer mehr, dass man einfügt in etwas, was einen Überorganismus darstellt, und wo auch die Handlung und die Tränen oder was auch immer eingebettet sind in einen Prozess, dessen Ergebnis wir kaum überblicken können, weil wir immer einen Teil darstellen, den wir nicht einbeziehen können.
Naja, gute Nacht, ich werde jetzt schlafen gehen und morgen und in naher Zukunft weitermachen.

24.9.90
Im Augenblick schlimm erkältet, und daher ziemlich lustlos (das hat natürlich seine Gründe, der Leichtsinn!). Am liebsten würde ich Urlaub machen, mich ein paar Tage in die Sonne legen und so vor mich hin faulenzen. Aber das kann ich ja auch nicht mehr. Irgendwie ist man für die göttliche Langeweile verdorben. Es ist wie eine Manie. Ich kann mich selbst im Urlaub nicht erinnern, richtig faul gewesen zu sein. Irgendeine hektische Betriebsamkeit muss entfaltet werden. Und wenn es nur mit den Hunden Gassi gehen heißt. Und irgendwie ist das alles lästig. Vor allem diese Verpflichtungen, die eben Eigentum mit sich bringt. Es hört sich ja alles schön an: eigener Herd etc. Aber das zieht einen Rattenschwanz an Verpflichtungen nach sich, denen man nicht entrinnen kann, und die es einem vermiesen, das Eigentum ohne Reue zu genießen.
Was mich vor allem aufregt, sind diese vielen Tätigkeiten, die zivilisationsbedingt sind. Das auffüllen von Formularen, Tagesberichte, die Buchhaltung ordentlich führen. Es sind so viele Dinge, die einen davon abhalten zu malen, Gitarre zu spielen oder auch nur ein Problem richtig zu Ende zu denken. Dabei kann ich so etwas durchaus.

28.9.90
Prigogine sagt: Struktur entsteht durch Reibung. Darüber muss ich nachdenken.

Gestern und heute Prüfung in Braunschweig abgenommen. Wenn man so etwas von der anderen Seite sieht, bekommt man einen Sinn hinein. Es ist wie eine fortlaufende Prüfung, der die Menschen unterliegen, und mit der ihre Energie kanalisiert werden soll. Es fängt mit der Schule an und endet nie. Das Schlimme sind ja nicht die Prüfungen, sondern die Leute, die sie abnehmen. Über den Hintergrund dieser Prüfungen können sie sich keine Gedanken machen, weil sie Spaß am Ausüben der Macht haben. Und selber ist man davor nicht gefeit. Wie in "1984", wo der große Bruder letztlich angebetet wird.

29.9.90
Heute Morgen wieder Wadenkrämpfe. Ich muss rauskriegen, wieso ein Elektrolytverlust bei mir auftritt. Dabei habe ich in der letzten Zeit überhaupt nicht mehr genascht. Es kommt mich zwar schwer an, aber ich möchte keine Diabetes bekommen. In dem Chaosbuch von (Name fehlt im Original) sind Fakten angeschnitten, die wirklich interessant sind. Durch die Erforschung der Fraktale kommt der Determinismus zu Fall. Zur gleichen Zeit bedeutet es natürlich, wenn schon eine grundlegende Struktur auf atomarer Ebene vorliegt, dass beim Schöpfungsakt eine Generatio aequivoca, die Urzeugung aus sich selbst, vorliegt.
Es bedeutet aber auch den Tod des Determinismus. Wenn durch Bifurkation die Gleichungen sich so aufspalten und zugleich vernetzen, wie es in Modellen von Prigogine und D. Bohm vorgeschlagen wird, dann wird auch ein Teil  der Freiheit wiedergewonnen, die einem durch die Zwillingsforschung weggenommen wurde. Es ist hochinteressant, diese Diskussion zu verfolgen. Ich komme mir vor wie in der Scholastik.
Z. B. Softwareentwicklungen sind hochgradige Scholastik. Es muss ja alles durchgedacht werden. Das Denken und Handeln muss neu geschaffen werden. Phantastisch, daran teilzunehmen.

Genauso phantastisch wie in der Nacht vom 2. Oktober auf den 3. Da tritt die Wiedervereinigung in unsere Welt, abgesegnet von den Siegermächten und Europa. Friedlich ein autoritäres System zugrunde gehen zu sehen, welches immer besserwisserisch seine Bürger regulierte, bis der wirtschaftliche Exitus alles besiegelte. Was mag in den Köpfen der Gescheiterten vorgehen. Honecker, Mielke, Mittag etc. Die rote Hilde und Ulbricht werden sich im Grabe umdrehen. Und die Terrorszene wird, unbelehrbar wie sie ist, den Kampf mit der Konterrevolution aufnehmen und wird untergehen. Hoffentlich gibt es bald in der Golfregion ein gutes Ende, und die Probleme in Israel und Libanon werden friedlich gelöst.

Ich muss jetzt die Speisenkarte schreiben. Außerdem habe ich im Augenblick Personalprobleme. Mein einziger Azubi, den ich bekommen habe, verlässt mich. Gott sei Dank, die Schlampe bekommt ein Kind und macht ein Theater, als wenn sie der Star ist. Naja, man sollte es ihr gönnen, es ist das letzte Mal, dass sie eine Sonderrolle spielt, dann ist alles vorbei. In zehn Jahren jammert sie allen, die sie kennen, die Ohren voll, wie schlecht es ihr geht. Und dass ihr durch das Kind das ganze Leben versaut wurde.
Aber nun geht es nicht mehr anders. Dabei ist sie nur faul und träge und hat keine Lust zu arbeiten, sprich eine Tätigkeit auszuführen, die sie konstant betreiben muss. Natürlich bin ich auch sauer, weil sie meine personelle Konzeption zum Scheitern bringt. Und ich muss doch für Weihnachten und Silvester vorsorgen. Es wird mir schon was einfallen.

Ein weiterer Schock, Frau Kruse hat gekündigt. Wir hatten uns eingebildet, sie als Buffet-Chef zu ziehen, und nun ist unser Weihnachtskonzept dahin. Aber solch eine Herausforderung spornt mich nur an. Jetzt muss ich mir was einfallen lassen. Ich bringe Leistung sowieso nur unter Druck. Also nischt wie ran.

Ich höre mir gerade die Platte "Charlie Parker at Massey Hall" – "Perdido" usw. an Die Musik ist so frisch wie gerade eben aufgenommen. Dizzy spielt seinen jungen Groove und Charly ist out of sight. Der Bop ist doch eine feine Sache.

2.10.90
Gestern hat Kurtchen (vermutl. Kurt Sucha) bei mir Hochzeit gefeiert. War ein gelungener Abend mit richtig Stimmung und alten Galerie-Freaks. Aber eigentlich habe ich mit der Galerie nichts mehr zu tun. Es war ein Aspekt meines Lebens, der sehr lehrreich war, aber nicht mehr aktuell ist. Aktueller ist meine z. Zt. miese finanzielle Lage. Ich habe den größten Teil meines Privatkontos opfern müssen, um über die Runden zu kommen, und zudem musste ich auch noch auf Birgits Konto zurückgreifen.

5.10.90
Ich habe mir den Pound "motz el son" gekauft und nach ca. 35 Jahren wieder gelesen. Es ist doch eine ganze Menge hängengeblieben. Sentenzen, die ich heute noch benutze, und man merkt, wie er mich und meine Geisteshaltung beeinflusst hat. Ich glaube, es würde mir mit Jaspers und anderen genau so gehen. In dieser Zeit versuchte ich auch eine eigene Kosmogonie zu schaffen. Aber ich bin kein Religionsstifter, und so bin ich das geworden, was ich heute bin. Und was bin ich? Da muss ich mal drüber nachdenken. Was mir eigentlich Mut macht, ein Tagebuch zu führen, ist das Tagebuch von Jacopo da Pontormo. Dessen Tagebuch enthält hauptsächlich Berichte über sein täglich Brot. Heute ein halbes Hähnchen zu mir genommen etc. etc. etc. Für mich erhebt sich ja die Frage, ob es wichtig ist, in der Großstadt zu leben. Aber ich glaube, das lenkt mich alles zu sehr ab. Aber man bekommt auch viele Anregungen durch andere. Und da ich beim Verbalisieren von Ansatzideen Höchstleistungen erbringe, gehöre ich in die Großstadt. Aber mein Garten und alles hier ... Ich muss mich immer an den zu Bewusstsein gekommenen Computer erinnern, dem sie den Saft abgedreht haben und der in einem Wimmern, einem Wellenrauschen seinen Geist aufgab. Ich glaube, ich gehe genauso zugrunde. Wie auch anders?
Der Cioran hat irgendeinen Trick oder Tick drauf. Er tut nur so nihilistisch, im Grunde seines Wesens ist er vom Leben enttäuscht. Seine Fragen haben immer einen Bezug zu Gott. Und was will er? Einen Platz im Paradies! Wer will das nicht. Aber Illusion? Vage Hoffnung, darauf ist ja nicht mal der Heine abgefahren. Oder der Adorno und Horkheimer. Ich finde das unheimlich witzig, wenn er mit Geschichten aus der Odyssee kommt oder der Ilias. Aber im Grunde genommen ist das wie ein Kartenhaus. Wenn du eine Karte entfernst, die sich als falsch herausgestellt hat. Es bricht immer ein Teil des Hauses zusammen, und bei genauer Nachprüfung bricht das ganze Haus zusammen.

Aber so geht es ja mit allem. Auch die Alleinseeligmachende setzt den Glauben voraus als Axiom. Und wenn dies nicht der Fall ist, dann kannste das Ganze vergessen. Ich glaube an alles. Ich finde einfach alles gut, wenn einer etwas macht, weil ihn das glücklich macht und so anderen nicht weh tut.
So, jetzt ist genug geschwafelt, bis morgen.

5.10.90
Horkheimer und die Lust!
Er meint, Genuss sei etwas Vorzeitliches, in das man sich zurücksinken lassen kann, wenn man die Konventionen überwindet durch was auch immer. Ich bezweifle das Vor-zeitliche. Denn Genuss kann etwas so Raffiniertes sein, wie es ein Steinzeitler sich nie erträumt hätte, er war dazu nicht in der Lage. Genuss hat etwas mit der Triebmodellierung zu tun, daher ist Genuss immer zeitgebunden. Natürlich sind auch noch heute die Genüsse eines Clochards von dem eines Friedrich K. Flick völlig verschieden. Genuss, der dem Überfluss entspringt, ist ein anderer als der Genuss der Armut.

12.10.90
Meine Stimmung ist miserabel. Bücheler verkauft das nachbarliche Grundstück, auf dem ich evtl. ein Hotel bauen wollte. Aber meine Vorstellungen lassen sich ohnehin nicht verwirklichen. Irgendwie könnte ich mich in Amerika  besser verwirklichen als hier in Salzgitter. Das Publikum ist zum Kotzen bieder. Sie haben Geld, aber sie investieren nur in den Mercedes und nicht ins Essen.
In dem Moment, wo ich ein Image bekomme, als wenn’s ein Benz wäre, dann kommen sie, weil's Prestige ist. Genau aber darum haben wir den Laden nicht konzipiert. Weil wir selber gerne essen, machen wir einen Laden für Leute, die gern essen. Daher werden wir auch immer nur die Leute ansprechen, die auf Qualität schauen, nicht aufs Prestige.
Der Kasus ist der, dass die Stadt mir die Parkfläche nicht verkaufen will, weil sie die Baulast getilgt haben will, wegen des Parkplatzes, den sie gemeinsam als öffentlichen Parkplatz nutzen will. Und ich brauche lebensnotwendig den Parkplatz, sonst habe ich solch einen Umsatzverlust, dass ich den Laden zumachen muss. Dabei habe ich  natürlich das Rathaus gegen mich, und ich fürchte, ich werde auf jeden Fall verlieren. Natürlich werde ich kämpfen wie ein Löwe, aber all das hilft nichts, wenn du als Einzelner gegen eine Institution zu kämpfen hast.

Eine variable Installation erfinden, in der ein Teil Zeichnung und der Rest Polaroidfotos sind. Wenn jemand das Bild haben will, dann muss es neu gemalt werden, und er kann sich die Fotos aussuchen. Dann werden sie eingeklebt oder er kann eigene Fotos einkleben.

Eigentlich ist das alles unmöglich. Es ist alles zum Kotzen langweilig. Ich habe Bier getrunken und zwei Löffelchen – na und, wer will den ersten Stein auf mich werfen? Den spucke ich an. Außerdem bin ich schon jenseits von Gut und Böse.

Obwohl, der Nietzsche hat ja nicht alles aufgegeben, durch seinen Übermenschen trägt er die Hoffnung, von der Heine sagte, sie sei eine Jungfrau mit welken Brüsten in einer ungewissen Zukunft. Im eigentlichen Sinne ist er ein Missionar, er will die Menschen belehren, und das allein induziert schon den Missionar, und der ist schlimm. Aber was bleibt einem denn noch übrig, Missionieren ist verboten, weil zickig. Mit anderen kommunizieren ist langweilig, weil man zu keinem Ergebnis kommt, und befehlen – wer lässt sich in dieser verdrehten Welt noch etwas sagen? Und wenn es wider besseren Wissens ist, die Hauptsache, man ist originell. Ich bin ja selbst nicht frei davon.

Meine Malerei habe ich ja auch irgendwie darauf ausgerichtet, möglichst originell zu sein. Aber eines macht mir Hoffnung. Am Anfang eines Bildes habe ich immer den Originalitätstick im Hinterkopf. Aber zu dem Zeitpunkt, wo der erste Wurf gemacht ist und die Vorzeichnung fertig, dann beginnt etwas in mir zu arbeiten, dem ich nicht widerstehen kann. Es veranlasst mich nach Mustern zu suchen, die sich streng nach dem Gesamtentwurf richten. Und jedes Mal, wenn ich ein Detail ändere, verlieren die anderen Gebiete des Bildes oder die anderen angeschnittenen Themen im Bild ihren Stellenwert und gelangen in eine andere Stelle des Phasenraumes.

14.10.90
Ganz vergessen: Gerlach Bommerheim hat mich besucht.
Gerlach ist ja der Guru meines ersten Trips, und irgendwie hat man dazu ein anderes Verhältnis. Das Verhältnis zum Julius hat sich insofern geklärt, als ich bei ihm nur lernen wollte, wie man recht hat, beim Max habe ich gelernt, wie man wissenschaftlich vorgeht. Und beim Gerlach habe ich erkannt, dass der Weg nur über die Musen führt, der Weg zu Söhlte, zur Seligkeit, die einen den Tod als Wohltat erfahren lässt. Ich finde das alles sehr verworren. Eigentlich sehne ich mich nach Klarheit und Einfachheit. Aber es ist nur deshalb – ich bin so ein kreativer Chaot, dass ich niemals zur Ruhe finden werde. Ich mach mir jetzt schon Gedanken, wenn ich querschnittgelähmt sein sollte, dann kann ich mich auf meinen Geist konzentrieren, dann entfällt alle Ablenkung, dann kann ich malen, Musik machen, dass manche Schallplatte vor überquellendem Geist sich verzerren würde. Ich höre gerade Monk, den Thelonious Misterioso.(das ist ein Musiktitel von Monk) Ich habe Monk noch live erlebt. Jetzt spielt er den Gigolo. Und ich habe gehört von ihm: Dein ist mein ganzes Herz.
Und? Es war phantastisch. Monk hat eine time, die sich mit keinem anderen vergleichen kann. Ich muss ihn studieren, weil er ein Mensch ist, der einen mit seinen auf Platten aufgenommenen Stücken so in den Bann zieht, als würde er vor mir spielen. Es ist nahezu suggestiv.

Ich erinnere mich, als ich im Village Vanguard war. Monk spielte mit Pat Patricks. Den habe ich in dem Platten-Store in der 52. Straße kennengelernt. Er hat mir die Scheibe von Sabu Martinez mit Arsenio Rodriguez empfohlen. Wir kamen dann ins Gespräch, und er erzählte mir, dass er nächste Woche mit Monk spielt. Die genaue Besetzung habe ich vergessen. Aber Eddie Gomez, Pat und Monk waren dabei. Am Seitentisch saß Roland Kirk und shoutete dazwischen, und Monk tanzte seine Rhythmen zu den Einfällen der anderen. Und er machte das in seiner Art. Er zeigte dem Drummer die Eins und dann setzte er Akzente und war ganz Musik, und es störte überhaupt gar nicht, dass er nicht spielte. Seine Rhythmen lassen sich auch in Tanz übersetzen und drücken im Tanz genau dasselbe aus, als wenn er spielt.
Die Monk time ist halt unverwechselbar, und ich bin auf jeden Fall fasziniert und gefesselt.
Ich setze diese Folge fort, aber nun muss ich schlafen gehen.

19.10.90
Heute Geburtstag und einen Haufen Schecks ausgeschrieben.

24.10.90
Heute morgen im Traum das erste Mal elektrische  Gitarre gespielt. Ich glaube, ich muss mir eine Midi-Gitarre zulegen. Die kann man ja auch mit Kopfhörer spielen.
Wenn ich meine Kohle zurückbekomme, die ich gewonnen und wieder ins Geschäft gesteckt habe, werde ich dies auch tun. Mit dem großen Bild komme ich nicht weiter. Wenn ich doch wenigstens einfärben könnte.
Aber ich habe tausend Pläne, die ich alle wieder verwerfe, da sie mir nicht als endgültig erscheinen. Mit der Midi-Gitarre könnte auch die Stimme verzerren und eine Rhythmusmaschine dazukaufen oder gleich einen Computer mit Sequenzer. Dann kann ich endlich meine Musik machen. Was ich noch alles machen will! Noch nicht einmal ein Zehntel werde ich das Licht der Welt erblicken lassen.

28.10.90
Heute 71 Couverts. Da blüht der Weizen des Bösewichts. Zum Schluss kamen Willy Willy und Claude Schindler.
Eigentlich bringt es ja nichts mehr, aber man kann sich wenigstens etwas produzieren und wenigstens ein Publikum finden, welches bei einigen Gags an der richtigen Stelle lacht. Ich habe da einige witzige Vergleiche oder Interpretationen erfunden für das Verhältnis von Beamten. Aber ich muss das in der augenblicklichen Kommunikation verbalisieren. Und es bleibt auch ein Gag des Augenblicks.

Aber wo kommt man dahin? Unser Wissen ist so immens aufgespeichert, dass man manchmal versucht ist, es sein zu lassen, weil einfach zu viel Scheiße schon geschrieben wird. Und ich werde nie ein so wichtiges Tagebuch wie z. B. Ernst Jünger oder Max Frisch zustande bringen. Nicht weil ich solche Sprüche nicht zustande bringe, sondern weil ich eigentlich zu schlampig bin. Mir macht es Spaß, an etwas herumzuspielen, und wenn ich es kann oder es beherrsche, dann macht es keinen Spaß mehr. Nun, dieses Metier beherrsche ich schon ganz gut, die Beamten oder den RA. Natürlich gibt es ein Spezialwissen, aber wenn einem die Übereinkunft, die Konvention geläufig ist, dann kommt es meistens zu einem Konsens.

Bei der letzthinlichen Auseinandersetzung mit dem Hochbauamt kam ich mir vor wie im Prozess. Der Beamte, der geheimnisvoll mit seinem Wissen tut, und der Unwissende, der versucht, durch Fragen (Turing-Test) den Facts auf die Spur zu kommen. Es ist so ein evolutionäres Spiel – und wenn man es ein bisschen durchschaut, langweilig bis zum Erbrechen.
Nun werde ich schlafen gehen, und ich hoffe, dass ich noch lange meine Reflexionen zu Papier bringen kann, möglichst lange Champagner und alle Genüsse dieser Erde genießen, bis ich zwischen ihnen allen meinen Geist aufgebe.

4.11.90
Mit dem großen Bild komme ich nicht mehr weiter. Vorgestern habe ich mir eine Träne angemalt, aus Silber, und das war's. Aber ich habe das Franke-Buch ausgegraben, und da werde ich schon noch was finden. Mit der Stadt und dem Grundstück bin ich mal gespannt, weil ich immer noch einen Pferdefuß erwarte. Abwarten. Sonst geht’s mir eigentlich gut. Heute sind die Hess-Brothers bei mir zu Gast. Eigentlich ein Stück Jazzgalerie, und wenn ich so zurückdenke, eines schönes Stück Leben, welches ich da zugebracht habe.
Die Geschichten mit der Erika und Jimmi, Werner, Angelika, Rita, Conny, Aenna und Jutta. Mein Gott, war das schön. Außerdem habe ich da den Löffel kennengelernt.

Das Fernsehen, die Glotze, das Ruhekissen des gestressten Bürgers, der in seiner Ablenkung beschließt, sich nicht mehr zu schämen. Es ist ja auch zum Kotzen. Im Fernsehen werden Situationen konstruiert, die dem Bürger versagt bleiben, weil er sie nicht darf. Aber im Fernsehen ist alles erlaubt. In der Verkleidung Königlich Bayrisches Amtsgericht, Das Fernsehgericht tagt, XY Zimmermann werden Dinge zutage gebracht, die den Bürger erschauern machen, nicht weil sie jenseits seiner Möglichkeiten sind, sondern gerade weil er sie jeden Tag denkt und leidet, weil es eben nur eine ihm versagte Möglichkeit darstellt. Und es ist auch ein gewisser Exhibitionismus dabei, weil diese Typen, die Drehbücher annehmen und verkaufen, Regisseur oder Autor, immer ein Stück ihrer Verdrängung ans Tageslicht bringen. Darum finde ich die Rundfunk- und Fernsehtypen so schwach, weil sie eine dem täglichen Leben eigene Trivialität besitzen, die es mir unmöglich macht, mich in ihrer Nähe wohlzufühlen. Man fühlt sich immer beobachtet, so recht Stasi-Art. Vielleicht werde ich auch – ich werde nicht!!!

7.11.90
Mit dem Parkplatz hat es so seinen Lauf.

11.11.90 / 2 Uhr 45
Habe heute darüber nachgedacht, was Rituale eigentlich für den Menschen für eine Bedeutung haben. Konfirmation, Taufe, Geburtstag, Ferien, Heirat, Verlobung, das ganze Leben ist im Zweifelsfall durchritualisiert. Je konservativer jemand ist, umso dichter liegen die Sequenzen beieinander. Da wir in Deutschland aber durch die zwei Weltkriege einen guten Teil der Rituale verloren haben und die Träger dieser Rituale ausgestoßen wurden (siehe Wehrmacht), läuft oder besser lief bis jetzt alles ziemlich chaotisch ab. Die Kontrollen wirkten nicht mehr. Die Stimme der Eltern verstummte, und die Kinder ergingen sich in APO, als Hippie, Beatnik und Gammler. Nachdem sich das Leben in beiden deutschen Staaten stabilisiert hatte, kam eine lange Zeit, ca. 30 Jahre, in der relativ wenig passierte. Jetzt ist alles wieder offen. In der ehemaligen DDR werden natürlich ehemalige konservative Kräfte ins offene Meer getrieben, während die Opposition jetzt ihre Heimat gefunden hat.

15.11.90
Rupert Sheldrake und seine morphische Einstellung ist für einen der Mystik zugeneigten Menschen schon problematisch. Eben weil sich damit alles erklären lässt, ohne dass man es nicht nur nicht nachprüfen kann, nein, man braucht es einfach nicht. Es ist eine Verzerrung der Deduktion, weil alles aus dem Täglichen geschlossen wird. Es würde sich hervorragend als Religion eignen, weil so viele Schäfchen unter einem Pelz vereinigt werden.
Eigentlich müsste es meinem Wesen entgegenkommen, da es ein weites Betätigungsfeld für Spekulationen bietet. Aber sogar mir ist die Geschichte zu schwammig. Sheldrake wäre wahrscheinlich beleidigt, dass man ihm so etwas unterstellt, aber er ist in seiner Weltfremdheit kaum noch zu überbieten. Das Buch ist amüsant und aufschlussreich, aber man sollte es nicht zu ernst nehmen. Am Ende käme noch ein Missionar einer abseitigen Sekte heraus, der seine Umgebung zu bekehren versucht.

Bire vom Finanzamt und Gespräch mit G. Schuberth, ich hoffe, dass es klappt.

17.11.90
Über Horkheimer kann ich nur sagen, er ist ein mystischer Determinist. Durch seine Odyssee-Interpretation hat er sich, wenn auch mit Vorbehalten, in die Reihe der Poeten eingereiht. Er sieht die Sachverhalte aus einer Sicht, wie B. B. „Das Leben des Herrn Julius Caesar“ sah. Eine modernisierte Form der Ironeske.
Mir fiel auf, Hilde Benjamin – Walter Benjamin – ob da eine Verwandtschaft besteht. Übrigens, das Buch von Benjamin über Baudelaire: Da kann man nur sagen, dass dem Reinen alles rein, und dem Schwein alles Schwein ist.

Die dramatische Konsequenz aller menschlichen Vernetzung, „ich habe für etwas die Verantwortung übernommen“. Diese Sentenz beinhaltet, dass derjenige, der die Verantwortung für etwas übernimmt, darauf Einfluss nimmt, dass das Ziel, welches angestrebt wird, mit den subjektiven Wertvorstellungen übereinstimmt. Damit ist aber der Casus der Mission erfüllt und der Weg zum Fanatiker eingeschlagen.

Horkheimer diktiert seine Wertvorstellung allen auf. Er weiß, was Kunst ist, und er differenziert nur dialektisch. Für Materialismus ist die Freiheit axiomatisch. Er bemitleidet die Menschen, die von der Kulturindustrie verwaltet werden. Er sieht in Lieschen Müller immer irgendwo die Garbo. Aber die Garbo ist doch auch nur ein Phantom, welches eine wichtige Steuerfunktion im hominiden Netzwerk hat. Dabei, was ist Freiheit? Eben auch ein Phantom, weswegen Kriege geführt und Massen verführt wurden und werden. Die Regulatoren einer menschlichen Gemeinschaften sind deswegen so schwer durchschaubar, weil sie über lange Zeiträume reichen und die eingeschlagene Richtung nicht vorhersagbar ist, weil jeder Einzelne einen Faktor darstellt und seine Reaktionen vergleichbar mit dem Wetter nie genau vorhersagbar sein werden. Das Beste, was man erreichen kann, ist, aus diesem Wust von Möglichkeiten Tendenzen herauszufiltern. Der Marxismus als echter Kausal-Determinismus beschreibt einen Weg von vielen und macht diesen zum Gesetz. Und aus dieser zwingenden Notwendigkeit heraus opfert er Andersdenkende seinem Moloch – der Freiheit. – Die Freiheit, die ich meine, ist eine andere.

29.11.90
Die orthodoxen Marxisten sind wie Pygmalion, sie schaffen sich ein Idealbild und versuchen ihm Leben einzuhauchen. Es gelingt ihnen nicht, und dann erfinden sie eine Begründung dafür, weil das Unbelebte nicht so reagiert wie das natürlich Gewachsene, und sind auch zum Schluss noch stocksauer, wenn es noch Lebendiges gibt, welches noch widerspenstiger ist.

1.12.90
Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!
Ich habe eigentlich nie etwas dabei gefunden. Ich kann mich ziemlich früh an Weihnachten zurückerinnern. Erst war da nur ein Licht, dann fand ich alles so ganz anders, als ich es gewohnt war. Ich habe mir das behalten. Aber die Erinnerung an etwas, was man das erste Mal erlebt, ist eigentlich bleibend. Dann schwächen die Erinnerungen dieses Bild, und irgendwann wird es zur Gewohnheit. Dann feiert man ein Zeremoniell, ohne es mit Leben zu erfüllen. Dann ist man der Skatbruder, der nicht um des Spieles willen, sondern um der Gewohnheit willen am Freitagabend spielt.
Ich habe eigentlich immer gegen die Leere dieses Daseins gekämpft, indem ich versuchte, Zeremonien mit Leben zu erfüllen. Ich konnte es eigentlich nicht fassen. Bewohner einer Welt zu sein, mit solch simplen Gesetzen. So langsam beginne ich aber dieses Puzzle zusammenzukriegen, und ich bin mit meinen 58 immer noch so gespannt wie mit zwanzig, wie alles ausgeht. Denn der Ausgang dieses Kampfes ist eindeutig, der Tod, aber dazwischen kann man eine Menge Spaß haben. So war und ist Weihnachten für mich ein Fest der Freude. Aber erfüllt habe ich es erst, als ich begann, mir Gedanken für andere zu machen. Sie zum Beispiel zu beschenken. Im Skrupel für die Geschenke des anderen liegt die Erfüllung des Zeremoniells.

Einen entscheidenden Einblick in die Funktion des Zeremoniells hat mir Norbert Elias gegeben. Er beschreibt die Selbstorganisation der Macht durch Menschen. Die Geschichte endete damit, dass der Mensch erst von seiner eigenen Organisation unterjocht wurde und dann irgendwann in naher Zukunft durch seine eigene Evolution überflüssig wurde. Ich habe mir vor einiger Zeit dieses Szenario ausgedacht, aber der Moravec begründet das wissenschaftlich, ich kann ihm dafür nur meine Hochachtung zollen, weil er einer der wenigen ist, der dies als seriösen, wissenschaftlichen Report aufzeigt. So was trauen sich nur Science-Fiction-Autoren wie zum Beispiel Stanislaw Lem.

4.12.90
Es ist eigentlich schade, dass zwischen Birgit und mir so eine Konkurrenzsituation herrscht. Dabei könnte sie doch von mir profitieren. Man kann das so sehen, dass ich das Medium bin und sie der Magier ist, der etwas daraus macht. Aber sie steht sich mit ihrem Ego im Wege. Mir kommt es nur darauf an, mich zu verwirklichen, der Erfolg ist mir eigentlich egal, ich bin so reich an Ideen und habe ein vielfältiges Sensorium für meine Umwelt entwickelt, dass mir die Resümees nur so zufallen. Ich könnte sie jedem schenken, weil ich habe morgen neue, aber in so einer kleinen verpissten Kleinstadt mit Leuten, die sich um ihre Existenz meinen sorgen zu müssen ... Es ist mir alles ein wenig unter meinem Level.

Natürlich missbilligt sie auch, dass ich dem Honig fröne. Aber was wollen denn die Bürger. Ihr Alkohol kann mir gestohlen bleiben, den habe ich schon hinter mir. Zu grobsinnlich. Er bringt mich zu Höhenflügen, die außerhalb der Welt dieser Bürger sind. Was sind eigentlich Kriminelle. Es sind wie auch immer Leute, die sich außerhalb der Gesellschaft stellen weil sie diese zum Kotzen langweilig finden. Die Zuhälter machen Geschäfte mit dem Unvermögen der Bourgeoise, ihre Triebe auf natürliche Weise loszuwerden. Die Louis haben ja auch eine ähnliche Ordnung wie die bürgerlichen.

Da muss ich mich an den Nuttenkarneval im roten Hahn in Augsburg erinnern. Ich wollte mir mal die Rotlichtszene in Augsburg der 64er anschauen, weil mein Reiseplan genau in Augsburg zum Faschingsmontag gelandet war.
Also im roten Hahn waren alle Nutten parat und kostümiert. Mangels Freiern tanzten die Damen miteinander und sie forderten sich auf, wie es bei Teenagerbällen, Tanzstundenereignissen üblich ist. Sie gaben sich gegenseitig Runden aus. Und sie achteten sogar darauf, dass ein Freier wie ich nicht über Gebühr ausgenommen wurde, weil sie ja nicht im Dienst waren.

Heute Morgen hatte ich Marcel Proust in der Hand. Gesamtausgabe, noch von der Elisabeth gekauft. Proust hätte ein Nuttenuniversum aus dieser Fete gemacht. Dies ist nicht die Gegengesellschaft, sondern dies ist eine Gesellschaft eine Stufe darunter. Es geht im eigentlichen Sinne ums Ficken und daher ist diese Gesellschaftsordnung eine Drüsengesellschaftsordnung. Bumsen, Saufen, Spielen, Prügeln, Mordsauto fahren etc.

So ist der Bürger. Es geht ihm um die Gelegenheit, die er, da er sich als etwas Besseres wähnt, ausschlägt. Heimlich geht er zu den Nutten und sucht dort, was ihm nur sie zu geben vermögen. Er sucht seine verlorenen Gelegenheiten und versäumt es, in die Zukunft zu schauen. Sie sind alle unwirklich, und wie gut sie dort liegen, was für eine Katastrophe, wenn all die Hoffnungen des Bürgers wirklich würden. Gigawelten.
Es schleppt ja jeder seine Leichen mit sich rum. Und wie oft kommt man in Versuchung, den Robin Hood zu spielen. Wenn du erst einmal die Vernetzung und die Komplexheit dieser unserer Welt erkannt hast, dann kommst du bald an den Nucleus Panglossus. Das unendliche Chaos, das einen umgibt, und in dem man mit persönlichen Mitteln ein wenig Ordnung schafft, gestattet einem aber zugleich, alles, aber auch alles zu entschuldigen. In nahezu jedem Chaos treten Inseln der Ordnung auf. Aber wen interessiert das, wenn man keine ichbezogene Ansammlung von quasi entropischen Antinomien ist.

10.12.1990
Die Liebe ist nichts als ein Spiel der Drüsen.
Davon könnte man ein Rondell machen.

Die Liebe ist nichts als ein Spiel der Drüsen,
es sprüßt die drüs
trüdellüdü
komm ab komm min lib
de zit is umb
schlarfe hing, schlarfe hing
mamut mamut machmut tut gut
und schlampige schlaufe
hing im Ringelkranz
Trüdellüdü Trüdellüdü
Der Lorbel schwingt im Winde
Die Qunzel probt den Ründeltanz
das Tronzel quapt im Myrtelkranz
Trüdellüdü, Trüdellüdü

Die nächsten Seiten bestehen aus Menükarten zu bestimmten Anlässen und Themen in der Reinhardtshöhe, wie sie Reinhardt erläuternd und illustrierend zu den kulinarischen Kreationen seiner Frau entwarf.

City Point – Weihnachtsfeier
Speisekarte

Elsässer Salat – Grüner Salat – so man bekommt, Frisörsalat – mit Knoblauchcroutons und wachsweich gekochtem Ei und Speckwürfeln
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Kartoffelsuppe nach Art der Weinleser – Im Herbst zur Zeit der Weinlese ist nicht viel zum Tafeln. Aber für die harte Arbeit im Weinberg gab man diese Suppe zum Kraftschöpfen
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Lauwarmer Lachs mit Kräuterschaum – leider konnte wir unsere Gasrechnung nicht bezahlen, sonst hätte es heißen Lachs gegeben
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Holunderblütensorbet mit Crémant – Im Frühjahr schweifen wir in die Wälder und Auen, Holunderblüten zu sammeln. Wir mazerieren sie in Wein und im Winter gibt es siehe am Anfang des Absatzes
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Gebratene Keule vom Schwarzkittel mit Wacholdersauce, gefüllte Birne mit Preiselbeeren, Apfelrotkohl und Pommes Dauphine
Eine stramme Keule legt da im Wacholder und synchronisiert die Dauphines mit den
Leidenswünschen der Preiselbeere. Und der Apfelrotkohl, der schaut zu.
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Profiteroles mit Grand Marnier gefüllt, Himbeermus und Apfelblüteneis
– Windbeutelchen – wer sieht sie nicht im CITY POINT herumflanieren – gefüllt mit Grand-Marnier-Creme und duftigem Himbeermus, da fällt das Apfelblüteneis nicht weit vom Birnbaum
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Menu für eine Weihnachtsfeier der Firma AS Autosalon, Salzgitter

Elsässer Salat
– Grüner Salat, so man bekommt, Frisörsalat, mit Knoblauchcroutons und einem wachsweich gekochtem Ei und Speckwürfeln
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Grünkernsuppe mit Markklößchen – Grünkern oder Dinkel ist eine Weizensorte , die heute nur noch in Baden-Württemberg angebaut wird, siehe auch Dinkelacker Bier
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Lauwarmer Lachs mit Kräuterschaum – leider konnten wir unsere Gasrechnung nicht bezahlen, sonst hätte es heißen Lachs gegeben.
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Holunderblütensorbet mit Crémant – Im Frühjahr schweifen wir in die Wälder und Auen um Holunderblüten zu sammeln. Wir mazerieren sie in Wein und im Winter gibt es siehe am Anfang dieses Absatzes
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Geschnetzeltes vom Schweinefilet mit einer Sauce von rosa Champignons, Gemüse der Jahreszeit und Spinatgratin
Sahnig-cremig lümmelt sich träge das voluminöse Geschnetzelte auf dem Teller. Umgeben von jungem Gemüse und einem Spinatgratin träumt es einen sadistischen Traum vom Gefressenwerden.
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Küchenmeister Birgit's Gugelhupf mit Gewürztraminer-Schaum und Rum-Rosinen-Eis – Eine Dessert-Creation von Küchenmeister Birgit Jahn-Reinhardt – zart wie die trockene Haut des Frühlings, versehen mit Traminerschwere, einer Ahnung des Sommers und Rum, Rosine, Rosahne – Rasant wie unser SEAT TERRA
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Das Finanzamt
Des Öfteren habe ich schon darüber nachgedacht, warum die RAF nicht an die EDV der Finanzämter gegangen ist. Dies ist doch die verwundbarste Stelle des Staates. Wenn die Einnahmen nicht mehr fließen, dann werden lebensnotwendige Informationen zerstört. Dann ist die Funktionalität in Frage gestellt, d. h. Paralyse.
Aber die RAF ist, wenn sie Macht bekommen sollte, auf diese Einnahmen angewiesen, und so werden sie den Teufel tun, diese Art der Macht des Staates anzugreifen. Da machen sie sich lieber an einzelne Personen ran und bringen diese feige und hinterhältig um, weil es einfacher ist, Leute zu töten, als gegen den Moloch zu kämpfen. Sie bekämpfen nicht den Moloch, nur seine Symbole eines Staates. Sie haben nicht begriffen, dass der Staat den übergeordneten Organismus darstellt, von dem sie als Regenerationselement eingesetzt werden und den es nicht im Geringsten kümmert, was mit Regelelementen geschieht, die nicht mehr gebraucht werden.
Die RAF fühlt sich verraten von der Idee, der Revolution. Nichts Menschliches hat Trotzki, Bataille und Koestler verraten.

1.1.91
Bestandteil eines übergeordneten Organismus zu sein, verträgt sich nicht mit dem Selbstverständnis eines saturierten Individualisten.
Dazu gehört ein Willen planetarischen Ausmaßes zum Überleben.
Erinnern, das ist Information, die erhalten blieb. Woran sonst sollte man seine Identität feststellen? Konventionelle Denkgebäude setzten Markenartikel voraus, und nicht "the survival of the fittest".
Was wäre das Leben ohne Spekulation? Kapitalismus oder Röpke.
Die Eigensetzlichkeit ist der eigentliche Weg. Was nicht sichtbar ist, bildet den Zusammenhalt. Die einheitliche Theorie, die sich aus der Summe der Träume und deren Form der Verschwendung zusammensetzt.

LUXUS – die wirksamste Form der Verschwendung des Mehrwertes.
Deine Realisationen sind grandios. Ich erinnere nur an den Shah-Kaviar, den auch die Muslime erzeugen. Aus Habgier, wiewohl ich ihn genoss bei Caspian oder Petrosjan. Grau-weiß war er, und ich aß ihn nur wegen des Sakrilegs.

Natürlich Sombart, Bergfleth und Mauss.
Aber ein bisschen persönlicher Ekel ist auch schon dabei.
Dabei möchte ich nicht so vor mich hin nietzscheln. Nur ist mir wohler dabei, wenn ich meine Legitimation von bekannten Namen ableiten kann, damit ich nicht einsam den Vorreiter spielen muss.

Potzlach, natürlich, mehr erzeugen als notwendig, und notwendig ist immer ein wenig mehr, die Sicherheitskopie, damit man gefeit ist vor Vergessen und Abgleiten, doch denke man daran, dass man bei aller Freiheit den Fehler nicht im Menschen, sondern in der Selbstorganisation als Trendkatalysator sucht.
Im Moment der perfekten Reglementierung entwickelt der Mensch eine weder in Richtung noch in Intensität vorhersagbare Kreativität, die Erstarrungstendenzen eines zur Trägheit neigenden Metabolismus verhindert. Dabei muss man dem Kapitalismus Flexibilität bescheinigen. Er hat ja verändert, was der Marxismus verändern wollte, während sich Spätkapitalistisches in den sozialistischen Ländern abspielte.

Wahrlich etwas für einfache Gemüter – manchmal frage ich mich, wie lange ich dies noch aushalte, aber es ist ja nicht mehr die Frage, wie lange noch, "Quo usque tandem", es ist die Tatsache, es gibt keinen Ausweg mehr, man muss sich bescheiden. Und je mehr die Ratte in die Enge getrieben wird – Amok ist kein Weg, es gibt nur den passiven oder aktiven Suizid.

In diesem Jahr Horst K., Lilo, Gerhard Fietz, Dr. Bormann, Dürrenmatt, Max Frisch gestorben, und der arme Lutz ist todkrank (gestorben am 19.8.1991).
Die Luft wird immer dünner, die Einschüsse fallen immer dichter, ein dreifaches Hipp, hipp, hurra auf unsere Toten.

Dürrenmatt – da denk ich an Varlin, welch ein Werk, in seiner Qualität unüberdriesslich.
Ein Marcel Proust der Malerei.
Momentaufnahmen, die ein Universum enthalten. Ein Universum des einfachen Lebens, von Varlins Sehweise verklärt und mit dem heiligen Schleim versehen.
Was für ein Mensch. Er konnte alle seine Probleme in eine scheißfreundliche Art kleiden. Er malte all die Köpfchen und auch den Schimmel.

6.1.91
All meine Hoffnungen chiffriere ich in verbrauchte kapitalistische Symbole.
Aber was sehe ich in meinen Träumen? Fraktale.
Vielfältig und immer neu geordnet, um sich immer neu zu ordnen.
Das ist das Geheimnis der Kreativität. Die Bestandteile sind gleich, aber die Anordnungsmöglichkeiten sind unendlich. Und jede andere Konfiguration erzeugt ein anderes Universum.

Heute beim Durchsehen von Herbert W. Frankes "Computergraphik" die Ornamente wiedererkannt, die ich in den Träumen sehe. Die sind auch so dicht und symmetrisch- asymmetrisch.

Wenn unser Denken digital abläuft, könnte es sein, dass ich die Berechnungen meines Gehirnes als Graphik sehe. Die komplexen Muster der Assoziation als Fraktal, welches seine Identität in der Iteration von Zufällen emanzipiert.

Heute diesen Artikel von Vincent Klink gelesen über den Steinbutt. Hat mich nicht sonderlich beeindruckt. Er konnte sich an meine Briefe und Texte erinnern. Seine Kuttelsuppe mit Koriander war hervorragend. Auch sonst hat es mir gut gefallen bei ihm. Sein Kochbuch ist eines meiner schönsten. Haben wir von Katzenberger geschenkt bekommen.
Gestern hat Gerlach mit Horst Wagner bei mir gespielt. Dr. Hollmann feierte seinen 65ten. Es war schön, erstens Live-Musik, und zweitens die Gespräche, die mir oft in Lebenstedt fehlen. Überhaupt, das ist es, was ich hier am meisten vermisse: keine Substanz, mit der man kommunizieren kann.

Einfach problemlos konstruieren und die Sophismen der göttlichen Langeweile behandeln wie drängende Aktualismen. Gottseidank habe ich meine Tätigkeiten, die sich durch ihre Dilettantismen vom täglichen Professionalismus unterscheiden.

Bekommt mir eigentlich ein Leben ohne täglichen Druck?
Aber unter den heutigen Umständen schon mehr als vor 10 Jahren. Und außerdem machen wir Sonntag und Montag zu, zumindest im Januar und Februar .

8.1.91
Es ist eigentlich schade, dass ich so wenig Gesprächspartner hier habe. Für mich sind solche Gespräche wichtig, weil ich mich artikulieren muss und während des Redens sich Lösungen anbieten, die sich nur schwierig im Monolog oder im Nachdenken alleine  erarbeiten lassen.

Gerlach ist eigentlich ein guter Zuhörerkatalysator. Zuhören kann ich eigentlich nur bei Menschen, denen es um etwas Substantielles geht. Dabei spielt das Thema keine Rolle. Aber meiner Phantasie werden dadurch schon spürbare Grenzen gesetzt. Im Dialog fallen mir zu den Äußerungen der anderen oft witzige Antworten ein. Wenn diese äußere Anregung fehlt, werden die Monologe bitter und spitz. Vielleicht sollte man das kultivieren.

Es ist zu überlegen, ob ich nicht einen Briefwechsel beginnen soll. Egal mit wem, einfach so. Am besten mit mir selbst, weil ich meine Argumente alle kenne. Im Gespräch mit mir erarbeite ich mir neue, die ich gegen mich verarbeiten kann.
Zum Schluss kommt man nicht weiter als Achilles und die Schildkröte, weil man den persönlichen Schluss immer halbiert und dadurch nicht vorwärts kommt, weil Schritte vorwärts wie rückwärts einen in ein ewiges Remis ziehen.
Wie sagte Mingus: "The Bass was hard work for me to get it. But composition and improvisation, that was a gift.”
Bei mir ist die Malerei das Geschenk, und kunstvolle, gedrängte Formulierungen.
Die Musik ist harte Arbeit. Da muss man erst durch die Formalismen hindurch. Musik ist difficile, weil der Faktor Zeit für die Umsetzung von Ideen bestimmend ist. Und die Projektionen von Horkheimer – ich sollte wirklich noch einmal einen Aufsatz über die "Gescheiterte Hoffnung" schreiben (gemeint ist ein Kunstwerk von Paul Isenrath aus Asphaltschollen, unter denen ein Kompass "versenkt" wurde, das im Rahmen des "Kunst überall"-Programm der Stadt Salzgitter für öffentliche Diskussionen sorgte, Anm. d. L.).

Ist Sport Kunst?
Kunstturnen ist eine Art Ballett. Aber man riecht den Schweiß, Turnen ist halt eben ein Medium für einfache Gemüter.
Ballet dagegen ist Antigravitation, ist ein flüchtiger Traum, hingehaucht von einem Choleriker göttlicher Proportionen. Hier ist Bewegung Energieumschichtung der leichten Art. Laban, Wigmann, Marceau die Mimen und Diaghliew, Bakst, Nijinsky und Erteé die schwulen Protagonisten.
Mallarmé und der hermetische Faun. Satie, der Pegasus von der melancholischen Gestalt.

9.1.91
Heute ergiebige Ideen für das Train Noir (von Hand ausgemalte Bar in der Reinhardtshöhe) gehabt. Auch das Licht nimmt schon Formen an. Dieses Mal hat es lange gedauert, bis ich eine Konzeption für diesen Raum hatte. Auch Ideen für Lampen und Wandgestaltung. Aber wie so oft könnte man diese Qual der Ausstattung beschleunigen, indem man einfach Geld hat und mit dem Material nicht geizen muss.

12.1.91
Heute endlich eine Idee gehabt, wie es weitergeht mit dem großen Bild. Ich träume ja immer von einem Atelier, verbunden mit einem Garten, in dem man seinem Ende entgegenträumen und arbeiten kann. Außerdem ein Multi-Media-Computer mit Plotter, Dia-Eingabe und Foto. Das würde mir schon Spaß machen.

17.1.91
Jetzt geht der Zirkus wieder von vorne los. Nicht mehr auf dem Laufenden mit dem Finanzamt.
Und dann kommt wieder der Vogelhändler. Na ja, wenigstens sind die wichtigsten Rechnungen vom Vorjahr bezahlt. Da können sie mir wenigstens nichts, weil man seinen Riecher nicht überall haben kann. Selbst bei den Ausgelernten.

Ich habe mir die restlichen Bücher vom Raffalt und Peterich gekauft und beginne mich auf die Reise nach Rom vorzubereiten. Da freue ich mich wirklich. Das ist ein Weihnachtsgeschenk der großzügigen Art, eine Reise nach Rom zu schenken. Für mich ist Ansehen ein Wiedererkennen. Manches Mal kommen mir Barockkirchen oder andere berühmte Gebäude vor, als wenn ich sie nach langer Zeit wiedersehe. Dabei geht es nicht unbedingt um den Wahrheitsgehalt der Gebäude und um den platonischen Wahrheitsgehalt von schattenhaften Verwerfungen der Vergangenheit.

Heute der letzte Tag mit K., dann wieder ein Jahr Abstinenz. Sonst mach ich mich kaputt. Ab jetzt gibt es nur noch S. Überhaupt, bei S. kann ich genau sagen, was sich verändert, bei K. kann ich das nicht. Ich sitze manchesmal Minuten lang und bin verzückt in mich. Es kommen auch sehr elegante Lösungen zutage. Wie z. B. im Train Noir. Die Lösung mit der Beleuchtung und mit dem Kopf vom Titl.

Was Titl (ein Künstlerfreund) anbetrifft, habe ich weder ein schlechtes Gewissen noch Sehnsucht nach einem Gespräch mit ihm. Er ist so ein Typ, der nur darauf wartet, bis er ein Denkmal abbauen kann. Gunther Fritz ist ebenso. Wenn er hier ist, dann muss er mich abkaufen. Im Gegensatz dazu kaufe ich seine Arbeiten nicht ab, weil sie abgekocht sind. Er aber weiß, dass ich weiß, dass er kein Original ist, und fühlt sich unbehaglich, und dann wartet er, dass ich einen Fehler mache. Und das kotzt mich an. Darum bin ich froh, dass ich sie nicht so oft sehe. So ein- bis zweimal im Jahr, das reicht. Auch in dem, was wir uns zu sagen haben.

23.1.91
Heute Nacht einen Traum gehabt. Ich war froh, als ich Birgit sah. Einmal Traum in der Höhle und mit Hund und Hof, der andere als Besitzer des Grand Hotels.

27.1.91
Heute Abend ganz spontan nach Isernhagen gefahren und im Hopfenspeicher essen gegangen. Der Besitzer Wilhelm Strohdach ist ein origineller Kerl, so um die fuffzig, und hat eine allerliebst anzuschauende, junge Frau – ca. 27, auf 17 zurechtgemacht – die mit Ihren Reizen unten rum nicht geizt und die einen ordentlichen Service hinlegte. Wir mußten ziemlich lange warten. Der Empfang war null, wir standen da und keiner nahm uns den Mantel ab. Auch mit dem Aperitif mussten wir eine Weile warten. Wir vertrieben uns die Zeit mit Blödeln. Und der Blick, der direkt in die Küche ging, verführte auch dazu. Es ging immer eine Tür auf, die einem den Blick in Küche zeitweilig versperrte. Zum Schluss ging der Oberkoch dahin und zog an einer Rolle, auf der sich Hansaplast befand. Nun war es uns klar, das war nicht der Kühlschrank, wie wir gedacht hatten, sondern der Verbandskasten. Das Essen war sehr gut. Mit Abstand das beste, was ich in und um Hannover bisher bekam.

28.1.91
Heut Abend, nach unserem letzten freien Sonntag, sind wir mit Schwiegereltern und Richard nach Hannover zum Gastronomieball gefahren. Wir müssen auch mal was für unsere Abwechslung tun, sonst wird die ganze Geschichte langweilig.
Vorher eine bezeichnende Situation: Birgit zog die Pelzjacke an und Erika meinte, der Mantel passe besser. Mich ritt der Teufel, und weil ich es auch passender fand, dass Birgit ganz gut aussah. Das war’s auch. Aber Erika, gewohnt, recht zu bekommen, bohrte so lange, bis sie sah, dass sie nicht recht bekommt. Und dann gab sie beleidigt und zornig auf. Mich hat es gewundert, dass sie nicht noch mal davon anfing. Und wenn, hätte ich sie auflaufen lassen. Außerdem hat sie das Gefühl für Stärke. Aber sie bewundert an der Stärke einfach nur das Vermögen, sich durchzusetzen, und sinnt, was ist da für ein Trick.
Birgit hat das schon ein bisschen geschnallt, dass das etwas mit Persönlichkeit und Menschenführung zu tun hat. Erika schnallt gar nichts. Sie denkt, das ist eine Frage der Mimik, und kommt nicht auf die Idee, dass das etwas mit Menschlichkeit zu tun hat. Irgendwo ist da schon eine familiäre Ähnlichkeit.
Für solch eine Menge Menschen zu kochen ist schon eine Leistung, aber der Salat hatte die Temperatur, die eigentlich der Sekt und das Bier haben sollten, und umgekehrt.

1.2.91
Ganz vergessen, am 15.1.91 ist im Golf der Krieg angefangen worden. D. h. der Irak hat am 2.8.90 Kuwait besetzt.  Damit hat er eine völkerrechtswidrige Situation geschaffen, welche durch die UNO verurteilt wurde und der Irak durch einen Beschluss der UNO-Vollversammlung aufgefordert wurde, Kuwait wieder freizugeben.
Hussein hat alle Aufforderungen zur Beilegung des Konfliktes verstreichen lassen und sich stark genug gefühlt, gegen die Welt anzukämpfen. Also ging es am 15.1.91 los. Es ist zum Kotzen, aber irgendwo ist es einfach zu Ende. Hussein versuchte und versucht immer noch, Syrien, Iran und die Sowjetunion in den Konflikt hereinzuziehen. Und es sieht so aus, dass er es bei der Sowjetunion schafft. Gorbatschow ist es mit seiner Perestroika nicht gelungen, diesen unbeweglichen Koloss seines Landes zu reformieren. Die Versorgung bricht zusammen und die einzelnen Staaten versuchen sich zu separieren. Vor allem das Baltikum mit Lettland, Estland und Litauen. Damit wäre seine Flanke nach dem Westen offen. Polen, schon immer ein unsicherer Kantonist, ist wieder der Puffer zwischen Ost und West geworden, was er immer schon war. Wenn es so weitergeht, steht die neue Teilung Polens bevor. Wobei sich dann nur noch das Gebiet um den Bug zu Russland bekennen würde und der Rest mit fliegenden Fahnen zum Westen überlaufen würde. Es wundert mich eigentlich, dass sich China so still verhält. Die warten nur darauf, sich einen großen Brocken einzuverleiben. Aber daran werden sie auch zugrunde gehen.

Gestern Abend mit Mehring und Holger dem Zoni diskutiert über den gerechten Krieg, über die Wahrheit und damit über das Absolute.
Was aber ist ein gerechter Krieg?
Was ist die Wahrheit? Wenn ich erfahren will, was gerecht ist, dann muss ich vorher klären, was wahr ist. Denn gerecht ist ein Unterbegriff und setzt den Besitz der Wahrheit voraus. Wenn es aber keinen gerechten Krieg gibt, dann sollte man ernstlich prüfen, ob es überhaupt eine Wahrheit gibt. Da es keine Wahrheit gibt, wird es auch keine Gerechtigkeit geben. Vielleicht ist es so, wie Trasybulos sagte, Gerechtigkeit ist das Recht des Stärkeren.
Das Minimum erkennt man nur, wenn es riecht und stinkt, Missstände will man nur ernstlich beseitigen, wenn sie ekelhaft genug sind, dass sie einen aus der alltäglichen Lethargie reißen und die Gerechtigkeit geht dahin, wenn man erkennt, dass soziale Normen variable beim sadistischen Bundesamt sind.

2.2.1991
Der Mensch als endliches Wesen sucht seine Zuflucht in der Eindeutigkeit des DIAMAT. Dies gibt ihm die Sicherheit, die früher die Religion gab. Dies ist das Problem von Holger Zonus. Ich muss einen Syllogismus über den gerechten Krieg finden.

Am Nachmittag war Erhard da und hat uns sein Leid geklagt. Irgendwo ist sein Leid auch mein Leid. Weil wie auch immer die Symptome und wie sich das Leiden bei ihm äußert, meinen Erfahrungen ganz ähnlich ist. Der Unterschied ist lediglich der, dass ich meine eigene Welt habe, an die niemand drankommt. Daher bin ich auch resistenter gegenüber den Angriffen. Was mich allerdings immer wieder auf die Palme bringt, ist die Zusammenfaltung vor allen Leuten. So taktlos zu sein, vor allen Leuten zu sagen, das mach ich nicht, oder ich gehe. Und ich muss nachgeben um des lieben Friedens willen, damit der Laden zusammenbleibt. Da bin ich mir manches Mal nicht sicher, ob ich nicht auch mal ausraste und abhaue.

8.2.91
Was müssen solche Typen wie Hitler, Napoleon, Saddam Hussein für Qualitäten haben, um junge Menschen für ihre Hirngespinste in den Tod zu jagen. Sie hungern und frieren, sie geben ihr Leben für ein Phantom.
Die Staatsidee – Hirngespinst sozialer Insekten? – Demonstrationen des Volkswillens, angefacht gegen Ungläubige, lassen mich erblassen.
Irgendwo in der Nähe von Huxley liegt die Wahrheit. Neugier, Geldgier und Hoffnung, Mutter der Leichtgläubigen. Sie legten Pappenheim auf die Trommeln, als er den Schlagfluss bekam, und zogen nach Rom mit dem Tod im Tornister.

10.2.1991
Nach der Lektüre der römischen Spaziergänge von Raffalt muss ich zu dem Schluss kommen, er ist ein Kathole. Was nicht heißen soll, dass er kein liebenwürdiger Mensch sei. Er schreibt so unterhaltsam, daß es mir bis jetzt nicht langweilig geworden ist.
Auch Peterich schreibt einen Stil, dem ich immer wieder erliege. Diese römischen Päpste kommen ja eigentlich nicht allzu gut weg, aber beide begeben sich immer wieder unter den Schutzmantel der Räson, der katholischen Staatsidee, unter der alle einen Platz haben, solange sie ihren Häresien abschwören. Sollten die Sünder dazu noch gläubig und loyal sein, können sie sich trotz allen Widerspruches eines gemütlichen Plätzchens beim ewig währenden Feuer der Alleinseligmachenden sicher sein.

20.2.91
Ich habe eine schlimme Erkältung mit Bronchitis gecatcht, schon lange nicht mehr so krank gewesen. Sogar Werner macht sich Gedanken.

Geschäft ganz gut. Finanzen wie immer beschissen.
Hoffentlich komme ich mal heil aus der ganzen Misere heraus.

Birgit will am Donnerstag nach Prag fahren. Nun ist Heike Hufenbach krank geworden und kann nicht, Klaus fährt nicht mit, und da wird Birgit auch nicht fahren.

Birgit ist Gott sei Dank gefahren und die Gaby Werner von Immendorf kam mit. Sie hatten beide viel Spaß und kamen glücklich zurück. Birgit hat schöne Fotos gemacht und hat viel gesehen. Jugendstil, den Judenfriedhof etc. 
 
22.3.91
Es ist so einiges den Bach hinuntergelaufen. Nun haben sie und ich die Idee, dass wir verkaufen sollen. Wohnung und Brot werden wir in Hannover finden. Aber ich brauch eine Werkstatt, mal sehen, wie es wird. Das Geschäft ist im Augenblick schwach. Mal sehen, was die Zukunft bringt. Übrigens, im Irak ist der Krieg zu Ende. Mal sehen, wo es weitergeht.

26.3.90
In 14 Tagen um diese Zeit sitze ich auf der Via del Corso und schaue mir Rom mit anderen Augen an. Ich werde meine große Kamera mitnehmen und muss halt eben aufpassen. Außerdem werde ich die Minox dabei haben, aber für Tivoli und in Rom ist ein Tele Pflicht. Und dann kann ich vielleicht mal zu Ruhe kommen. Zum Malen komme ich sowieso nicht, aber zum Resümieren. Bernini, Maderna usw. alles werde ich mir anschaueneinziehen, bis mir schlecht wird. Jeden Tag zwei Diafilme und noch Dias dazukaufen.
Das wird eine Dokumentation.

5.4.91
Freitag und die Finanzen sind mies. Wenn ich Glück habe, habe ich 'nen Blauen pro Tag. Naja, auch genug, es wird reichen zum Essen und ein paar Dias kaufen. Abends für ein Glas Wein. Das reicht. Heut in der Zeitung – Max Frisch ist gestorben. Sein Graf Öderland geht mir heute noch in die Knochen. Der Biedermann und die Brandstifter und die Tagebücher, Homo Faber, Stiller, Don Juan ...

26.4.91
Routinen, die mich stören. Und vor allem die Menschen, denen diese Routinen zum Gerüst für ihr Überleben in der Gesellschaft geworden sind. Ich fühle mich aber auch nicht zu allen Außenseitern hingezogen. Am besten lernt man sich kennen, quatscht ein paar Tage miteinander und dann geht man woanders hin, denn es kommt immer wieder auf dasselbe hinaus. Irgendeine Bindung. Das ist auch der Grund, warum ich so spät geheiratet habe. Und im Grunde fühle ich zu überhaupt nichts eine Bindung. Wenn ich hier fort bin, werde ich immer eine Ecke schaffen, wo meine Laren sind und wo ich mit meinen Zerstorbenen reden kann. Ich mach das ja immer in dem Bewusstsein, dass ich eigentlich mit mir spreche. Und das ist Dialog genug. Es ist ein Gefühl, das ich häufig bei Junkies gefunden habe, manchmal auch einfach so. Ab einer gewissen Einsicht wird das Ganze zum Monolog.

5.5.91
Ich sitze hier und warte auf eine Möglichkeit, ins Bett zu gehen. Dabei bin ich so gut drauf, dass ich tagelang aufbleiben könnte. Bettina macht mir im Augenblick Kummer. Irgendwie kommt die mit dem Leben nicht klar. Daher auch die Flucht in den Mutterschoß. Ich glaube, die wird nie selbstständig.
Die Tine ist auch ganz schön komisch. Je mehr ich in dieser bürgerlichen Gesellschaft stehe, umso mehr fühle ich, dass hier auf jeden Fall nicht mein Platz ist.
Ich gehe dann pennen, 3 Uhr 45. Bis dann.

7.5.91
Ich mache schon wieder Pläne. Wenn ich im Lotto gewänne. Aber im Ernst, ich könnte schon wieder, dieses Mal eine Betonbude, zum Leben erwecken. Wenn ich könnte, ich würd's tun. Aber diesmal professioneller und konsequenter.

Dieser Schwebezustand, in dem man sich manchesmal befindet, lässt einen alles um sich herum irgendwie verzerrt empfinden. Zwischen diesem Erkennen und dem Sich-in-den-Sielen-wühlen sind denkbar geringe Entfernungen.

19.5.91
Ich habe angefangen, Reisetagebücher zu führen und diese zwanglos in die Tagebücher zu integrieren. Da kann ich auch die Fotos integrieren und das Ganze etwas anschaulicher darstellen. Wofür führt man eigentlich Tagebuch? Die Zeit, als ich noch mit der Hand schrieb, war eigentlich mystischer. Durch die teilweise, weil in trunkenem Zustand geschrieben, unleserliche Handschrift müsste man einiges schon rekonstruieren. Durch diese Rekonstruktion wurde auch das ganze Umfeld wiedererstellt. Beim Computer-Tagebuch muss man sich klarer, weil leserlicher, ausdrücken.

Bis auf Weiteres werde ich mit der Hand malen und mit dem Computer schreiben. Bis ich genügend Geld habe und mir eine große Maschine kaufen kann, mit einem Plotter. Dann werde ich auch mit dem Computer malen. Ich muss mich einfach darauf vorbereiten.

19.5.91, Pfingstsonntag
Heute Mittag gutes Geschäft. Nach dem Geschäft, ca.14 Uhr 30, zeigte mir Birgit Ihr Portemonnaie. Es war leer. Und die Tippkasse auch. Irgend jemand hat unseren Schreibtisch gefilzt. Da fiel mir ein, Bettina war zum Schluss alleine. Die anderen, Kerstin, Esther und Jasmin waren schon gegangen. Man kann nichts nachweisen, und daher habe ich sie innerhalb der Probezeit entlassen. Im Grunde genommen ist sie ein armes Luder. Weil sie nicht genügend im Kopf hat, um mit der Sucht fertig zu werden. Es ist auch so typisch. Egal wo ich meinen Deal herkriege, Hauptsache, er törnt. Ich finde solche Weiber (Typen) einfach zum Kotzen. Wenn sie glaubt, irgendwie mitreden zu können, dann setzt sie sich in Positur, am besten die Beine übereinandergeschlagen und ein bisschen Bein zeigen, damit das Gegenüber abgelenkt ist. Und dann einen Schwachsinn sülzen, dass es einem schlecht wird. Und wenn sie überführt sind, verstecken sie sich hinter ihrer Weiblichkeit. Den Waffen der Frau, man soll doch Rücksicht nehmen, weil man doch so nervenschwach sei. Im Übrigen habe man ja keine reguläre Ausbildung genossen, weil man frühzeitig von dem ganzen System frustriert ist. Diese autoritären Lernmethoden haben ihre Sensibilität so verschreckt, dass sie sich bis heute nur noch in verstörter Form zeigt. Im Übrigen zeigt sich in der Argumentation des Gegenübers ein übermäßiger männlicher Autoritätsfimmel, der den Durchblick zur echten Weiblichkeit, wie sie ihn darstellt, einfach verschleiert.
Diese idiotischen Schlampen sind im Grunde ihres Wesens richtig doof, und dazu noch so morbid und dekadent, dass sie zu faul zum Kinderkriegen sind. Na ja, ich könnte mich ja in Wut reden. Mach ich aber nicht. Ich lache gegen den Wind. Und wenn’s ihm nicht passt, kann er ja in die Zone gehen.

Dabei fällt mir ein, warum ich bei bestimmten Frauen und Mädchen, für mich besonders gutaussehenden, besonders hinterher war. Ich dachte immer, dass sie durchschaut hätten, dass ich nicht konsequent genug eine Ehe betreiben könnte. Mittlerweile denke ich, dass ich dieses Bestreben nach Heim, Haus und Hund früh genug durchschaut habe, dass die Mädchen sich nicht mehr sicher waren, das zu erreichen, was sie sich vorgenommen hatten. Bei denen, die ich für besonders attraktiv gehalten hatte, und die umschwärmt von allen Jungs waren, war es so, dass sie die große Auswahl hatten und trotzdem immer auf Nummer sicher gingen. Nach ein paar Jahren trafst du sie mit Kinderwagen, und noch später fragte ich mich, was ich eigentlich an der gefunden hatte?

21.5.91
Gestern, Pfingstmontag, habe ich Gerlach Bommersheim angerufen. Irgendwie kamen wir über Rom zum Verkehrsverhalten und ich brachte mein altes Thema "Wie unterscheiden sich Nationalitäten?" zur Sprache.
Eines der auffallendsten Merkmale, bei denen man das Verhalten von Römern und Deutschen vergleichen kann, ist der Straßenverkehr. Der Verkehr in Rom ist für einen Deutschen aus dem nördlichen Teil der BRD schlichtweg ein Chaos, eine Katastrophe. Merkwürdigerweise funktioniert das System. Es gibt zeitweise Stillstände, die in einem Hupkonzert gipfeln. Aber die Geduld ist eine hervorstechende Tugend. Es gibt Fußgängerampeln und keiner oder nur wenige halten sich daran. Die Ampeln an den Kreuzungen oder Straßenübergängen haben relative Bedeutung für alle Verkehrsteilnehmer. Hier im alles regelnden Deutschland bremst zwar jeder bei Rot. Aber bei Grün rasen sie los und es wird auf den Straßen und an den Ampeln lebensgefährlich.

1.6.91
Ich bin nicht faul gewesen, denn ich habe an den Memos und den Reisetagebüchern gearbeitet.

Heute haben mich Winnie W. und seine Frau besucht und haben mir ihren Rotzigen gezeigt. Nun wollen sie mir so etwas aufschnacken. GBH. Bei einem Gespräch über Adorno und Horkheimer bekamen sie keinen Stich. Da wollte sie mir zum Schluss noch einen mitgeben, indem sie sagte, dass sie die vielen Fakten jetzt im Augenblick nicht nachprüfen kann. Und sie bedauerte das, weil sie mich gerne überführen möchte. Ich zeigte ihr den Horkheimer und gut war’s. Dabei ist alles eine tendenziöse Interpretation, in der ich die Bausteine nach Belieben zusammensetze, wie ich es für richtig finde, und auf diese Weise baue ich mir ein Modell der Wirklichkeit, wie ich sie sehe. Philosophen, Physiker und Theologen suchen ja von Anbeginn nach einer Weltformel, und jeder hat seine Terminologie dafür. Dass dies misslingen muss, liegt einfach an der Komplexität dieses Universums, in dem alles so vernetzt ist, dass Aussagen über das Universum nur vom Universum getroffen werden können.
Ich erinnere da an meine Geschichte vom Universum, das sich an sich selbst erinnern wollte. Prigogine sagt ja, dass die Natur aus Rückkopplungen auf allen Ebenen besteht. Da die Naturgesetze nicht von Anbeginn bestanden, sondern nach und nach von eben diesem Prozess hervorgebracht wurden. Es gibt ja Spekulationen, nach denen das Universum in seiner uns bekannten Form das Ergebnis eines unglaublichen Zufalls sein könnte. Ich weiß ja selber nicht, warum mich diese Fragen so brennend interessieren, dass ich alle Literatur von Friedr. Cramer bis Rudy Rucker in mich hineinfresse. Ich bin wirklich gespannt, zu welchem Ergebnis das alles führt. Nach meiner Einstellung zum Leben liegt kein besonderer Grund vor. Doch die Ergebnisse der Selbstorganisation der Materie von Prigogine u. a. lässt vermuten, dass in der Existenz von Schrödingers Katze der Hund begraben liegt.

6.6.91
Nachruf
Birgit ist für ein paar Tage nach Merenberg zur Anni, Gerhards Frau, gefahren.
Sie hat sich dort erholt und kam heute, Donnerstag, zurück.
Sie hat mir ein Bild vom Gerhard mitgebracht. Er war ein herzensguter Kerl. Verstand es aber bei aller Güte immer, seinen Status ins richtige Licht zu setzen. In seinem Leben, welches manches Mal turbulent verlief, musste er viel arbeiten und hat sich mit viel Elan durchgesetzt. Er hatte gerne recht und strich es anderen aufs Brot. Bei einer Auseinandersetzung mit dem Sohn seiner Schwester Edith wurde er aufs Schmählichste betrogen. Dies ist umso unverständlicher, als er während der Zeiten des eisernen Vorhangs mehr gab, als er sich eigentlich erlauben konnte.
Er hat sich darüber zu Tode geärgert. Die anderen sollten sich eigentlich schämen, aber sie beschlossen, es nicht so genau zu nehmen.

12.6.91
Irgendwie kommt einem die Perspektivlosigkeit des Lebens immer näher. Dabei könnte ich mir ein Leben ohne täglichen Stress ganz gut vorstellen.
Ich höre gerade Cannonball und komme so langsam hinter das Geheimnis seines Stils.  Er hat so viel Luft, dass er die natürlichen Grenzen, die einem die Kondition vorgibt, überbläst. Und anschließend Gene Ammons und Sonny Stitt.

Ich kann verstehen, dass man richtig in Schwierigkeiten gerät mit seiner Psyche, wenn der Ausführung von Ideen Grenzen durch den maroden Körper gesetzt werden. Ich komme auch langsam mit der Gitarre weiter. Ich weiß auch, warum ich so langsam in meinem Leben weiterkomme. Ich sehe es doch mit dem Laden hier. Ich habe immer so viel zu tun, dass mir etwas gründlich zu tun verwehrt bleibt. Es nerven mich vor allem solch blöde Routinearbeiten. Ich hoffe, dass ich eines Tages so viel Geld habe, dass ich mir für solche Arbeiten einen Neger erlauben kann.

14.6.91
Es ist wieder einmal so weit, der Urlaub naht, das Geschäft geht zurück und ein Urlaub auf der letzten Kröte. Na mal sehen, wie es ausgeht!
B. wollte verkaufen, weil es ihr zu viel wurde, und nun sitze ich hier mit dem Laden.
Langsam hab ich auch keine Lust mehr.

Ticket der Art Basel

21.6.91
Illuminiert und betrunken, und es macht immer wieder Spaß. Dazu financial difficulties und creative.
Bodenloser Blödsinn. Wenn ich mein Tagebuch per Hand schreiben würde, käme eine Graphik heraus, alles hätte seinen Platz in der Proportion und in diesen Zeichnungen spiegelt sich mein inneres Wesen wieder. Auf dem Computer kann ich mich besser artikulieren, aber meine Ideogramme gehen verloren. Es geht einfach ein Teil der Information verloren. Dabei bin ich mir ja im Klaren, dass Sprache und Schrift auch nur eine Krücke ist. Im Bild kann ich mich am besten ausdrücken. Hier schreibe ich Geschichte und Geschichten, es ist wie eine komprimierte Grafik auf der Festplatte. Nur für den verständlich, der die Dekompressionssoftware dafür besitzt.

Die ist auch der Grund, dass Menschen sich Bilder kaufen. Sie können ihre eigenen Geschichten nicht formulieren und nehmen dafür die anderer. Oder es fehlt etwas in der eigenen Software, sodass sie Hilfsprogramme nehmen, um sich selbst zu verstehen. Der Mensch hat eben Betriebssysteme, die selten kompatibel zueinander sind. Manche haben ein Konvertierungsprogramm mitbekommen, das sind dann die Sammler und Kritiker.

23./24.6.91
Jürgen Speckmann, Marianne Fricke und Barbara bei uns zu Besuch. Um 12 pünktlich Geburtstag von Birgit gefeiert. Einen schönen Blumenstrauß und ein schönes Bild geschenkt. Mehr kann ich im Augenblick nicht. Ich bin ja auch ein armer Löffel.
Den restlichen Verlauf des Tages möchte ich verschweigen.
Wie sagt Ludwig Wittgenstein: „Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.“

27.6.1991
Wieder mal ein bisschen klamm, nun muss ich sehen, wie ich den Laden über die Runden bringe. Ich nehme an, dass ich so gegen Ende des Jahres mit den Zahlungen in der Reihe bin. Ansonsten heißt es immer wieder lavieren, bis man mit eigener Kraft Feuer geben kann.

Mit der Malerei geht es auch weiter. Bloß der Verkauf lässt noch auf sich warten.
Ich lese morgens immer im Ankleideraum Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé, Pound u. andere.
Dieser Baudelaire, den ich sehr verehre – ich verehre alles, was ich nicht richtig verstehe –, schrieb ein Gedicht über Augenblicksbekanntschaften.
Es hat mich verblüfft, wie er eine Situation beschreibt, in der ich mich häufig befunden habe. Im eigentlichen Sinne gibt es zwei Arten vom Verstehen eines Gedichtes. Entweder die oben beschriebene Verinnerlichung eines Gedichtes, es ist das Treffen einer persönlich erlebten Situation, oder wie bei den sieben Greisen trifft seine Sprache den Imaginationsrealisator punktgenau, dass man in der Lage ist, den Geruch und die Geräusche zu hören, spüren und zu fühlen. Es ist wie bei Birgit, die bei dem einen Film nach dem Anzünden eines Stückes Papier den Geruch von verbranntem Papier in ihren Nüstern wahrnahm. Die Imagination der Wahrnehmung. Das ist ein derart schwammiges Feld, dass man damit einem gestandenen Deterministen einen Hauch des Nichts beibringen kann. Man muss es nur richtig anfangen. Überhaupt: Wenn man sich das alles richtig überlegt, dass Geruch, Denken, Fühlen, Riechen, ja jede Lebensäußerung vom Zentralnervensystem generiert wird und du mit irreparabler Schädigung desselben aufhörst zu existieren. Ein und dreiviertel Kilo ist für die menschliche Kultur und alles, was diese geschaffen hat, verantwortlich. Wenn diese schwammige Masse nicht mehr genügend versorgt wird, vor allem mit Sauerstoff, ist alles vorbei. Dann wird alles wieder Bestandteil der chaotischen Strömungen und man tauscht Informationen unbelebter Art aus.

26.9.91
Ja, was ist dann. Diese Frage beschäftigt die Denker der Nationen. Und keiner hat ein System entdeckt, welches ohne unbeweisbare Axiome auskommt. Ein System also, welches die komplexe Struktur eines menschlichen Daseins in seiner allkonsequenten Vernetzung unwiderleglich begründet.

Gut gebrüllt, Löwe.
Ich selber pflege mich hinter Nihilisten subtiler Art zu verstecken. Im Übrigen tue ich ganz cool und bin es vielleicht auch. Ich habe zwar immer vor meiner eigenen Courage Schiss, aber wenn ich mich wieder mal durchgesetzt habe, dann klopfe ich mir heimlich auf die Schulter und sage zu mir, gut gemacht, alter Bengel, und wo findet das nächste Eskapismus-Festival statt? Da beschließe ich, es wieder mal nicht so genau zu nehmen und alle meine Erkenntnisse vor mich hinauszuschieben bis zur Stunde der Wahrheit.

Wie sagte der alte Rebbe von Marc Chagall: „Redet nur, was ihr wollt, ich aber werde arbeiten." Dieses Bild habe ich mit vielen anderen in der Ausstellung „Der Beitrag der Russen zur modernen Kunst“ im Karmeliterkloster in Frankfurt so ca. 1956/7 gesehen. Da war ich noch voll Hoffnung, und unbekümmert erwartete ich den Ritterschlag des Lebens.

6.7.91
Nun, der Urlaub rückt immer näher.
Auch ich schreibe manchmal in fremden Dateien. Deshalb immer so lange Pausen. Gerade stelle ich mir als Ergebnis einer Assoziationskette vor, den Beamten der Stadt zu treffen, der die Geschichte mit dem Parkplatz so weit getrieben hat, dass ich die Bude zumachen muss. Ein Zufall bewirkt, dass wir uns in einer Kneipe treffen. Ich finde den Kerl eigentlich nicht unsympathisch. Nach einigem Hin und Her meinte er: "Eigentlich habe ich das ja gar nicht gewollt, aber um der Karriere willen dachte ich, dass mich das weiterbringt." Ich meinte, seine Bemühungen um Prosperität seien legitim, strafbar sei aber, dass er sich zum Werkzeug habe machen lassen.

Eigentlich ein Aspekt zum „Chairmen und Narr“. Habe mir gerade den Wölfli gekauft und den Gregorius und angefangen. Außerdem lese ich gerade den neuen Eco. Sonst einen Haufen Ideen und keine Ausführung.

7.7.91
Heute etwas früher aufgestanden und mit Birgit und Erikaschwieger ins Herzog Anton Ulrich gegangen und die Ausstellung „Jan Davids de Heem – Prunkstilleben" angeschaut. Es gab eine Diashow, die wir uns vorher ansahen, und anschließend gingen wir in die Ausstellung. Sie war überwältigend. Auch habe ich erfahren, dass hinter diesen Blumenstilleben auch eine uns nicht mehr geläufige Symbolik steckt. Es zeichnen sich auch Parallelen zu Italien ab. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dieser nördlichen Kunstszene und der italienischen scheint mir im Käuferkreis zu liegen. Während in Italien der Duodez-Adel und die Geistlichen hauptsächlich die Auftraggeber stellten,  rekrutierte sich nördlich der Alpen zusätzlich zum Adel und den Geistlichen eine sehr selbstbewusste Kaufmannschaft als Käuferkreis. Diese neuen Käuferschichten bestimmten das Bild der Gesellschaft. Eigentlich müsste ich jetzt ein wenig mehr Zeit haben, um solchen Einsichten nachzugehen.
Leider ist es im Augenblick nicht drin. Meine Finanzen stehen bei weitem nicht so gut, dass ich aufhören könnte. Und es ist auch eine Frage, ob ich ohne Geschäft zurechtkomme.

19.7.91
Erst langsam und dann immer schneller flüchten wir uns dem Urlaub entgegen. Dabei geht es nicht darum, dass wir zu viel arbeiten müssen, sondern weil dieses verdammte Geschäft in Routine entartet.

Aber es ist ja in allen Dingen so. Am schönsten sind die Zeiten der Entdeckung, bei einem erfülltem Leben geht nichts mehr, da kann man in die Kiste springen. Es wäre ja alles einfacher, wenn die Kohle rauschen würde. Aber noch nicht einmal das. Seit 9 Jahren quälen wir uns, damit wir die Bude erhalten können, und wenn man denkt, man hat’s geschafft, dann kommt eine Bilanz, eine Steuernachzahlung oder schlicht und ergreifend einfach kein Geschäft. Kein Umsatz und das Konto hoffnungslos überzogen. Alle drehen bald ab, bloß ich soll den kühlen Kopf behalten. Da denkt man sich manches Mal, wie es eigentlich ist, wenn man tot ist. Auf jeden Fall hat man keine Sorgen. Dabei – wenn die financial facilities geregelt wären, könnte man sich hier ein richtiges Refugium einrichten. Wie sagte Gerd Hauptmann: "Eine mystische Schutzhülle meiner Seele" – oder Walter von der Vogelweide – "han min lehn ich/han min lehn nun brennet der Hornung nicht mehr an den zehen".

21.7.91
Die Gedanken um den Saal ergeben mehrere Möglichkeiten. Wobei die Lösung von Wodarz naheliegend ist. Ich tendiere aber zu Kunst- und Antiquitätenshop, genutzt als Cocktailbar fürs Restaurant. Da kann man zweigleisig fahren, und die Leute können ihre Gewinne prestigeträchtig anlegen. In den nächsten Jahren wird die Konjunktur sich richtig aufbauen, es werden neue Dynastien entstehen und diese muss man mit repräsentativen Objekten versorgen. Zum Kotzen mit der Sprache, in einem Bild stecken so viele Emotionen, und dann wird es eine Handelsware.

Aber was macht man ohne Verkäufer? Dann sind die Herren Künstler nämlich brotlos und können als Museumswärter anfangen. In den nächsten Tagen muss ich mit D. ein wenig kürzer treten, weil ich die duty im Geschäft entsorgen muss.

31.8.91
Nun ist wieder eine Zeit, die wenig genutzt wurde, zu Ende gegangen. Am 28.7. fing der Urlaub an. Das Resteessen war lustig und Pini war da, die Eltern, Vaupel, Prochnow, Danzfuß, UVM, Hufenbachs. Danach Hufenbach, dann Lukoschuß und dann New York. Das war schön. Eine Stadt in all ihrem Wandel wiedererkannt und genossen. Auf dem Schiff, da freute man sich auf New York, weil man irgendwie ahnte, dass dies der Nabel einer Welt ist. Und diese Welt war verschieden von der heimeligen Provinz.
Danach ab Montag bis Sonntag alleine im Haus, das war schön, so richtig Rumgammeln und doch produktiv. Habe die Post gefixt und einen großen Teil fertiggemacht.
Es war auf jeden Fall schön. Außerdem musste ich mir 30.000,- bei Birgit leihen. Sonst wäre ich nicht klar über den Urlaub gekommen. Nun hoffe ich, dass das Geschäft gut geht, ich genügend Leute bekomme und bis Ultimo einigermaßen klar bin.

22.9.91
Hallo, ich lebe noch. Ich bin bis jetzt über die Runden gekommen. Es wird natürlich nicht leichter, aber ich nehm' es nicht mehr so schwer. Wenn ich so an Thomas de Quincy oder an Mallarmé, an Ezra Pound oder Jean Paul Richter denke. Ihr Leben war auch ein Auf und Ab.

Überhaupt, der Siebenkäs. Er fasziniert mich. Ich sehe nicht Kuhschnappel – ein angenehmer Nebeneffekt, um seinen Nachbarn oder auch die Frau zu verstehen und zu ertragen – sondern die Metaphern auf jeden Satz blitzen und donnern. Der Jean Paul ist ein rechter Knallprotz. Seine Brillanten  blitzen nicht nur, sondern sie donnern einem andauernd ins Gemüt.
Wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich ihm gram sein wegen der Zerstörung der bürgerlichen Idylle. Aber er ist ein Fanatiker seiner selbst. Er tut's nicht um Gottes willen, sondern um seiner selbst willen. L’art pour l’art. Er ist der Typ, der die Metaphern um ihrer Kunstfertigkeit wegen erfindet, weil das Natürliche so ordinär ist. Er liebt seine Lenette, aber nur als Idol, damit er umso ungestörter seinem Spleen huldigen kann. Wenn sie anfängt in sein Leben zu treten. Wenn sie putzt, wenn sie betriebsam alle Ecken säubert und in ihrer Betriebsamkeit dem Firmian alle Inspiration raubt, dann ist sie ihm zuwider, wie er sie liebt, wenn er mit ihr bumst. Dann bricht in ihm ein Vulkan der schönsten Rubinmetaphern auf und man ist erstaunt, welche Tiefe in der Gartenlaube steckt, deren legitimer Vorläufer er ist.

Ich habe heute an Peter Jürgen Schneider gedacht. Und mit mir einen Vergleich gezogen. Eigentlich ist Berufspolitiker ein guter Beruf, in dem ein Mann seine Bestätigung finden kann. Ich zum Beispiel lasse mich von völlig nebensächlichen Dingen gefangen nehmen. Es fasziniert mich, immer mehrere Wege zu gehen. Um auszuloten, wie mein tatsächlicher Weg verläuft. Natürlich, um Korrekturmöglichkeiten auszuschöpfen, aber auch, um die Abhängigkeit von Moden und Meinungen zu erkennen. Ich z. B. jage einer bestimmten Sorte Rum nach. Ich will sie haben. Sie fehlt in meiner Sammlung. Ich kann eine schöne Geschichte daraus machen und kann den Leuten von der Karibik erzählen, ich erzähle so plastisch, dass ich dabei dem Geschmack der See und dem süßen Duft der Karibik, dem Cajun-Food und den Drinks körperlich nahe bin. Und die Menschen kaufen mir das ab.

Der Peter ist ein Mensch, den ich schon seit 15 Jahren beobachte. Er muss viele Dinge bedenken, und muss schneller in seinen Entscheidungen sein als die anderen. Vor allem muss er den Trend erfassen. Er muss die Wirbel erkunden und muss das Chaos erfassen. Er muss es bändigen und ist selber so chaotisch, dass er für den Ordinarien fassbar greifbar ist. Ich aber sitze im Auge des Hurrikans und lasse mich in den Spiralen zu Träumen verleiten, die nichts mit dem Streben nach dem Wahren, Schönen und Guten zu tun hat. Ich erfasse die Strömungen, ohne etwas daraus zu machen, als sinnentleerte Ornamentik, die ähnlich dem Bohmschen Faden einer amorphen Masse als Poincarésche Ungleichungen zu höherer Emblematik verhelfen. Das Leben ist das Ergebnis einer irrtümlichen Entwicklung einer komprimierten Monade.

23.9.91
In der letzten Zeit habe ich mein Tagebuch auf Computer geschrieben. Ich habe auch eine Menge Ideen entwickelt. Aber nur wer fühlt, der fühlt, was fehlt. Über den Computer etwas Emotionales rüberbringen, das ist mir nicht möglich. Wenn ich mein Tagebuch anschaue, dann sind die Seiten wie ein Bild, das mich in den Seelenzustand versetzen kann, in dem ich mich vor 25 Jahren befand. Das Computertagebuch ist wesentlich gedankentiefer, es ist auf Originalität der Gedanken und Nachruhm bedacht. Das geschriebene Tagebuch ist für mich persönlich. Ich kann aus ihm meine Entwicklung nachvollziehen.

29.9.91
Heute Abend eine Gesellschaft mit G-mann. Leute, die sich beteiligen wollen, wollen das kurze, große Geld. Und dem G. ist das widerfahren, was mir widerfahren ist. Ich werde auch noch Schwierigkeiten bekommen, aber es wird wahrscheinlich klüger sein, wenn ich zur DB zurückgehe. Kaputt gehe ich nicht. Ich werde nicht kaputtgehen, ich werde eine Seite gegen die anderen ausspielen. Nun ich werde meine Möglichkeiten ausnutzen, wenn ich eines Tages mal bei irgendjemand beteiligt bin. Muss i denn, muss i denn ... Komplementäre sind ekelhaft. Darum siehe zu. Mit Uli (Uli Ehlers, betrieb als Pächter im Saal der Reinhardtshöhe eine Diskothek) großer Ärger. Vier Monatsmieten stehen aus.

2.10.91
Uli Ehlers hat sich noch nicht gemeldet. Ich muss jetzt in die Vollen gehen. Den Gedanken der Zivilisationsflucht ausspinnen. Wie jeder in diesem Beziehungsgeflecht eingebunden ist und wie diese Bürokratisierung der persönlichen Machtbereicherung Tür und Tor öffnet.

6.10.91
Wieder mal ernsthafte Sorgen um den Laden. Personalkosten zu hoch, Bank zu teuer und Wareneinsatz zu hoch. Der Ertrag kommt erst rein, wenn wir über 70.000 Mark Umsatz machen. Das ist zwar von Oktober bis Mai gewährleistet, aber der Juni, Juli,  August, September bringen mich immer derart runter, dass ich es bis jetzt immer mit Mühe und Not geschafft habe. Nach Anstieg der Personalkosten auf über 20 Mille per Monat muss es über 80 M sein, sonst kann ich noch nicht mal meine Lebensversicherung bezahlen. Na ja, ich werd's versuchen zu verkaufen. Jetzt oder nie. Wenn einigermaßen klappt, bleiben 250 übrig, damit lässt sich leben.

7.10.91
Was zum Teufel hätte Baudelaire zu einem Taschenspieler gesagt. Z. B. zu Boris Vian.
Er selber war schwermütiger Art. Die Unausgewogenheit des Freaks. Alles, was leicht vor sich ging, beobachtete er mit Misstrauen. Der Egoist in ihm ging so weit, dass er auf die Unsterblichkeit setzte. Die Idee der Information, die ungeachtet des Todes weiterlebt in einem Fluss der Information. Eine überdimensionale Angelegenheit. Nur sie hat einen Haken: Die Information hat keine Erinnerung an ihre Herkunft, das Überleben in der Information. Schrödingers Katze. Na denn prost, Baudelaire.
Das ist eine Aussage, ein Gedicht. Wie sagte Pound – wichtig ist die Aussage eines Gedichtes.

Schwierig ist’s, über komplexe psychische Wesenheiten Aussagen zu treffen. Doch in der Lyrik ist alles möglich. Alles in der Prosa bedeutet nicht diese zauberhafte Stimmung, durch Melodie und Sinngehalt erzeugt die Resonanz in einem imaginären Raum Realitätsnähe – ein Brausen der leichten Art, so wie man einen Martini trinkt. Na denn prost, Baudelaire. Na denn.

10.10.91
Es ist aber auch zum Kotzen. Jedes Mal, wenn man denkt, man ist so einigermaßen aus dem Schneider, kommen entweder miese Geschäfte oder eine Nachzahlung vom Finanzamt oder von der Stadt. So langsam habe ich die Schnauze voll, ich will nicht mehr Sorgen haben und für 15 Mann sorgen, da hätte ich ja mir auch eine Familie anschaffen können. So ganz ohne Verpflichtung kann langweilig werden, aber dass so ein Spielzeug einfach kaputtgeht, das haben wir einfach nach Calvin-Zwingli nicht ver- dient. Vor allem bringt mich die Aufgabe des Geschäftes von einer Abhängigkeit in eine andere. Und ich weiß nicht, ob das besser ist. Ich will mir meine Freunde aussuchen können, und meine Lebensform. Lieber sterbe ich, als meine Unabhängigkeit aufzugeben. Ein Leben, nur in der versteckten Theorie, zum Kotzen wie jetzt. Na ja, wenn alle Stränge reißen, gibt’s ja immer noch den reellen Ausweg des Suizids.

11.10.91
Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Und man sollte immer bedenken, dass bei dem Beschreiten eines ganz speziellen Weges die Endgültigkeit um das Quadrat des entgangenen Lustgewinnes in dem Maße sinkt, als Wege möglich (sind).
Die Möglichkeiten eines einzigen Weges hat dabei die Komplexität eines Universums.
N Wege N Irrtümer N Sowohl-als-auch.

Why do not the fucking real thing before you get killed by try and error.
So Buddy that’s it. You got not the ghost of a chance.
And try not once more
You never feel the thrill of time in your bones.
And you feel mellow.

Ich will nicht mehr, das war’s, irgendwie habe ich die Schnauze voll, da gibt es einen Weg. Wenn alle vorstellbaren Wege nur noch in Error enden? Eigentlich habe ich auch keine Lust, dem Untergang entgegenzusehen. Aber irgendwie bin ich ein Spanner meines eigenen Lebens. Es ist auch so. Ich beobachte mich seit meinem 11. Lebensjahr. Vielleicht ist das, was ich vorhabe, eine neue Form des Tagebuches, in der ich mich  ausdrücken kann. Es ist phantastisch. Das muss ich mir merken. Es ist aber merkwürdig, wie ich nicht früher drauf kommen möchte. Das ist die Lösung aller Vergangenheitsprobleme und ist der Anfang einer wahnwitzigen Chronik meiner Zeit.

12.10.91
Ich glaube, dass Luxus irreversibel ist. Ein Mensch mit Intellekt kann sich reduzieren, aber der Punkt der Komprimation ist unmöglich zu bestimmen, weil Information dimensionssprengend ist. Man muss erst ein Sensorium dafür entwickeln. Informationen, die dimensionierbar sind, siedeln sich in der Nähe der Naturgesetze an.

Intelligenz ist immer dimensionsüberschreitend. Das Abtauchen des Märtyrers in andere Dimensionen. Wie George Bataille in einer langsamen Hinrichtung in China den verzückten Ausdruck der Delinquenten beschreibt.

So muss es sein, das Leben. Man ist verzückt über die Vielfalt des Seins und man kotzt sich nach der Kopulierung aus, weil Drüsen und Hormonsteuerung so banale Beschreibungen des Prinzips der negativen Erfüllung sind. Worin möchte ich ertrinken, in Champagner, im Meer oder ziehe ich eine Implosion im Wahn vor? Es stimmt mich traurig, dass man schon in der Frühe dafür dankt, dass man das Morgenrot nicht verflucht. Die Perspektive ja wofür?

King Lear – what for?
Nur keine Spermien.
Nur kein Rosenkranz.

Nicht dass es mich stören würde, aber Altweibergefürcht war noch nie meine Sache.
Ich dachte mir ein einfach Geflecht, ein einfach Begreif. Nun hab ich’s – Grobheit ist kein Mittel, um Dekadenz ansehnlich zu machen.

23.10.91
Elli bleibt da, aber nun will Dir. Schubert (von der Bank) Auskünfte, warum 30.000 und immer noch so oben. Jetzt kriegen sie Angst. Und ich? Naja, ich bin der unverbesserliche Optimist. Bis jetzt hat’s geklappt und es wird schon irgendwie weitergehen. Hoffentlich werde ich nicht irgendwie ein Knecht dieser Unverhältnisse. Mir fehlt einfach der Mut zur Größe. Nein, es ist nicht der Mut, es ist die Trägheit, die mich nichts erreichen lässt. Weil ich auch zu viel anfange. Aber so bin ich. Ich fange viel an und bringe auch viel zu Ende. Trotzdem ist es eine Quälerei. Für mich und den Löffel, die muss arbeiten wie ein Tier und sieht keinen rechten Erfolg. Und nur Plackerei und Sorgen sind auch für das fröhlichste Gemüt irgendwann einmal zu viel.

In so manchen Momenten, wenn ich meine Eigenschaften objektiviere, sehe ich manches, was mich nicht erfreut. Bin ich das, dieses egoistische, Monstrum? Aber unsere Kommunikation reicht nicht aus, die Schönheit eines Menschen zu beschreiben. Ein Monument der Definition Mensch laut „Escher Gödel Bach“. Es gibt noch mehr, das hat Benn schon beschrieben, da bin ich auch schon bald. Kranker Geist in krankem Körper, so schön morbid, nachts grauenhafte Zukunftsvisionen, im Schlaf, versteht sich. Morgens Misstrauen gegen die heile Welt um einen. Alles so heil und friedlich, und doch schwebt das Damokles-Schwert darüber. Heimatlos. Nun habe ich gedacht, dass ich einen Platz für mein Ende habe. Weit gefehlt, der Zirkus geht wieder von vorne los.

27.10.91
Am Sonntag Geburtstag gefeiert und die Bar eingeweiht. War viel Arbeit, aber ich habe das große Bild fertig gemacht. Einer meiner Gäste brachte mir was zu Weihnachten. Hat nur drei Tage gereicht, und dann war ich geschafft. Außerdem noch eine Magen- und  Darmgrippe, an der ich heute noch laboriere. Durch die vielen finanziellen Sorgen habe ich wieder 5 kg zugenommen. Aber die drei Tage intensiven Nachdenkens brachten mich wieder davon runter. Ich möchte wirklich wieder mal 'ne Konfektionsgröße von sagen wir mal so 48 bis 50 haben. Da kann man sich für kleines Geld sehr schick einkleiden. Na ja, wird auch wieder. Jetzt muss ich bubu machen, weil ich morgen nach Hannover mit Birgit zum Dehoga-Ball fahren will.

5.11.91
Der Ball war z. K. langweilig. Ein paar Leute getroffen, aber nicht meine Welt. Sonst geht’s immer noch nicht besser, ich trau mich kaum zu bewegen. Na ja, das kann’s auch nicht gewesen sein. Aber was ist Wahrheit?? Gerechtigkeit?? No nix, verdammt.
Gibt es einen zureichenden physikalischen Grund für Gerechtigkeit? Hängt es vielleicht mit der Chiralität des Kernspins zusammen? Das alte platonische Problem, ist Gerechtigkeit das Recht des Stärkeren, oder ist es eine Entelechie?

Pontormos Tagebücher, die Pisan Cantos, Rimbaud, Verlaine, Baudelaire, tja, Mallarmée, und Moreau? Er kannte kein Pardon, für ihn war alles preziös, und er liebte seine Figuren, er brauchte keine Familie mit ihren Ausdünstungen und der Fürsorge, er konnte sich augenblicklich in die Gegenwart zurückziehen, um sich von den Anstrengungen in seinen Bildern zu erholen. In seinen Zeichnungen ist die überlegte Zärtlichkeit des Schöpfers, der um das Unglück seiner Phantasmagorien weiß.

Pygmalion. Er kostet jeden Winkel des menschlichen Körpers. Und wenn er ihn einbaut in seine Welt höherer Ordnung, dann war seine Aura Feuer und Flamme, das kalte Licht der Schönheit, die nur im Tresor anzuschauen ist. Schönheit, so fremdartig, dass unsere Luft tödlich für seinen ätherischen Metabolismus ist, sein glutvoller Antipode UBU ROY, vermählt mit den Entäußerungen von Monsieur Pauvre – das ist wie Free Jazz. Man muss dabei sein, mitmachen und mitleben. Mitleiden.

6.11.91
Ich hätte es nicht geglaubt, was Werbung bewirkt. Die Menschen reagieren z. B. auf meine Briefe mit der Speisekarte auf der Rückseite dermaßen positiv, dass ich 30-50 Prozent Rückläufer habe. Das ist ein schwacher Trost. Wenn man bedenkt, auf welcher Seite ich meinen Laden angesiedelt habe.
Leute, die das kapieren, was wir wollen, sind in der Gegend zu wenig.
Sind es in jeder Gegend zu wenig? Was will ich eigentlich? Will ich Erfolg? Ja, ich will ihn. Und aus später zu erläuternden Gründen tat ich immer das Falsche, weil es mich nach Urgründen gelüstete. Da ist die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Liebe, der Sanftmut, die dicke Berta, die geile Lola und der braune Bomber.

Ich erinnere mich, mit zwölf beim Fußballspiel, ich hatte keinen Ehrgeiz, den Ball zu holen, weil ich nicht verstand, dass viele Chancen einen Gewinn bedeuten können.
Ich habe mich mit vielem beschäftigt und nur Gewissheit davongetragen, dass ich unfähig bin, mich mit dem Tod abzufinden.

Ich fühle mich wie Schrödingers Katze. Ich bin die Katze. Die Katze auf dem heißen Blechdach. Ich bin weder tot noch lebendig.
Bewusstsein ist ein Zwischenzustand. Tod ist Wellenrauschen.
Und Leben – Leben sind unsere Wunschträume. Was man wünscht, ist man.
In meinen Träumen bin ich immer in Gefahr, aber ich entkomme immer. Meine Triumphe sind wenige. Ich kann mich kaum erinnern.

Meinen sinnlichen Erlebnissen sind wechselhafte Erscheinungen zu eigen, ich kann sie nie halten. Meine Überzeugungskraft reicht für langandauernde Gravitation nicht. Sie reicht für kurze rauschhafte Erlebnisse, am besten in der Vorstellung, eine kurze Begegnung in der Eisenbahn, ein flüchtiges Erlebnis in Haiti kann die Vollkommenheit der kapitolinischen Venus urknallen.

Aber wie soll man schlaflose Orgasmen übersetzten? Wie Multitasker Erotomane. Wie soll man nicht verzweifeln in einer Welt, die den einzigen Trost im Arbeiten bietet?
Ich verzweifle nicht, aber ich bin fast am Ende. Das bereitet keinem die Zukunft. Ich will das nicht. Ihr kotzt mich an, ihr Bürgervisagen.

7.11.91
Gestern Abend die McCoy Tyner Bigband. Eineinhalb Stunden Spaß. Das ist eine Band. Spielen wie die Teufel, und es sieht alles so leicht aus. Aber die fulminante Technik, über die McCoy verfügt, ist atemberaubend. Und dazu noch, was er spielt.

8.11.91
Heute Abend hat Nobe mit seiner Freundin Karin vorbeigeschaut. Diesmal sah sie blendend aus. Keinerlei künstliche Nachhilfe, sehr selbstbewusst, klar, dass sie Schlag bei den Leuten hat. Und wer sie einmal hatte, kommt schlecht von ihr los. Dann noch die Hochzeit von der Bosling-Tochter, zur Konfirmation hatten wir 1985 unser erstes kaltes Buffet außer Haus geliefert. Nun hat sie geheiratet und im nächsten Jahr ist die Taufe, wieder bei uns. Ich frage mich bloß, was mache ich, wenn sich für den Laden ein Käufer findet. Eigentlich gefällt mir der Job ganz gut, wenn es bloß ein wenig weniger Arbeit und Stress wäre. Oder sagen wir, ich müsste wieder so eine Art Galerie haben. Das will ich mir ja in der Bar aufbauen. Das wäre alles einfach, wenn die Birgit meinen Job machen würde und ich die Bar. Wetten, dass da bald mehr los wäre als im Restaurant. Ich muss es probieren. Zwei Bedienungen, und ich als Keeper. Aber ob ich das auf die Dauer  schaffe, ist fraglich, mein Kreuz, d. h. meine Bandscheiben, machen das wahrscheinlich nicht mit.

12.11.91
Ich habe heute wieder mal über den Tod nachgedacht. Da ist einmal das Schlüsselerlebnis des überfahrenen Rentners und der Katze. Beide waren tot. Ekelhaft zerfleischt. Der Mensch hat eine Seele und die Katzen nicht. Warum?
Sie sahen gleich aus. Blutig, des Rentners Arm lag einsam am Straßenrand, und er unter einem weißen Tuch. Die Katze in der Mitte der Straße und tot und völlig unbedeutend wie der Rentner.

Ich weiß, dass Religion eine Fiktion ist. Aber irgendwo sträubt man sich dagegen, so unbedeutend zu sein. Zumal wenn man gotische Dome, die Peterskirche oder das Empire State Building gesehen hat. Für einen Künstler ist es ein schwacher Trost, nach Generationen noch beschworen zu werden. Dabei sagt mir mein Verstand: Danach ist's aus. Also lebe, solange du kannst. Den Tod meiner Mutter habe ich ja fotografiert. Seitdem habe ich mir die Bilder zweimal angeschaut. Meistens habe ich sie verdrängt. Es ist die Angst vor dem, „dass es mir einmal genauso geht".

Ich weiß nicht, wie es geht, wenn ich keine Pflichten, sprich Geschäft mehr habe. Ich brauche ja auch die Kommunikation. Im Gespräch kommen mir Erkenntnisse, die ich im Monolog kaum haben würde. Weil wenn man monologisiert, fehlt die Rückkopplung mit den Parametern der Umgebung, so ist kein vollständiges Bild der Umgebung möglich. Das ist auch das Problem von Marx. Er setzt das Individuum als Prämisse, er monologisiert. Die monoklinale Transparenz – welch ein Traum – eisgekühlt hinter Rauchglas – Einhornmilch – Knospen schmecken gut. Übersetze Schmecken in Worte, übersetze Riechen in Worte: Wenn du dein Sensorium nicht entwickelt hast, ist es zu spät, du wirst nie die überflüssigen Dinge verstehen. Die bunten Fraktale des Denkens behalte ich für mich, meine Bilder sind Schaufenster meines Kosmos, bloß ich hinke immer hinterher, weil die tägliche Veränderung meine Rechenkapazitäten hoffnungslos überfordert. Was ich male, ist eine alte Illustrierte. Noch nicht einmal armselige 10 Prozent kann ich einbringen, was ich sehe. Der Rest ist auf einer Ekliptik und es ist ungewiss, ob ich sie je wiedersehe. Ich glaube, ich will es auch nicht, nur nicht zu sehr auf den Nachruhm zuarbeiten. Die Katzen von Montmartre, die wissen, was sie an Heine haben. Und Baudelaire, er dreht dem Boulevard Raspail den Rücken zu.
Nachts streift er im Montparnasse und erläutert der kahlen Sängerin die monoklinare Transparenz.

22.11.91
Heute in der Post Briefmarken gekauft. 60er mit der abgefahrenen Tänzerin von Otto Dix. Da wurde mir auch klar, was einen bei den Bildern von Dix und Groß so zweifeln lässt, ob sie einem gefallen oder abstoßen: Barlach, Kollwitz, die beiden leiden mit, während Grosz und Dix sezieren. Pathologen der Gesellschaft, und danach riecht auch ihr Oeuvre. Aber sie missionieren auch, und das macht das Ganze anrüchig. Sie wollen ändern, sie klagen an, sie verurteilen, Barlach und Kollwitz sind Christus und Buddha, sie leiden mit und gehen zugrunde als natürliche Konsequenz ihres Daseins. Grosz und Dix lehnen sich dagegen auf, sie sind Kämpfer im Guten und Bösen. Es ist diese reformatorische Klarheit des Gedankens, der ihnen zu eigen ist. Und Expressionisten sind ausdrucksstarke Missionare.

Wie stehe ich eigentlich dazu?
Ich sehe meine Umwelt immer im chaotischen Tanz um Gravitationsinseln taumeln. Und freue mich über jede Zeiteinheit, die ich heil überstanden habe. Ich versuche mir weiszumachen, dass ich meine Umwelt so beeinflusse, dass ein für alle erträgliches Umfeld entsteht.

24.11.91
Heute Abend haben mich Hagen Doerfert und Didi besucht. Meine Vergangenheit holt mich ein. Hagen, wie er die Stacheln abgebrannt hat. Didi, wie er die 14-Jährige abgestaubt hat und der Vater so sauer wurde. Hagen mit Witold und die 20 Mark. Witold, Sonie und die Hühnerknochen und das grüne Gesicht. Boris und der Hamburger. Der Freak mit den roten Haaren und der Hamburger. Die Zeit der Galerie. Na ja, vorbei, aber nicht vergessen. Zwischen den Zeilen ist ein schmaler Raum, der Platz für inhärente Gedanken lässt. So ein bisschen Freiheit des Spottes. Was bleibt einem übrig, als zu spotten, wenn man sich im Gefängnis langweilt?

Wir können Fertigkeiten vermitteln, aber die verworrenen Gedankengänge eines Genies nicht nachvollziehen. Schwarzes Meer, Schinkel, phantastische Möglichkeiten.

Eigentlich wird man erst groß, wenn man gefordert wird. Es ist schlimm. Es bedarf immer des Anstoßes. Und wer stößt das Engramm an. Ich glaube, es hängt von der Menge der Ebenen der Vernetzung ab. Riemannsche Flächen vernetzt und verwoben.
Gute Nacht.

31.11.91
Es gibt sicherlich eine Begründung dafür, dass einem der Staat alles verbietet, was verboten ist. Aber er verbietet nicht nur, nein er ahndet auch.
Es wundert mich, dass Selbstmörder nicht angeklagt werden. Aber sie werden nicht angeklagt, sie kommen in eine Klinik, wo sie so konditioniert werden, dass sie funktionieren, oder der nächste Selbstmord funktioniert. Dieses Recht verteidigt der Staat, wie die Kirche den Paragraphen 218 verteidigt, weil sie solche Dinge scholastisch durchdenkt und jeden Zipfel des Problems anpackt , bis alles zu sehen ist. Und was man sieht, ist schädlich für die Kirche. Für die Institution. Deshalb darf man weder sich selbst schädigen, sich selbst töten und werdendes Leben töten, weil es  Gottes Leben ist, welches er gegeben hat und welches er selber nur nehmen darf.

Solche Gedanken treiben einen in die Anarchie. Bin ich ein Anarcho? Sicherlich ein potentieller. Weil ich die Institution hasse, weil sie über mich verfügt, ohne dass ich gefragt werde.

Aber einen Job haben und sich aus Gewohnheit korrumpieren lassen? Was würde ich machen, wenn ich Steuerprüfer wäre? Was, wenn ich Polizist wäre? Das sind Jobs, die schlechtes Karma erzeugen. Die armen Typen müssen unter erniedrigenden Umständen so viele Male leben, dass sie eines Tages vor Langeweile und Frust einschrumpfen, bis keine Substanz mehr da ist. Das sind Typen, die, weil sie einschrumpfen, ohne Energie abzugeben, diese in ein Universum abgeben, welches nur verkörpertes schlechtes Karma ist. Finanzbeamte, Gerichtsvollzieher und Polizisten, Revisoren, Fahrkartenkon-trolleure, Politessen, Beamte, Banker, kurz, viel Furz um nichts. Denn wenn sie ihren Doktor wieder anziehen, dann haben sie Macht, die sie einen Freak spüren lassen. Und sie vernichten ihn, weil niemand da ist, der den Tod eines Freaks ahndet.  Das ist Töten aus Machtvollkommenheit.

3.12.91
Heute Abend war diese Mittelstandsvereinigung im Train Bleu (ein ebenfalls von Hand ausgemalter Raum in der Reinhardshöhe, welcher als Restaurant und Nebenzimmer genutzt wurde). Es sind im Grunde genommen Typen, die, trotz gewisser sympathischer Eigenschaften, schlicht zum Kotzen sind.

Frau Cantauw, mit der komme ich nicht klar, eine Mischung zwischen Silvia Schlender und Miriam Ahrens-Holland. Sie hat ja ihre Männer im Griff und macht ihren Job großartig. Aber sie hat einen klaren Verstand und versteht ihn zu gebrauchen, das hat sie schon vielen Durchschnittsmännern voraus. Aber sie hat auch Schwächen, ihr Ego ist so riesig wie das von Olimpia la Papessa, bloß sie hat ihr Forum nicht in Rom, sondern in einer Kleinstadt ohne Vergangenheit.

Was aber würde ich sagen, wenn man mich einstuft? Als rechter Konservativer tauge ich nicht. Als Progressiver auch nicht. Bestenfalls ein Scheißliberaler. Eigentlich ein rechter Linker, Linkslinksliberaler. Aber das sind ja alles Spielchen.
Mich kotzt alles an, was nach Routine, Regelmäßigkeit aussieht. Ich halte das für unnatürlich.

Das Leben ist eine chaotische Fahrt in den Flüssen der Notwendigkeit und des Zufalls.  Dabei ist der Zufall nicht eine nicht berechenbare Anzahl von Parametern, sondern ein echtes Kind Igiturs – Mallarmé hat dies vorausgeahnt und in rätselhafte Gedichte gekleidet. Er hat immer darunter gelitten, die Regelmäßigkeit dieses Daseins ertragen zu müssen. Er suchte den Grund des Seins im Zufall. Das ist ja auch, was den Künstler vom Politiker unterscheidet.
Der Politiker sucht Indeterminismen durch Verordnungen auszurotten, er glaubt, durch Gesetzte die Beherrschbarkeit der Parameter so zu kanalisieren, dass er Herr des Universums, welches er deterministisch begreift, ist.
Der Künstler lässt sich treiben im Wirbel der kollabierenden Systeme, und er begreift die Welt als Riemannsche Fläche, vollgepackt mit dem Elend des organischen Lebens, welches er mit vollen Zügen genießt, im Bewusstsein, niemals Vollkommenheit zu erreichen, dies aber hinter dem Schleier der Maja zu ahnen.

7.12.91
Heute den Gault Millau gekauft und die Schelte gelesen, das alleine war ja nicht das Bittere: Sie haben uns die Kochmütze geklaut. Auch das ist ein Thema für sich. Ich halte mich ja in den letzten Jahren sehr zurück. Sie hat ihren Stil immer zu verteidigen gewusst, nun habe ich mich der Eingriffe enthalten. Außerdem reiße ich mich nicht um Jobs, die ich ohnehin nicht gerne mache. Und meine Begeisterung für überschaubare Tätigkeiten ist sehr begrenzt. Entweder so wie die Jazz-Galerie oder gar nicht mehr.

Mit der Vereinigung von Restaurateuren ist dies so eine Sache. Wenn er nicht mehr besprochen wird, muss er raus. Wenn er totgeschwiegen wird, dann wird man ihn nicht hören. Nur wenn man spürbar die Umsatzzahlen der anderen verändern kann, wird man Resonanz finden. Auf der anderen Seite kommt es auf einen Versuch darauf an. Bei der Werbung ist Hartnäckigkeit eine erforderliche Eigenschaft.

9.12.91
There will never be another you.
Da muss ich immer an Lester Young und Billy Holliday denken, die Nummer wurde ja tausendfach gespielt, aber Billy und Lester haben sie eigentlich komponiert. Wie Arthur Blyth "In a Sentimental Mood" komponiert hat.
Sie hat so einen Schmelz in der Stimme, der direkt in Sonnengeflecht geht. Man wird aber nicht direkt erotisch stimuliert, nein, es ist das moralisch-ästhetisch eingestimmte Gen des Überlebens, welches sich in einer zarten Frauenstimme manifestiert, und dieses vorgeblich so kraftlose Saxophon? Es haucht die letzten Reste des Egos in eine sinnentleerte Phrase, die sich zwischen magnetischen Vakuolen verliert.
Die Frequenzen fädeln sich in Labyrinthe chtonischer Tonart entlang, um im Irrtum der Tscham-Rhythmen einem dauerhaften Koitus den Vorzug vor lang anhaltendem Siechtum der Alzheimerschen Art zu geben, auszuharren.
Oh süße Lust, warum wird selbst noch heute bei der Konserve mir das Herz so weh.
Vertane Chancen, Kinder, Freunde, Party, Feste, schlanke schmale Beine, rehartig und so unschuldig, und doch alle Verderbtheit der Geschlechter und Zeiten in einem kurzen
Augenblick, zurück altklug, vorwärts, Risiko also.

Es gibt eine Ausdruckskraft, die sich nur in der Musik zeigt. Es ist die direkte Übertragung von Emotionen. Dies geschieht mit einer Kraft, wie ich sie eigentlich nur noch bei Hans Koller in Erinnerung habe in "Come Back to Sorrento".
Musik ist ein Rätsel, Emotion ein anderes, natürlich soll man definieren, aber Definition heißt ein Problem vereinfachen, und wie begreift man das Leben? Man macht es sich nicht leichter, indem man es sich einfach macht.
Schwer haben es die Leute, die exgravitielle Enklaven suchen, von denen aus sie einen Ausblick haben, den sie nie begreifen.

Aber alles Geschichtliche produziert nicht berechenbare Zustände, die in sich ihren  schnellen Sinn finden und mit der nächsten Konstellationsänderung zusammenbrechen und nie wiederkehren, wie sich die Konfiguration von Magnetfeldern unwiederholbar im Wellenrauschen verliert. Sie, Billy und Lester sind wie Abelard und Heloise, sie konnten nie zueinander finden, weil die Materie all diesen Kosmos trennte zu einem Einssein. Sie waren in den Augenblicken ihrer Musikalität Überreste des Wunsches zum Einssein, und sie benötigten die gesamte Masse des Universums, um zu einem Gesang der Liebe auszubrechen, der alle Moleküle verzückt und in einer ewigen Benutzeroberfläche erstarren lässt, in der es nur Happy End gibt und Saint Exupéry elegisch über eine dunkle Welt fliegt. Der Mönch am Meer von Casper David F., könnte es nicht Lautreamont sein? Er, der Maldoror vor einem verdunkelten Meer beschwört.
Wohin noch, zu Charles dem Göttlichen oder zu Arthur?
Die Farbtupfen von Moreau sind körperlos, er wusste sich nur nicht zu befreien.

So viele, Lalique und van Gogh, Beerlage und Adrian de Kock. Ist doch egal, wegen mir auch Malaparte, wo ist denn der Unterschied zwischen dem Dejeuner Monets und dem Naked lunch? Will man es begreifen, nutzt es nichts zu lesen, es kann helfen, aber es gibt keine Garantie.
In Dubio pro reo, wer immer strebend sich versucht, der kann uns mal, na was denn,  alles Sprüche aus dem Sachsenspiegel. Nur wenn man's kann wie Billi und Lester, den werden wir erlösen. Durch einen gnädigen Tod. Jeder Tod ist ein gnädiger Tod.

9.12.91
Ich verdränge natürlich immer alles. Alles, was mir Sorgen bereitet. Im Gegenteil, ich versuche immer das Gegenteilige zu tun, um durch die Negation das Karma, welches durch Richtungswünsche erzeugt wird, zu diametralisieren. Heute Abend die Idee gehabt, meine Umgebung durch eine Göttliche Komödie darzustellen, in der z. B. folgende auftreten:

            Zeuss – Richard
            Gila – Xyanthype
            Erika – Pasipae
            Erhard – Fischermann
            Birgit – Athena
            Ich – Apollo
            Gerda – Kassandra
            Lutz – Baldur – Frühling

16.12.91
Der Stress im Augenblick macht mich so kaputt, dass ich fresse wie ein Tiger. Davon werde ich fett wie eine polnische Mastsau. Und bin dem völlig ausgeliefert. Morgens, wenn ich aufstehe, nehme ich mir vor, jetzt oder nie abzunehmen. Das geht bestenfalls  bis zum Frühstück. Ich weiß nicht, wie es gehen würde, wenn man nur ein Joghurt bekäme. Wahrscheinlich würde ich auf Jagd nach etwas Essbaren gehen. Bei der Konstellation des Abnehmens muss man Umstände berücksichtigen, die zwar täglich präsent sind, die aber trotzdem nicht tragend werden, weil man sich durch die Reglementierung gefrustet fühlt. Dieser Mechanismus schaukelt sich so auf, dass man am Ende wider besseren Wissen frisst und säuft, bis dieses im eigentlichen Sinne wunderbare ekelhafte Dasein sein Ende findet. Wenn man einen Ausweg findet, dann verändert man die Konfiguration. D.h. ohne Veränderung der Grundbestandteile keine Änderung in der Figur. Also muss ich die Grundsequenzen des Lebens ändern.  Eigentlich führe ich mich sauwohl in meiner Figur, so zwischen 100 und 104 kg. Was drüber ist, ist von Übel. Da geht’s an den Kragen oder man möchte genügend dienstbare Geister haben, die einem über die Unzulänglichkeiten seiner physischen Existenzen hinweghelfen.

Irgendwann muss ich mit Rom und New York anfangen. Morgen, am 17.10.1991, muss ich anfangen. Ä no wos? Was möchtest du anfangen, wenn du bist ein Blödel besonderer Art. Dein ganzes Leben suchst du krampfhaft, etwas Neues zu machen. Aber du machst es monologhaft, versuch es doch mal mit dem Dialog. Das ist insofern interessant, als beim Dialog andere Komponenten ins Blickfeld treten. Du musst den anderen spielen und dabei deine eigene Position im Auge behalten. Ich bin mal gespannt auf Pontormo. Ich gehe jetzt pennen, weil ich müde bin.
Aber ein Anfang ist's.

18.12.91
Tendenzen, die nach Änderung der Gesellschaftsstruktur schreien, sind einmal die, die die Macht der anderen übernehmen wollen. Der einsame Kämpfer aber, der Anarchist, will die Strukturen um sich herum zerschlagen. Anarchisten sind immer Fanatiker, die etwas verändern wollen, weil es geändert werden muss.

20.12.91
Je mehr ich darüber weiß oder darüber nachdenke, umso rätselhafter ist mir die Gesellschaft als Überbau über Einzelwesen. Ich möcht dabei ebenso wenig von Individuen sprechen wie bei den Ameisen oder anderen sozialen Insekten. Wie ist das nachzuvollziehen, die Hingabe an das Ganze, Hitler, Napoleon, Stalin, Timur Lenk, Dschingis Khan, die Sachsen- und Staufenkaiser. Die Colonna und Orsini. Was hob sie vom gewöhnlichen Menschen ab? Rimbaud und Wilde sind die trotzigen Widerparte einer Integration. Die Gesellschaft strafte sie genauso mit Verachtung wie mit Vergessen.

Heute Abend viel zu gut gelebt. Aber weniger getrunken.

29.12.91
Ich stelle immer wieder fest, dass mich Fernsehen nicht fesselt. Der Kreis, womit ich mich identifizieren kann, wird immer enger. Ich kann mich nicht mit einer Witzfigur im Film identifizieren, ebenso wenig wie mit einem Bösewicht oder sonst jemand. Komisch, und Fernsehen bringt’s am wenigsten. Im Theater geht’s noch gerade, im Kino evtl. auch aber im Fernsehen stört die gewohnte Umgebung, als dass man filmbesoffen werden kann. Am liebsten sehe ich mir Kunstfilme, wissenschaftliche Filme an, oder so gewaltige Quader wie Fitzcarraldo, aber das ist ja schon wieder Kunst.
Fitzcarraldo als Sysiphos, Werner Herzog als ...

16.1.92
Nun im 60sten angesiedelt, komme ich mir vor wie ein gehbehinderter Zwanziger. Die Erfahrung hat mir eine Risikosperre eingebaut, nur kein Risiko, am besten gleich pensioniert. Herrgott, wo kämen wir dahin. Nur noch Postbeamten-Lyrik als Pausenfüller.
So hören sich auch die Schlager und  Evergreens der Neunziger an. Der Ausdruck aller Blödheit gipfelt in der Nummer „Oh Baby Balla Balla“.

13.2.92
Letzthin auf dem Weg zu Fischer, um den Treichler zu beessen, mit Dagmar über die Vorfreude geredet. Wenn Bewusstsein ein Zwischenzustand ist, dann könnte diese Kaskade von Entladungen, die zum Entschluss führt, das eigentliche Bewusstsein sein.

15.2.92
Manches Mal überlegt man sich, was kann der andere über eine gewisse Handlung denken. Z. B. Silvio denkt, während er staubsaugt, über die Ausbeutung des Arbeiters nach. Und das ist der Kasus belli.
Wenn jemand eine ungeliebte Arbeit hinter sich bringen muss, dann flucht er auf den unmittelbaren Verursacher. Im Fall von Silvio flucht er auf uns ...

Heute den Brief und das Buch von Jürgen bekommen. Er sülzt natürlich, zivilisationsmüde wie er ist, über die Coca-Cola-Dosen am Strand, sie stören ihn. Naturromantik, oh shit, ich kann’s nicht mehr hören. Nun aber, was für ein Gefühl hast du in Paris oder Rom, in London oder New York? Ich sauge alles in mich auf, zu keinem vorgegebenen Zweck, und ich bin immer gespannt, was dabei herauskommt. D. h. manches Mal frage ich mich, warum ich so informationsbesessen bin. Es hat keinen Sinn und Zweck.
Weil ich es nicht anwenden kann, oder der Anwendungsgradient ist verschwindend gering. Nun steh ich da, und mache immer weiter, und wenn ich sterbe, werde ich nicht wissen, zu welchem Behufe ich das alles getan habe. Mich hat etwas getrieben mich zu informieren, immer das Neueste, und ich kann nicht sagen, dass es mich weitergebracht hat. Denn im Vergleich zu anderen bin ich doch ein armes Schwein. Täglich um meine Existenz zu kämpfen, wo ich es doch leichter haben könnte.

22.2.92
Ich gehe ja öfter in die Stadtpassage, eine Passage, die vor einigen Jahren das Leben in der City von Lebenstedt bereichert hat. Am einem  Ausgang zum Parkhaus von Hertie hin gelegen standen immer die Jugendlichen und auch die Penner, die Lebenstedt oder jede Gemeinde entwickelt. Es sind die Keules und Rollis u. a. v. m., die hier stehen und in der Regel ruhig ihr Zehner-Pack trinken und außerhalb der Gesellschaft stehen.

Warum stehen sie außerhalb der Gesellschaft? Weil sie nicht deren Regeln befolgen. Warum befolgen sie nicht die Regeln? Wer hat es sie gelehrt? Sie fühlen sich ja offensichtlich wohl, auch wenn sie sich manches Mal, wenn sie frieren, sich nach einer Heimat sehnen. Sind sie die eigentlichen Menschen? Sind sie nicht frei gegenüber den Termiten, die sie umgeben? Sie, Sie säen nicht, sie ernten nicht, und die Liebe Gottes ernährt sie doch.

Mir ist das alles zu simpel. Und in meinem Wahn,  in allem einen Plan zu sehen, sehe ich auch hier den großen Plan. Den Plan, der es erlaubt, RAF und CDU oder NSDAP unter einen Hut zu kriegen. Der Kampf gegen den Tod. Je mehr man diesen Komplex Universum angeht, umso mehr verschwimmt er.
Weil, je mehr man von der Komplexität erahnt, umso mehr verzweifelt man wegen ihr.
Aber wo ist die Unterschied, wenn man dumpf frei ist oder in Zwängen verhaftet, Erkenntnis verleugnet. Beide Wege enden im Ende. Dem Tod. Wobei Tod vorher ist und tot, vollendend, endgültig. Übrig bleibt der Gedanke. Un coup de des.

Und ich werde wie Ezra, der mit seinen Pfunden gewuchert hat, bis es zu viel wurde.  Aber sein Gesicht, es sah nie wie ein Himmler oder Hitler aus. Er war zu schwach, um schädlich zu sein. Er war stark genug, um den Orthodoxen den Spiegel zu zeigen, der sie spiegelte als Spiegelung eines Spiegels.
Oh Ezra, wie verstehe ich dich, Wahrheitssucher sind Narren, die sich zeigen als Dichter oder Penner.
– „die Menschen zu lieben.“–
Dabei kannst du niemanden lieben als dieses ungeheure Schauspiel, welches sich vor deinen Augen abspielt. So vielfältig und wunderbar, wie man es selbst nicht besser erfinden könnte. So viele Parameter, keiner außer Gott – oder war es Urvater Chaos? – beherrscht dieses Spiel.
Aber ist es nicht viel eleganter, alles dem Zufall zu überlassen?

Prigogine – sabotinksische (?) Reaktion. Möglichkeiten, die immer in Gefahr laufen, sich aufzulösen und doch das Risiko nicht scheuen, von Neuem anzufangen, denn die Zeit ist dort keine Dimension, wo man sie am nötigsten hätte. Am Anfang ist die Rezeptur so klein, dass man keine Möglichkeit hat, sie zu messen, später verändert sie sich mit der Größe. Jede neue Größe hat eine eigene Rezeptur, die an jeder anderen Möglichkeit partizipiert, und dann kommt die Zeit und stellt jede Kommunikation in Frage. Seither ist Wellenrauschen, welches unsere Gedanken sind.

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