1993 - 1996

Das am Computer geführte Tagebuch enthält hauptsächlich Gedanken zum Leben und Reinhardts Rolle in der Welt, philosophische und lyrische Texte, weniger Begebenheiten oder Alltägliches. Sie sind nicht tagesdatiert. Konkret erwähnt jedoch Reisen nach München, nach Dresden, Naumburg, Chemnitz und Bad Frankenhausen einschließlich der Besichtigungen von Kunstwerken und Kulturdenkmälern, auch einige Idee für die Gestaltung von Menüs.
 Aus vielen Zeilen spricht große Wut, aus anderen wieder die Sicht auf die Dinge aus übergeordneter Warte, das Bedürfnis nach Einordnung, Wertung, Selbstverortung – und Abgrenzung gegenüber Verwaltungsbeamten, den Wächtern des Rechts, den Asketen – allen, die das Andersartige verurteilen und zu Mäßigung und Anpassung anhalten.
1996 zieht er ein Resümee, das sich auch auf seine künstlerische Arbeit bezieht: „Ich bin froh, daß ich schon so viel hinter mir gelassen habe, jetzt kann ich mich auf das Eigentliche konzentrieren. Auf dieses Dasein, nicht den Grund zu finden, sondern die Vielfalt zu erkennen. Nicht vervielfältigen, sondern abtauchen in die Dimension, in der alles gleichzeitig ist. Da gibt es keinen Grund und keine Ursache. Dieses Elend in dieser Welt kommt von den Fragen, die sich auftun, wenn sich alles voneinander trennt. Dabei fühle ich mich wohl in dieser Welt und genieße sie.“



im Juli 93Walter Reinhardt Tagebücher31.01.1993

Preussenbeisl
Und wenn Sie der deftigen Genüsse überdrüssig sind, können Sie diskret ihre geheimen Wünsche in dieser luxusfeindlichen Welt in unserem kleinen Restaurant stillen. Dort können Sie das Überflüssige mit dem Mehrwert vermählen. Sie können eine Kathedrale des Genusses aufbauen auf den Fundamenten der Sinnlichkeit, alle Sinne – riechen, schmecken, fühlen, sehen und hören – können Sie vereinigen mit den Kreationen von Küchenmeister Birgit Jahn-Reinhardt. Sie werden begreifen, der Sinn dieses Lebens besteht darin, alle Genüsse dieser Welt in einer Weise zu begreifen, die das Selbst immer mehr entfernt von egalité – fraternité – liberté.

Rousseau, der Gipfel des Irrtums von Kant. Es gibt nur eines. Leben, genießen, lieben, riechen, schmecken, hören, fühlen, sehen, ah, und als sechsten Sinn, das Denken. Sinne einzeln – Fachidioten! Denken -–Koordination. Und aus diesem Denken heraus - Pallas, die Geburt aus dem Kopf des Zeus, das Überflüssige.

Im Artikel über Tintoretto von Eduard Beaucamp die Idee wiedergefunden, daß Bilder Kraftfelder sind. Auch die Idee Michelangelos, daß Leben verdichtete Energie ist, ist sehr reizvoll.

Es ist dieser Zustand, in dem man sich betäubt. Mit Alkohol, mit Drogen und so weiter. Walter Reinhardt Tagebücher 14.04.1993
Und ich glaube ich bin nicht alleine. Alle brauchen sie die Absenkung in das Unwirkliche. Jeder macht es auf seine Weise. Der eine nimmt Alkohol, der andere anderes. Und wenn's darauf ankommt, sind es Dinge, die einen ein wenig aus der Bahn werfen, aber nicht ganz. Drogen sind gravitationssensible Katalysatoren. Aber sie sind spezifiziert. Und Sensibilität hat Aspekte, die einem nicht bewußt werden. Es sind unterschwellige Durchgänge, die man eigentlich nicht beachtetet und die doch zielbestimmend sind. Dabei ist es eigentlich nicht wesentlich, was man macht, weil man sowieso stirbt. Und es gibt keinen Anfang und kein Ende. Man stirbt ohne Grund und man wird geboren ohne Grund. Das Absurde ist nur, daß man in dieser Zwischenzeit eine Existenz führt, die einer Erklärung bedarf, weil diese Existenz so ungewöhnlich ist, dieses Bewußtsein zu leben, im Bewußtsein zu sterben und daraus ein Universum der Grausamkeit zu erschaffen. Es ist nicht zu begreifen. Diese kurze Zeit dazu zu benutzen, um allem um sich herum Leid zuzufügen, ohne sich des Leides bewußt zu sein. Im Recht zu sein. Wenn ich das so sehe, schäme ich mich, ein Mensch zu sein. Ich alleine will es nicht. Aber die Summe aller bringt Leid hervor. Was ist der Unterschied zwischen bewußtem oder unbewußtem Tun? Ist das alles nur eine Erfindung vom Abendlandfreund oder ist es systemimmanent? Ich glaube, es sind einfach alle Möglichkeiten, die in solch einem Komplex von Materie drinstecken.

Und gestern las ich aus der Zeitung, Emile ist tot (20. Juni 1995). Cioran ist mit 84 endlich im Nichts vergangen, wo er sich eigentlich immer schon hinwünschte, nachdem er all Walter Reinhardt Tagebücher 13.01.1994
diesen fleischlichen Ritualen keinen Geschmack mehr abgewinnen konnte. Er liebte niemanden. Wen er um sich duldete, dem vergab er, daß er einen Körper hatte. Er wollte eigentlich nur mental mit ihnen kommunizieren. Er fühlte sich wohl, wenn er Bergson las oder E. M. Cummings. Er hatte einfach kein Verständnis fürs Chaos. Denn alles Menschliche war ihm Chaos. Dabei war er selber die EMC-Menge, zu bewegt, um Bewegtes zu verstehen. Er war Rationalist aus Angst, den Faden zu verlieren, der seine eigene Schönheit spann. Er war einer, der sich über das Menschliche, Allzumenschliche mokierte und jeden Tag wütend war, daß er pißte, schiß und fraß und soff. Rauchen. Drogen. All diese Dinge tat er, weil er sie tun mußte. Ihm wäre es wirklich lieber gewesen, er wäre nie geboren. Er hätte gerne auf seine literarischen Ergüsse verzichtet, wäre ihm diese leibliche Existenz erspart geblieben. Jede Ehrung war ihm ekelhaft und er lehnte sie nicht nur innerlich ab. Daß er mit seinen Überlagerungen Geld verdienen konnte, war seine Triebfeder, und er brauchte sich nicht zu verstellen, wenn er einen Leser traf.
Eigentlich es spielt ja gar keine Rolle, ob die Authentizität stimmt, die Hauptsache das Sujet ähnelt sich. Montaigne ist ein Scholastiker, das macht alles viel klarer, aber nicht einfacher. Auch wenn du eine Authentizität gefunden hast ist noch nicht alles verloren. Igitur wacht. Er dreht die Zeit um und erlebt ein transversibles Universum. Larmant Igitur, Larmant – ein Gesang. Warum verfehlen Maldoror und Igitur einander? Weil sie klug sind. Jemanden verstehen ist der Anfang der Aufgabe der eigen Identität. Jemand verstehen heißt das Hineinschlüpfen in die Identität anderer und endet als Beamter auf der MüllkippeImage removed.
der jugendlichen Hoffnungen – so traurig es ist, es gibt weder Hoffnung noch eine Erlösung. Die einzige Erlösung, die uns bevorsteht, ist die Erlösung vom Leben. Diesem Erzübel aller Todsünden. Gibt es, wenn kein Leben mehr ist, kein organisches, kein semikristallines, kein thermodynamisches Mayxwell-Syndrom, wenn es nichts gibt, gibt es dann Sünde?  Sünde oder irgendein Begriff aus einer festen Manifestation von Materie, in den dünnen Räumen der Moleküle. Was ist ein Moralbegriff auf den Saturnringen? Im Energiegefüge eines schwarzen Loches? Vorgezähnte Ausstülpungen von Energie, stärker als jedes Strafgesetz. Das ist die Kraft, wo Gesetze entstehen. Es sind die Erosionen einer (Abbruch)

Worin ist man eigentlich originell. Worin unterscheidet man sich von anderen? Wie bekommt man eine eigene Meinung? Wenn man eine eigene Meinung von etwas hat, dann schränkt man sich ein. Der Blickwinkel wird  enger. Und von einem beschränkten Blickwinkel aus kann man die Welt viel besser beurteilen, weil man eben nur einen Abschnitt dieser komplexen Welt erfährt und sieht. Diese Welt aber in ihrer Komplexheit zu erfahren, kommt der Droge zu mit ihrem medium Freak. Natürlich ist der Leistungsgesellschaft abträglich, wenn einer sich volldröhnt und von einer komplexen Welt umherschlierträumt. Wie kann er einem Square verständlich machen, daß 1 + 1 + 1 nicht drei sind, sonder nach allen Seiten ein Minus und Plus hat! Dimensionen sind einfach Koordinaten in einem vierdimensionalen Raumzeitgefüge. Ausstülpungen von Raum und Walter Reinhardt Tagebücher 20.10.1995
Zeit, denen vom organischen Leben übel wurde. Aber an diesen ekelhaften Berührungspunkten solcher Koordinaten entsteht immer organisches Leben. Im Volumenanteil eines Universums ein Nichts. Und doch bringt es ein pulsierendes Schütteln hervor, welches Menschen Lachen nennen. Nur hierin gleicht der Mensch dem Universum. Im Lachen, welches gleiche Frequenz ist.
Worin unterscheide ich mich von anderen Menschen!? Warum ist mir ihre Sprache so fremd?
Da ist nur eine, mit der ich reden kann.

Und im übrigen, der Computer ist ein Freund, der nur gibt und nicht nehmen will. Wir haben so viele Techniken entwickelt, um uns voneinander unabhängig zu machen, daß es mich nicht wundert, daß die Menschen so viel Blödsinn miteinander reden. Im Grunde genommen hat aller Geist im großen Forum des Fernsehens bereits Platz genommen. Im Programmdirektorium sitzen Vertreter des Volkes und Lieschen Müller fehlt natürlich nicht, und sie bestimmen das Programm, nach dem alle Fernsehsender arbeiten dürfen. Nur so Freaks wie ich. Ist doch alles Scheiße. Ich bin doch gar kein Freak. Ich bin ein einfacher bürgerlicher Scheißer, der nichts riskiert, der arbeitet wie ein workoholic, um in ein paar Jahren all das nachzuholen, was er in den Jahren zuvor versäumt hatte. Und da hatte er seine ganze Kunst dem Kommerz geopfert. Irgendwo bin ich eine kaputte Klamotte. Früher hatte ich keine Probleme, ich war irgendwo in die Gesellschaft integriert. Walter Reinhardt Tagebücher 27.10.1995
Man hatte Perspektiven, man hatte Hoffnung. Und jetzt, 20 Jahre später, einen erstrebenswerten Autismus gibt es nicht, denn er schränkt die Sinne ein. Wenn man jeden Tag neu leben will, ist jeder Tag ein guter Tag, Tag um Tag ein guter Tag, dann muß man jeden Sonnenaufgang als unendlich mal unergründlich quantifizieren. Am einfachsten hat es der Mikrokosmos, nicht daß es in der Verkleinerung ein Ende gäbe, wie in der Vergröberung keine Lösung zu finden ist. Aber allein, daß man sich auf eine exklusive Ecke reduziert, zeigt doch, daß man nicht dem Ganzen gewachsen ist. Es gehört keine Kraft dazu, das Verständnis ist ein Null-Kontinuum, welches sporadisch Ausstülpungen des Nichts generiert. Im Augenblick meines Todes werde ich mich dem Ganzen mitteilen durch einen Bindu.

Die Angst ist ein wesentliches Element der Mitteilung. Ohne Angst keine Achtung vor dem Schöpfer. Denn – wer kann sich schon die Schöpfung vorstellen? Ein Augenblick zwischen gestern und heute. Zwischen digitaler und analoger Kommunikation. Fade Konstruktionen für das Abbild der Wirklichkeit. In Wahrheit geht es übergangslos in den anderen Zustand. Die Sehnsucht, die man kurz vor und nach dem Orgasmus und Ejakulation verspürt, sie ist der Klebstoff, der diese Welt immer wieder verändert. Weil ein solcher Zustand schon ein komplexes Universum vergegenwärtigt. Oh einfache Welt der Religionen, in der Gut und Böse noch Werte sind, nach denen sich Wesen richten, die sich Menschen nennen. Viel schlimmer sind doch die Kinder von Dichter und Freud. Kein Cartesius war so weitsichtig, Walter Reinhardt Tagebücher 23.01.1996
daß er ahnen konnte, daß die Umwertung sein System der Diversifizierung außer Kraft setzen kann.

Aber jede Reise, auch die längste, hat einmal ein Ende. Für das Universum ist es bedeutungslos, ob ich justamente sterbe, ohne meine persönlichen Dinge ins Reine gebracht zu haben. Aber ich sehne mich nach der Ruhe vor dem Tod, da kann man noch voll genießen, ohne den letzten Atemzug vergeudet zu haben.
Darum bin ich ja nie auf die Idylle eingestiegen. Die Wirklichkeit ist ja so nüchtern. Wo ist dieser subtile Unterschied zwischen Wirklichkeit und Traum? Wonach sehnt sich ein Mensch? Geborgenheit, sorglos sein?

Was mich immer wieder verwundert: Da ist im Leben des Menschen eine Stelle, wo er sich vom Kind in den Erwachsenenstatus hineinschlängelt. Da gibt es Grauzonen, die sich im Gesicht und im ganzen Habitus niederschlagen. Es sind Silhouetten eines in den Träumen befangenen Narziss. Weil in seiner Not, keinem mitteilen zu können, was er fühlt, der Wille zur Fortpflanzung und die Erhaltung der Art sich mit dem Lustanspruch eines modernen Menschen im Widerspruch befinden.
Ich bin immer noch der alte Idiot, der sich Illusionen macht.

Pheromone, ein bißchen Hypothalamus und süß, bitter, sauer, salzig. Ein paar GeruchsWalter Reinhardt Tagebücher 25.01.1995-
komponenten. The complete waste of time.

Am Montag, den 6.6.94 hat unser schöner, dicker fetter frecher Löffel den Löffel abgegeben. Morgens begrüßte er mich noch mit Stummelwedel und bekam von Frauchen noch ein halbes Eisbein, nach dem Frühstück kam er mit dem Hintern nicht mehr hoch. Ich hab dann mit Einverständnis vom Löffel Bernard angerufen und bin dann mit ihm hingefahren und hab ihm den Goldenen Schuß geben lassen. Es ging eigentlich übergangslos in den Tod. Eine gute Technik. Muß man sich merken. Es war ein guter Freund. Wir hatten viel Spaß miteinander. Es war auch charakterlich ein guter Freund, der uns voll akzeptiert hat. Wir haben ihm auch ein schönes Leben gegeben. Wir haben uns viel Mühe gegeben, ihn immer wieder zu erfreuen, damit wir Spaß an ihm haben. Aber wir haben immer seinen Charakter respektiert. Er war mein Freund. Am Samstag morgen, als er vor sich hinstierte und sein Leben ablaufen ließ, da merkte ich, dies war der Schluß. Meine Birgit hat bitterlich geweint um ihren Löffel, weil sie ihn so lieb hatte und weil sie an später denken mußte.
Ich kann nur sagen, Scheiße, Scheiße, Scheiße oder die Ausgießung des heiligen Geistes.

Es stellt sich die Frage, was interessiert mich am Gesamtkunstwerk? Ist es die Verwirklichung? Ist es die Schönheit des Ensembles? Es sind das kleine Kunstwelten, in denen man sicher träumen kann – wie im Haus von Gustav Moreau, im Garten von Monet,Walter Reinhardt Tagebücher 20.02.1996
in Veitshöchheim. Das kann mir kein noch so schöner Wald geben, kein noch so schöner Feldrain mit Bach. Es ist anders. Für den Wald brauch ich eine andere Stimmung als für Bomarzo. Wald ist Chaos, in Veitshöchheim fühle ich mich geborgen. Artefakte sagen mir, daß ich in einer vertrauten Umgebung bin.

Ich wußte gar nicht, daß ich so furchtsam bin. Aber irgendwo braucht mein Selbst einen Halt, damit ich nicht im Chaos meiner Gedanken versinke. Ich habe Angst zu sterben und diese Welt nicht verstanden zu haben. Verstehen heißt für mich bewußt genießen. Und ich kann nicht genießen, ohne zu verstehen.
Natürlich, Apfelwein und Handkäs mit Musik sind einfältige Kost, aber zusammen mit einer Abendstimmung am Kükopp ein unvergeßliches Erlebnis, welches nur in meinem Kopf zu einem Ereignis wurde. Die Natur, die Welt interessiert das nicht. Es ist einfach da. Im Universum ist alles gleichberechtigt.
Wir schaffen uns Inseln in diesem Brei und erkennen etwas. Und verleihen ihm die Bedeutung eines besonderen Daseins. Sind wir woanders, versinkt die Stelle wieder in dieser formlosen Masse des Allesseins. Wir sind wie Zyklone und ziehen Informationen ins Zentrum, um ihnen die Bedeutung einer augenblicklichen Ordnung  zu verleihen. Und lassen hinter uns die Wirbel des Versinkens ins Bodenlose.
Elias Canetti ist gestorben.

Die ganze Zeit pfeife ich den Stardust so vor mich hin und mir gelingen unwahrscheinliche Walter Reinhardt Tagebücher 12.03.1996
Improvisationen, weil ich diesen Song mit meiner augenblicklichen Situation identifiziere.
So sollte es eigentlich mit Musik sein. Man findet die Melodie für seinen augenblicklichen Seelenzustand und man impropfeift ihn, man nimmt seinen Rhythmus an oder sein Rhythmus gleicht dem des Körpers.
Ist ja egal, die Hauptsache ist, daß man sich gut dabei fühlt. Man ist im Groove und man könnte damit einen Zustand verändern, die Welt zum Beispiel.
Ich glaube, daß Musik gebündelte Energie ist, und ein Song hat eine fokussierte Energie. Damit kann man in der Tat seine Umgebung im Sinne der Improvisation verändern. Man fügt dem Augenblickszustand eine solche Energie zu, daß dieses Raumfeld anfängt zu schwingen wie der Song – "Sometimes I wonder why I spend my lonely night, dreaming of a song" –
Diesen Zustand habe ich auch manchesmal, wenn ich ein Bild male, wenn ich verliebt bin oder wenn ich angeturnt bin. Ein euphorischer String, an dem ich mich entlangwinde und durch meinen Spin die Energie potenziere. Das ist Energieschöpfung der musikalischen Art.

Es ist doch Unsinn, daß in diesem Universum etwas verschwinden kann. Weil man sich nicht vorstellen kann, daß es noch ein Anderswo gibt. Natürlich verschwindet man, wenn man stirbt. Aber die Energie, die man in seinem Leben angehäuft – geordnet – hat in einer einzigartigen Frequenz, bleibt Äonen lang verklebt. Gerät man in die Nähe einer gleich-Walter Reinhardt Tagebücher 17.03.1996
artigen Schwingung, erfährt man Dinge, die man nie erlebt hat, die in irgendeinem Äon in irgendeinem Universum in irgendeiner Dimension entstanden sind und deren Resonanz man erfährt. Menschen sind Wesen, die diese Dinge aufnehmen und verwenden können.

Künstler, Geisteskranke sind die wahren Menschen. Der Rest ist dafür da, diesen einen Nährboden zu geben, damit sie ihre monströsen Erfahrungen der Weltzeiten vor sich hin ausbrüten können. 
Die Freaks, Drogisten, Alkis, Spieler und sonstigen Eskapisten bleiben immer auf halbem Wege stehen. Natürlich sollte man den Bürger nicht vergessen. Diese Stützen der Gesellschaft, sie achten natürlich auf Etikette und Moral, das Korsett des Anstandes, sie brauchen alles sehr geregelt und paraphiert. Ihnen bleibt die einzige Freiheit des Outsiders, von Augenblick zu Augenblick, immer suspekt.

Der Computer hat mir die Geschichte vom Karpfen Hansi geklaut, muß ich also noch mal schreiben. Ebenso die Geschichte mit dem Kellner Klaus B. Christopf muß auch noch verewigt werden. Franke und was da so alles ist. Es wird aber, glaube ich, Zeit, daß ich retire. Langsam läßt meine psychische Elastizität nach.
Jetzt muß ich ran und etwas Schreibtisch machen.
Ich habe heute in der Garage nach den Malutensilien und meiner privaten Habe gesucht. Etwas treibt mich zu malen. Ist's der Eskapismus vor der Pflicht? Ich bin in dem Alter, wo Walter Reinhardt Tagebücher 07.06.1996
ich meine Verpflichtungen reduzieren möchte. Und meine Kreativität angesichts des Todes erhöhen.
Wie ist´s im great Flash?

Dann habe ich Horst Wagner besucht und mir das Anzeigerhochhaus und die Passage von Gottfried Böhm angeschaut. Dieser Fritze Höger ist ein ganz schön muTiger gewesen. Er hat das Anzeigerhochhaus als Kubus konzipiert, ein bißchen Pantheon geklaut und mit Backstein die Fassade geschönt.
Der Böhm läßt die tragenden Strukturen durchscheinen und läßt den Backstein und Klinker mit Höger korrespondieren. So gesehen ist das Anzeigerhochhaus der erratische Block, das Stadtbad die erotische Komponente, während Böhm auf stählernen Füßen sein ungelenkes Ego paradieren läßt.

Nach langem Sinnen habe ich mich, es war inzwischen 15 Uhr 45, durchgerungen und bin noch mal ins Herzog Anton Ullrich Museum gefahren. Da habe ich mir die Sammlung in Ruhe angeschaut. Es ist fast ein Städel. Und es waren auch einige Highlights darin. Wahrscheinlich, wenn ich dort öfter hingehe, werde ich es in mein Herz einschließen und gehörig davon profitieren. 

Heute Abend noch passend den alten Mann und das Meer gesehen. Beeindruckt mich immer wieder. Was er aus so einer Geschichte mit einem Riesenfisch macht, ist einfach genial. Ich glaube, das ist auch die Essenz des Künstlers. Einem banalen Sujet seinen metaphysischen Gehalt verleihen. Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.

Und dann die Überlegung, wie komme ich hier raus. Wie komme ich dazu, das zu machen, was mir zusteht, malen, Gitarre und schreiben. Gift versprühen. Und wenn ich kein Forum habe, dann mache ich einfach. Es ist ja dieses Immer-für-andere-machen. L'art pour l'art. Eigentlich zum Kotzen, aber für einen selbst die doppelte Negation. Man wichst, um frei zu werden, um zu ficken. Man wichst, um sich unabhängig von den täglichen Traumata zu machen. Es gelingt nicht, und man stellt sich in seiner Imagination alle Dinge vor, die man gern machen möchte und nicht darf. D. h. man will Dinge machen, die teils verboten sind die man teils aber auch käuflich erwerben kann. Und es hängt nur davon ab, inwieweit man sie in sein Trauma-Reich integrieren kann: Warum soll man nicht so etwas tun? Es ist eine hauchdünne Grenze zwischen dem Wollen und dem Dürfen. Diese Grenze ist unscharf, wabert nach allen Seiten und wenn es dich überkommt, dann wirst du deinem Schicksal, deiner vorgezeichneten Spur folgen und kein Richter wird dir folgen können. Das Recht ist für Nichtmenschen, für verknöcherte Leichen ohne Fleisch. Diese Richter und Rechtsanwälte, die wahren Zyniker dieser Welt. Sie wissen um die Fragwürdigkeit dieser Ordnung und sie versuchen diesen Status Quo aufrechtzuerhalten. Dabei leben sie ganz gut. Sie sind die wahren Parasiten dieser Welt. Ekelhaft und verkommen fristen sie ihr Dasein wie in Kafkas Welt. Richter, Rechtsanwälte und ihre zwielichtigen Brüder, die Beamten, sie kotzen mich an ich möchte ihnen in die Fresse pissen und ins Maul kacken. Allen, aber leider kann ich nicht so viel Scheiße produzieren, um all diesem Elend ein Ende zu bereiten, also werde ich den Doomsday-Knopf drücken, damit nicht nur mir, sondern allem anderen ein Ende bereitet wird.

Oh Einfalt, die glaubt, daß Gerechtigkeit möglich ist – wo ist sie? In Jugoslawien, in Israel, in Amerika. Ich werde mit einem bitteren Geschmack diese Welt verlassen, weil ich diese Brut von Menschen nicht würdig erachte, mich zu überleben. Es wäre schön, ruhig zu sterben, aber ich weiß, man muß dem ein schreckliches Ende bereiten, weil mich die Richter, die Schöffen, die Bürger, die Ärzte, sie alle stören in meiner Betrachtungsweise einer möglichen Utopie. Wo kein Schwanz, kein Sekret, kein ekelkotziger Nachbar meine Überlegungen zum Ende stören wird.

Langsam beginne ich über die Verwaltung den Menschen zu hassen. Diese Menschen sind ein verachtungswürdiges Gesindel. Wenn man so etwas propagiert, ist man ein Fall für einen Psychiater. Aber kein Psychiater kann mir erklären, wie man dieses ekelkotzige Gesindel ertragen soll.
Dieses Gedicht wird mein Testament.

(1995, zwischen Februar und April)
Bei der Ankunft in München habe ich mir den Zug angeschaut. So ein ICE ist eine funktional-ästhetische Einheit und der Bahnhof – ähnlich dem von Lyon, aber auch dem von BS?? – versucht dem entgegenzukommen. Der Münchner Bahnhof ist natürlich ein früherer Entwurf und hängt in seiner Funktionalität den tatsächlichen Gegebenheiten zurück. Ich bin mal gespannt, wie sich das entwickelt.
Gestern in München gewesen, 5 Uhr 52 von BS – München um 11 Uhr 01, anschließend die Markhallen von Käfer, Austern, Champagner, Cassoulet, Espresso – und dann zum Haus der Kunst, die Ausstellung "Ernste Spiele – Romantik von 1790 bis 1990" angeschaut.
Baselitz in einer Phase, wo er noch malte. Da hat er fast denselben Stil drauf wie auf den Gouachen in den Sängen des Maldoror. Das ist eine durchlaufende Stilreinheit, die mir fehlt, das muß ich mir noch erarbeiten. Eigentlich habe ich es schon, aber ich müßte jetzt richtig drauflosarbeiten.
Am Anfang Selbstportraits von Nolde in Bleistift, und von anderen.

Monotypien von Portraits nachbearbeiten mit der Feder und Tusche, überhaupt Monotypien – Die Bilder von Altenbourg. Nur Strich wie ich, aber auch wie Laure. Funtastic!
Die Frau am Fenster von C. D. F. bis Dali – Runges flüchtiger Abschiedskuss. Da kommt etwas Neues zum Vorschein, es dreht sich um die Sichtbarmachung von Seelenzuständen.
Das Schinkelbild mit der ornamentalen, zum Himmel strebenden Gotik mit dem chaotischen Eichenbaum. Heute zum Beispiel echte Äste mit ihrem Schatten auf dem Haus.
Die Kunst von Runge besteht in der Gratwanderung von Kitsch und Kunst, eine Grenze überschritten zu haben, die im Liebenswerten endet. Seine Bilder haben etwas Rätselhaftes, Mandalaartiges, Kabbalistisches an sich. Bernhard Schulze neben Wols zu hängen ist schon ziemlich geschmacklos. Ich muß mir mal Gedanken darüber machen, warum er etwas tut, was man eigentlich nicht tut, z. B. in die Schubkarre scheißen, irgend etwas anonym zu tun, Toiletten bekleckern oder vollmalen, ja Marmorwände vollsprayen. Aus dem Sprayer von Zürich ist eine ganze Kunstform hervorgegangen. Aus etwas, was man eigentlich nicht tut.

Auf dem Weg im Zug darüber nachgedacht, daß die Architekten, und Stadtplaner, die den Fredenberg, die Neue Vahr, das Hanseviertel in Berlin, die Plattenbauten entworfen und konzipiert haben, von einem utopischen Menschen ausgegangen sind – die interaktive Termite. Deshalb ist die menschliche Beziehung in solchen Siedlungen auch entsprechend unmenschlich. Ein aberwitziger Architekt, der von einem Einkaufszentrum eine Fußgängerbrücke baut, damit nicht etwa der Fußgänger besser nach Hause kann, sondern den Menschen als Störfaktor auf der Straße, der den Verkehr behindert.

Ich muß mir mal den Ortega y Gasset kaufen, über die Jagd ...
Ich interessiere mich immer mehr für philosophische Themen.
Das Jagen aus Spaß. Horkheimer, die Dialektik der Aufklärung als Antwort auf Ortega? Ich muß das rausfinden. Geben die Götter mir Zeit und Muße, um all diesen Dingen auf den Grund zu gehen.
Tatsächlich habe ich mir Montaigne gekauft und den Horkheimer bestellt. Ortega mal sehen. Ansonsten habe ich den Bergfleth und den Rudi Rucker. Eigentlich freue ich mich auf die Kur, und wenn ich auf den Geschmack komme, werde ich noch viele Kuren zauberbergen. Ich bin mal gespannt, was ich mache, wenn ich nichts mehr um die Ohren habe.
Ortega gekauft – 160800.

Mit dem Alexander Baier ist es so eine Sache. Ich bin nie mit ihm warm geworden. Er ist wie Caligula. Verschlagen, hinterfotzig und abwartend. Er verlangt, daß man sich durchsetzt. Er ist nie engagiert. Er ist auch immer bedacht, daß er gewürdigt wird. Den einen Abend, wo er mit den squaren Profs da war. Er hält mich für einen viel gefährlicheren Wahnsinnigen als Heimfried. Das ist nur ein Psychopath. Den kann man händeln. Bei mir ist es schon schwieriger. Meine Gedankengänge sind verschlungen, weil ich mich manieriert gebe. Bin ich das denn tatsächlich? Ich halte mich ja eigentlich für stinknormal. Dabei ist diese Vergiftung, der ich in meiner Jugend erlag, viel banaler. Wie bin ich eigentlich so geworden, wie ich bin? Brauerhoch, Steinböck, Bode, Renate Hrachowy, Hiller, Städel, Boris Götz, der mir Mut gegeben hat. Paul Klee, ein Vater, Louis Armstrong der Jazz, Ellington, Silver und Monk, Coltrane, Redding und Parker natürlich. Ist doch egal, berühmt oder nicht, die Hauptsache ist, du hast beim Zuhören einer Nummer Ruhe gefunden. Beim Lesen von E. M. Ciorans Bestätigung und beim Zeichnen und Malen Freiheit und Geschmack des Todes. Nun will ich noch mehr. In Ruhe arbeiten und meine Reminiszenzen aufarbeiten. Dazu Musik und die Kommunikation, die Schwester der Konversation, der Geschwätzigen. Mancher kann auch in der täglichen Verständigung schweigen. Meine Gags zum Beispiel werden selten verstanden. Man kann nicht immer die Lacher auf seiner Seite haben. Aber ein Augurenlächeln täte einem ganz gut. Die Gleichgesinnten finden sich in der Provinz weniger als in der Wüste der Zivilisation. Ich bin der Beduine.
Was ist denn realer als meine Gitarre und die Aufnahme von meinen Hunden?
Ich installiere die Wüste der Großstädte. Und dann torkele ich durch den Samum der Gedanken in meine Nachtruhe, um am anderen Morgen schweißgebadet aufzuwachen. Ist das jetzt der Turkey oder ist es nur Alkoholentzug?
Langsam sehne ich mich nach dem Flash. Sartori, Shamadi ohne Meditation, guter Stoff und eine saubere Nadel, und alles ist klar für den Start in the inner space.
Wohin soll die Reise gehen? Natürlich ins Vakuum. Dort ist der Stoff, aus dem die Träume gemacht werden. Welche Pracht hatte die Diamantschlange, und keiner hat auch nur einen Abglanz davon gemalt. Mir steht das alles noch bevor. Wie kann ich ruhig sterben, wenn ich sie nicht als magisches Zeichen  gebannt habe.
Kein Fluch hält mich davon ab, mein Ende zu träumen.
Flach atmend durchs Tor der unendlichen Zahl zu schreiten und im Strudel der Parameter mein Selbst zu verlieren. Natürlich ist alles vergeblich. Auschwitz, Alterheime oder Bosnien. Das ganze Leid dieser ekelhaften Menschen kommt von ihrem Mitleid. Wenn jemand so durchs Leben leidet, den verstehe ich nicht, warum er um sein Leben kämpft. Alles ist gegeben, nichts ist Bestimmung, nichts ist berechenbar und das Ende banal, wie eine überfahrene Katze auf der Straße. Tot ist tot. Na und? Blödsinn, daß Zuckerkanke an Mousse au chocolat zugrunde gehen! Warum denn nicht! Am ekelhaftesten sind die Politiker und die Lehrer. Sie wollen uns allen etwas fürs Leben mitgeben – diese Arschlöcher! Das sind die wirklichen Zyniker, die wissen, was gut für Menschen ist. Man lernt ja nicht für die Lehrer, nein, fürs Leben.

Norbert Elias geht mir nicht aus dem Kopf. Er hat mir am klarsten gemacht, wie eine Zivilisation sich entwickelt und zu dem wird, was wir heute sind. Keiner denkt mehr an die Leute, die sich die Nase in die Tischdecke schneuzen oder das Messer an der Hose abputzen. Vom Mund und Hosengeruch wollen wir nicht reden. Aber ehrlich, mit der Poesie hapert's ein bißchen in der letzten Zeit. Woran das wohl liegt. Ist ja merkwürdig, daß das alles so totgeschwiegen wird. Dabei gibt es eigentlich keinen berühmten Intellektuellen, der nicht irgend etwas zu sich genommen hat. Ist eigentlich auch egal. Wofür eigentlich? Um den anderen zu imponieren? No, never. Mir kam es eigentlich immer darauf an, mich selbst zu erforschen. Ich wollte den Blick nach innen. Ich suchte Gründe für unser Dasein. Ich konnte nicht fassen, daß das Ganze noch nicht einmal eine Gratishandlung war. Es ist einfach nichts. Es gibt keinen Grund und keine Ursache. Hinter einer Ursache steckt immer ein Ziel und gerade das gibt es nicht. Wenn man nicht Entropie als Ziel bezeichnet. Damit können sich Tiere abfinden, eine bißchen weiter waren Buddha, Christus und Mohamed. Und am Schluß stehst du ganz allein und blickst verwundert auf all die Betriebsamkeit um dich herum, und fragst dich, wofür. Ich glaube, ich habe deshalb die Reproduktion unterbrochen, weil ich wissen wollte. Kinder lenken ab. Man glaubt, man lebt in ihnen weiter. Ich will es wissen. Ich glaube immer noch an den Erkenntnisstand, der über diesen Dingen liegt. Es ist nicht die Frage, ob Zen, Shamadi oder Mystik. Ob Augustinus, Shessu oder Don Juan. Es ist der Weg in die Singularität. 

Es ist nicht der Weg in die Singularität, sondern in etwas, was vorher war und hinterher sein wird, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Ich weiß nicht, was es ist, vielleicht schrecke ich auch davor zurück, es zu benennen. Verstehen werde ich es nicht, weil ich sonst mit meinem Dasein nicht mehr einverstanden bin. Am nächsten kommt mir der Zen. Es ist das Koan, welches mit logischen Mitteln nicht zu knacken ist. Dazwischen liegen all die künstlichen Paradiese. Der Sacro Bosco, die Landschaften der Überdrüssigen. Gedanken über diese Welt macht man sich nur, wenn nichts anderes mehr die tiefbewegte Brust befriedigt. In der Nähe der Erkenntnis ist dichtgepackte Energie, da verzerren sich alle Raumzeitausstülpungen, und übrig bleibt die Mahnung an den Rest, die nicht wissen wollen. Die stehen mit offenen Mäulern in der Villa d'Este oder in der Galerie von Borromini und tun es ab als Spinnerei. So wie sie mich abtun. Mir ist es mittlerweile egal. Der Blick nach innen wird gekrümmt von dem Willen, den letzten Moment bewusst zu erleben. Bevor alles auf niedrigstem Energieniveau zum Schaumteppich des Vakuums gerinnen wird.

Wann fühle ich mich wohl? In solchen Situationen wie jetzt beginnt man wieder Fragen zu stellen. Man wird zu einer Entscheidung gedrängt. Dabei möchte ich mich gar nicht drängen lassen. Der Status quo ist eigentlich angenehm. Jede Entscheidung zieht eine Änderung desselben nach sich. D. h. auch der Lebensumstände. Und so wie ich im Augenblick konditioniert bin, liebe ich die Statik und schaue lieber auf das Treiben des Flusses, als daß ich selber getrieben werde. Ich bin mal gespannt, wie lange das noch gutgeht? Dabei weiß ich genau, aus diesem Verhältnis kommst du nie mehr heraus. Wenn ja, dann muß ich wirklich in Schweiß kommen.

Am anderen Tag nach Naumburg und der Uta unter dem Rock geschaut. Es sind gewisse Parallelen zu Magdeburg, Halberstadt und Quedlinburg. Romanik im teutschen Groove. Perfekte Einfalt. Und immer dazwischen dieser permanente Glaube an die Unfehlbarkeit des Prosperierenden. Da ist Max Weber, der Geist des Kapitalismus und die protestantische Ethik schon angelegt. Calvin und Zwingli. Ich bewundere alle Kunst, aber wenn dem schon so ist, bewundere ich die französische Gotik, weil sie aus einer kollektiven Woge heraus den angehäuften Mehrwert in ein steinernes Gebirge der Demut verwandelte.
Von dort nach Chemnitz.
Im Chemnitzer Hof, einem aus den Dreißigern übriggebliebenen Wunder an Geschmack und Proportion, übernachtet. Die Karte war phantasielos. Das Essen Durchschnitt. Obwohl in der Küche Stockschwämmchen und frische Täublinge verwendet wurden, machte es nichts her. Die Salatgarnitur war nicht abgeschmeckt, das Forellenfilet auf einen viel zu kleinen Teller hingequetscht. Und über das Dessert ...
K.O. Götz Ausstellung.

Am anderen Tag ins Erzgebirge bis nach Oberwiesenthal und Obernhau und von dort nach Dresden ins Mercure. Am Freitag in die Sempergalerie und Grüne Gewölbe, das moderne Museum im Albertinum. Die Räume des Grünen Gewölbes! Am Abend um halb 5 Uhr noch schnell eine Bratwurst mit Kartoffelsalat gegessen und um 5 Uhr brumm brumm in Richtung Heimat.

Am Sonntag eine Karte für das Konzert von Betty Carter geschenkt bekommen und nix wie hin. Sie war phantastisch. Sie hat " Sometimes I'm happy, sometimes I'm blue" und "Stardust", "Memories of you" angesungen und mit anderen Songs vermischt. Sie hat einen rasenden scat gebracht und soulful gesungen. Die Intonierung war richtig, bloß nicht an der richtigen Stelle, daher klangen die changes teilweise very strange oder sie, wie man will. Unterstützt wurde sie durch die elegante und einfühlsame Pianistin Geri Allen, Dave Holland und Jacky Dejonette. Eine Verzerrung und ihre Schnörkel wieder interpretierbar, so daß teilweise neue Songs entstanden wie bei Charly Parker praktiziert. Ein schöner Abend.

Am Dienstag bin ich losgefahren. Ich war in Bad Frankenhausen und hab mir den Tübke angesehen. Das Gebäude ist wie Gasanstalt. Es ist dem Pantheon nachempfunden. Aber unproportioniert. Links dieser Wachturm. Es hat mich nicht befriedigt. Die Geschichte vom Tübke ist sehr anschaulich und beschreibt die Schrecken und das Unrecht des Bauernkriegs in vordergründig naiver Weise. Natürlich hat er eine tiefgründige Ikonographie, die man studieren muß. Er ist ein recht einfallsreicher sozialistischer Künstler mit einer an den alten Meistern geschulten Technik. Aber so wie das Äußere, so auch das Innere. Dagegen die Schrecken des Krieges von Goya. Wie menschlich, wie erschütternd. Tübke erinnert mich an die alten Panoptiken der Jahrmärkte, in denen die erschröckliche Geschichte des Bauernkrieges in einzelnen Bildern erzählt und kommentiert wird.
Beiläufig fiel mir ein, wie man die Umgebung dieser Anlage gestalten könnte. So eine Art Schlackenskulptur mit aus der Erde ragenden Händen, Gliedmaßen, zerbrochene Troßwagen, dazwischen Verwundete und Landsknechte, die die Gefangenen niedermetzeln, der verzweifelte Kampf egal in welcher Art, ob Kienholz oder wie oben. Eine Anlage mit Rastplätzen, auf denen man Picknick machen kann, und dieser Platz ist mit den Schrecknissen des Krieges gestaltet.
Das Thema, welches oben angeschnitten wurde, hängt eng mit dem Gesamtkunstwerk zusammen. Ein Gesamtkunstwerk umfaßt ja alle Sinne, und zu denen gehört, wenn es auch bisher stiefmütterlich behandelt wurde, Schmecken und Riechen. Und das ist es eigentlich, womit wir die Leute auch überfordern. Sie wollen ihre Sinne nicht anstrengen. Für den Menschen beschränkten Sinnes ist es eine Qual, alles zu genießen. Dazu gehört ja auch ein immenses Wissen. Man muß das ja alles, was man isst, in Gerüche und Geschmack identifizieren. Dazu benötigt man Basiswissen, welches vielen Mitmenschen immer fremd blieb, weil die Entfernung von der Natur nicht nur eine räumliche, sondern auch zeitlich zu sehen ist. D.h. heutiges Wissen um Geschmack und Geruch erwirbt man einmal, indem man bewusst exkursiv lebt, oder indem man es in natürlichem Umfeld, z. B. Landwirtschaft, Kochberuf, Duftdesigner etc. erlernt.

Das Train bleu war ein Anfang in diese Richtung. Aber eigentlich geht es in die Richtung Ankunft, Umkleiden, Verkleiden, Entkleiden, mit der Garderobe das alte Leben abgeben. Dann eine Cocktail-Lounge. Man versucht sein Gegenüber in dieser fremden Umgebung neu zu beurteilen. Neu einzustufen. Mit dem Aperitif werden kleine Frivolitäten als Einstimmung gereicht. So viel muß übrig bleiben, daß ich mir noch mal eine richtige Klappermaschine mit anständiger Software und Peripherie anschaffen kann. Wenn ich hier rausgehe, habe ich den Schlepptop und den 486er. Das reicht ja vorerst.

Warum soll man's denn nicht wagen. Ein Menu à la Italienne.
1. Pasta
2. Fisch oder Geflügel
3. Gemüse
4. Fleisch mit wenigen ausgesuchten Beilagen.
5. Kompott
6. Käse
7. Baklawa und Türkisch Mokka
das bringt doch mal ein wenig Abwechslung in die Geschichte.
Oder ein Menu ostasiatisch inspiriert
1. Dim Sum
2. Gebackenes Gemüse im Ausbackteig mit verschiedenen Saucen
3. Obst frisch oder mariniert
4. Fisch in würzig scharfer Sauce
5. Tofu oder Schafskäse in Olivenöl
6. Schweinefleisch in geschmortem Lauch
7. Stracciatelle mit Salsa verde
8. Jasmin Tee, Früchtereis mit kandiertem Ingwer

Da kann man ein griechisches Menu machen oder eines nach der Art von Marcel Proust. Ich muß mir doch die Bücher von George Sand kaufen und die anderen, da steckt so viel Poesie drin. Wie im Park von Giverny. Alles Licht und Reflexion. Am Parkplatz ein achtlos hingeworfener Korken von Laurent-Perrier, Demi bouteille, Brut, selber getrunken und nach einem Jahr wiedergefunden. Eine Feier, als wenn man seine Jugend entdeckt. Die Kapuzinerkresse als Flächendecker und Rosen und der Lotos im Teich, nur noch Licht wie in der Orangerie. Man ist verwirrt von seinen Farben und bewundert die Magie von stumpfen Werkzeugen, die solch einen Glanz hervorrufen. Bei Hagemeister bekommt all dies schon eine Form. Die Blätter und die Libelle. Bei Monet und auch Rousseau, Theodore, da ist alles wirr und verfilzt und doch, mit dem Abstand gewann die Form die Überhand. Ich träume von einem Bild, das auf Abstand etwas ergibt und in der Nähe seine Kobolde zeigt. So langsam komme ich dahinter. Es ist dieser Typ in Recklinghausen, der Name fällt mir noch ein, der mich nachhaltig beeinflußt hat. So ein schrecklich kurzer und endgültiger Name: Dado.

Ein Geschmack von Verwesung
Über Geschmack kann streiten, besser ist es aber, wenn man darüber redet, da kann man doch so viel Subjektives einbringen. Natürlich nur Feinsinnliches – Arschloch, Linkswichser, Motherfucker sind verpönt. Das ist wie Schrödingers Katze: Denkt man nicht daran, ist sie weder tot noch lebendig. So ist's mit allem, was nicht ins Weltbild passt. Sogar den Tod kann man verdrängen, aber eben  nur verdrängen. Wenn man Wasser in die Lungen bekommt und dieser beklemmende Moment, wo man nicht atmen kann und das Herz noch schlägt. Jetzt hört es auf und sehnsüchtig wartet man auf die Sauerstoffeuphorie. Da ist alles leicht, nur die Farben stimmen einen mißtrauisch. Da ein Blitzen und dort eine Erinnerung an Schönes und Unangenehmes und zum Schluß treibt man in den Wassern der Lethe bereit zum ewigen Vergessen. Das Aufbäumen gegen dieses ewige Versinken im Wellenrauschen ist ein kurzes Entlanggleiten auf der Zeitschiene. Die Universalie manifestiert sich im Irrtum des Kohlenstoffs, und du willst immer noch nicht sterben. Du wehrst Dich gegen die Entropie durch eine Datenkomprimierung, nun erfährst du dein ganzes Leben und daß du, Irrtum eines Elementes im Wellenrauschen, deine wahre Existenz erkennst - Interferenz eines Partikels, das verdammt ist, mit den Ausdünstungen anderer Zeiten ein kollektive Verzwilchung zu führen. Da ist keiner mehr Mittelpunkt des Universum, er ist überall und keiner hört ihm zu. Er will erkennen und erkennt nur, daß nichts davon sich mit logischen Mitteln aufbrechen läßt. Koan, Shamadi, Sartori – nichts, sei froh über jede jede Sekunde deines Daseins. Eine Blüte, Maizwiebeln mit Tafelspitz, sich morgens an der Pflaume spielen – all das ist konkreter, als was der Tod uns bietet.


8.5.97
Heute Abend mit Birgit nach dem Essen zusammengesessen und geredet. Sie hat auf ihr Fernsehen verzichtet. Ich komme mir richtig interessant vor. Wenn jemand auf dieser Welt jemand anderen, auch wenn er ihm sehr nahe ist, vom Verkonsumieren, sprich Fernsehen, abhalten kann. Damit habe ich eigentlich den Sinn für dieses Leben erfüllt.
Neben diesen Gedanken kamen wir durch das Sprengel-Museum auf Kokoschka, Beckmann, Brüning und Nolde zu sprechen. Wenn man sich jemandem erklären muß, muß man auch Farbe bekennen, vor allem Birgit, die mir immer gut zuhört.

Es gibt zwei Dinge im Denken bei mir.
Erstens, wenn meine Phantasie mit mir durchgeht. Dann erfinde ich die wildesten Kombinationen.
Widersprüchliches bringe ich unter einem Hut. Ich steuere mit Hilfe eines Attraktors das Zentrum des Nichtwissens an, um mich darin zu verlieren. Dort, nur dort kann ich alles Wirklichkeit werden lassen, was sich mein wissensdurstiges Hirn wünscht. The black hole. 
Dort, nur dort wird alles und ist gleich wieder Vergangenheit.
Es ist nicht alles gleichzeitig.
Jedes Schicksal läuft in der Singularität einem Zeitpfeil nach. Die Folgen davon sind aufgehoben durch Polarisation der Zeitwellen. Eine einzelne Träne verändert den Ozean.

Was hilft das alles, wenn keiner da ist, der es statistisch begreift.
Tristan und Isolde, es sind die Mischfarben – in denen alles enthalten ist, die ihre Bilder zum Glühen bringen.
Es ist wie ein Genie, leuchtet inmitten des Mittelmäßigen.
Aber, Michelangelo oder Bellmer, Klee oder Pontormo. Fremde Universen.
Wie sagt man in Tashilhunpo? Sphären, die ineinander komplexe Figuren bilden, sind immer noch sie selber.
Sie verändern ihre Struktur und haben kein Gedächtnis. Ihr Weg ist der Zufall und ihr Wunsch ist, von der Insel der Ordnung in dem Chaos aufzugehen, von dem sie stammen.
Ich glaube, die Systematik, die Analyse ist der größte Irrtum. Die Analyse ist eine Krücke zum Weltverständnis. 

Jetzt habe ich zwei Computer, einen alten und einen schnellen. Ob mich das weiterbringt, bezweifle ich. Ich bin Oblomow. Projekte und Welten, Universen und Fluchtlinien. Eskapismus bis zum Ende, und dann ist nicht die Frage über den Nutzen, sondern wie man dieses Puzzle zusammengelegt hat. Je vollständiger das Bild, umso glücklicher das Ende. Ob ich im Arm meiner Frau sterbe oder in einer Kirche, ändert nichts an der Tatsache, daß ich sterben muß. Beide liebe ich und beides wird mich zur Konzentration meiner Mikrosicht befähigen und die Reinkarnation in meinen Zeichnungen bewerkstelligen. Es sind die Kraftlinien meiner Striche, die meiner Malerei die Struktur geben, die mich befähigen, im Bindu die Möglichkeiten zu sehen, die Kraft, die ihn zum Universum aufblühen läßt aus einer psychischen Konstellation. Kraftmetall. Energieknatsch.

Ich bin mal gespannt. Ich werde mich beobachten, wie ich mich beobachtet habe beim Orgasmus. Ich habe noch nicht herausgekriegt, wo es herkommt. Es ist ein rhythmisches Ziehen in den Lenden, es kommt vom Kopf. Aber es zieht sich an der Seite durch die Hüfte in die Testikel. Es ist schön. Wenn es vorbei ist. Kann man träumen. von Verbotenem, ja vom Weiterleben im gezeugten Kind. Es sind Träume, die eigentlich vorbei sind. Und ich weiß wirklich nicht, ob ich es will.

Die Texte von Wittgenstein und Eco in eine Tabelle für zwei. In der zweiten Spalte folgende Erklärung:

Ich mißtraue der Idylle. Noch habe ich es gut. Aber ich bin mir noch nicht sicher, ob es so bleibt. Ich wünsche es, Birgit, daß wir bis zum Ende so glücklich sind. Ich genieße das Leben, als wenn es die letzte Stunde wäre. Jetzt werde ich bald schlafen gehen. Ich werde Bilder sehen, die ich nicht malen kann oder die so kompliziert sind, daß ich sie nicht realisieren kann. Aber trotzdem ich werde es versuchen.

Dieser Eco ist ein kluger Kopf. Er ist so witzig und spirituell. Irgendwie ist er mit der Erkenntnis von Cioran ausgestattet, aber er ist in seinem Sprachausdruck enternstet. Er stellt alles in Frage, um so mehr seine Verzweiflung über den Sinn dieser Welt im Hintergrund herumspuken zu lassen.
Wittgenstein ist Lyriker. Er suchte die umfassende Theorie. Präzision in der Beschreibung des Alltäglichen. Er wollte alles verstehen, ohne sich emotional zu engagieren,  so was muß in die Hose gehen. Der Mystik verweigerte sich sein entarteter Verstand. Er wollte die Grenze der Determination überschreiten. Er verstand nicht, daß die Anal-lyse  die Geisteskrankheit des Europäers ist. Eigentlich bleibt einem nur noch, sich in die Hölle eines abstrusen Idylls zurückzuziehen; und ab und an den Lockungen von Circe nachzugeben. Dann wird man in ein Schwein oder einen Menschen verwandelt und darf den atavistischen Gelüsten des Nachdenkens über den Sinn des Lebens frönen.
 
Fremder Glauben hat nur eine Chance, wenn der eigene tot ist. Was helfen Sant' Andrea della Valle, Il Gesù oder Santa Maria Maggiore – nur die Inspiration des Hl. Geistes hilft gegen Häresie. Oh Sant Antonio, dein Traum vom Weltfrieden in Ehren, aber was wär's ohne den Widersacher. Diese Arschlöcher von kleinbürgerlicher Herkunft. Die Langweiligenträume von Kleinbürgeraussteigern wie Meinhof und Baader. Oh diese Thesen, die uns verführten, diese Phrasen, die uns motivierten. Für'n Arsch. Die Mitläufer wurden Verkaufsleiter, Verlagsleiter, Betriebsleiter, Arschleiter. Ich selber Versagerleiter. Einer, der immer aufs Minus setzt. Und immer gewinnt. Nur der, der das kleine Minus erkennt, kommt aus dem Kreislauf des Wissens, kommt vergeblich, wie immer, im Nowhere an. Die Zeit – nichts ist weniger, als wenn man sich nicht erinnern kann. Nichts ist weniger, als wenn man sich nicht erinnern will. Zwei Möglichkeiten und keine Alternative. Wenn Alternative, die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Der Wahrscheinlichkeitsrechnung nach ist es egal, was man wählt oder ob man wählt. Der Mensch aber glaubt, er ist das Schicksal. Kismet - deduktiv -

Erst verlor er seine anorganische Unschuld.
Organische Chemie – wie ekelhaft. Zitronensäurezyklus – Enzyme – Fermente – Saliyclsäure-Abkömmlinge. Sekrete einer Jungfrau. Grenouille – gefragt ist dieser schmale Grat zwischen Stinken und Duften. Dieser schmale Grat, auf dem nur Profis tänzeln. Wir wollen nicht über Düfte reden.

Dann verlor er seine Identität
er selber, wer  –
Dann verlor er sein Bewußstsein

Nicht wissen
nicht sein
nicht.
Identität
Der große Gong
wie bei den Cham

Das große Arschlecken, wie beim Steuerzahlen.
Der große Ekel bei den Berufen mit schlechtem Karma – Steuerprüfer, Gerichtsvollzieher, Polizysten, Steuerfahndung und ähnliches Gelichter, hinter dem sich das primitive Gelichter der Untermenschen verbirgt.
Und ich selber, warum bewundere ich Alexander VI., Julius II., Paul V., Sixtus X., Urban VIII.?
Ich bewundere sie, weil sie ihre Macht in den Dienst der Schönheit stellten, wobei Schönheit nicht nur Borromini, Bernini, Raffael, Michelangelo bedeuten – der Namen ohne Zahl, sie bauten die Schöpfung nach und wollten sie schöner machen als Gott.
Ihr findet das vermessen, ihr Krämerseelen, ihr geistigen Kleinrentner. Dabei sind Kathedralen – der steingewordene Mehrwert – nichts als das Opfer des Kofmichs an den Profit.
Warum soll ich denn nicht mal die moralischen Werte in Frage stellen? Ich habe mein ganzes Leben gefragt, ohne daß ich eine Antwort erwartete. Keine Religion der Welt gab mir Trost zu dieser Erkenntnis.

Circe
Heute Abend während der Dämmerung,
Da sangen die Vöglein so schön.
Listen to the birds.
Wem Gott wohlgesonnen ist, dem schickt er interessante Riffs.

Wenn einen irgendeine Verwaltung ärgert, und man ärgert sie ein bißchen zurück, so ist das ein kurzfristiger Triumph. Diesen Moloch bewegt keiner. Organisationsstrukturen sind statisch und inhuman, obwohl sie für den Menschen gemacht wurden. Es ist wie mit dem Zentralnervensystem. Mit der Zunahme der Neuronen organisiert sich ein Plateau nach dem anderen. Diese Plateaus sind notwendigerweise vernetzt und doch autonom. Dadurch entstehen Differenzen im Entscheidungsprozess, die mit ihrer Verzögerung dem Allgemeinwohl dienen, für das Individuum aber eine Unterordnung unter ein System bedeuten, welches den Grundbedürfnissen einer selbstverantwortlichen Einheit zuwiderläuft. Und darum hasse ich Banker, Politiker, Gerichtsvollzieher, Betriebsprüfer, Ordnungsamt, eben alles, was mir die Zeit raubt, diese Welt in ihrer Schönheit zu betrachten und Bilder, Melodien zu schöpfen, Gedichte zu machen, Lyrik als Grundgesetz zu postulieren. Diese Welt hat nur Sinn für den, der nach den Gesetzen lebt. Für Banker, Politiker, Gerichtsvollzieher, Betriebsprüfer, Ordnungsamt, usw. Ich habe mich immer als Fremdkörper betrachtet und mein Leben macht nur Sinn in der Verausgabung.

Ich muß langsam aufpassen, damit ich nicht auftauche in dem, wo so viele untergegangen sind. Die Schlafdrogen und so. Es ist zum Kotzen mit mir. Auf jedes Pendel folgt das Gegenpendel. Darum interessiert mich auch Eco so, wg. Pendelschlag. Wir haben alle eine Wellenlänge. Piech und Wittgenstein eine Wichse. Beide unangenehm, weil sie immer recht haben.

Ich bin müde und nun gehe ich schlafen. Wie so oft. Ich glaube, ich werde erst Ruhe finden, wenn ich den Arsch zukneife. Eigentlich mache ich alles für Birgit, vor allem die Askese. Sie ist ja so ein pietistischer Asket. Das sind sie alle. Verständlich, daß sie Schwierigkeiten mit mir, dem Hedonisten, haben. Bei ihnen ist alles Beherrschung, weil sie ihr Alter Ego fürchten. Ich liebe meines, bringt es mir doch Genuß. Ich könnte den ganzen Tag fressen, saufen, vor allem lesen. Diese unersättliche Informationssucht ist doch nur eine Ausflucht, weil ich nicht immer fressen kann. Und diese Anhäufung von Wissen in meiner Bibliothek ist doch auch nur ein Eskapismus. Weil ich schon seit dem Tod meines Vaters wußte: Es ist alles vergeblich. Als der Engländer mit dem Fuß den erschossenen Polizisten berührte, da wußte ich bereits. Hund, Katze, Vogel, Maus und Insekt. wenn sie tot sind, ist da nichts mehr. Wir wollen die Unsterblichkeit und sind gefangen in unserer Erkenntnis. Diese ganze Naturwissenschaft, alles, was der Mensch unternimmt, ist vergeblich angesichts der Tatsache, daß wenn man geboren wird, einem das Ende schon vorgegeben ist. Das ist doch entmutigend. Da hilft einem keine Erkenntnis oder Flucht. Einfach schön sein wie eine Blume, einfach sein Ego entfalten, Prometheus und der Adler. Dieser Mensch ist ein Phänomen. Ich muß sagen, ich fürchte mich vor ihm.

Die Poesie des Weins. die Landschaft, die Jahreszeit, ein Menschenleben. Der Kork, diese poröse Rinde, gibt ihm die Möglichkeit zum Erfinden von neuen Gerüchen und Bouquets. Die Gewürze, die Kräuter, die Kombinationen – wer ahnt es schon! Die gehen in geheiligte Stätten, den heiligen Hain eines Restaurants, wo ein Hohepriester mit Weihrauch und Salböl die Zeremonie vorbereitet?
In den Katakomben werden rätselvolle Mixturen zu Speisen für überirdischem Genuß zubereitet. Wie Hephaistos die Waffen für die Götter schmiedet. Dabei fließt Schweiß, dieser Ausfluß der Konzentration auf das Machbare, draußen eine gläubige Gemeinde, die die Offenbarungen des Orakels, dieser geheimnisvollen Aufbereitung einer Emanation der Neuronen erwartet, wilde Gerüche, Parfums, Haute Couture, zierliche Schuhe, bereit, sich zu öffnen für die Münzen Jupiters. Minze, stark, und Oregano, herb und süß wie der Gerüche einer Jungfrau. Einhörner und Chamäleons ...

Ich bin froh, daß ich schon so viel hinter mir gelassen habe, jetzt kann ich mich auf das Eigentliche konzentrieren. Auf dieses Dasein, nicht den Grund zu finden, sondern die Vielfalt zu erkennen. Nicht vervielfältigen, sondern abtauchen in die Dimension, in der alles gleichzeitig ist. Da gibt es keinen Grund und keine Ursache. Dieses Elend in dieser Welt kommt von den Fragen, die sich auftun, wenn sich alles voneinander trennt.
Dabei fühle ich mich wohl in dieser Welt und genieße sie.
Es entspricht ja alles den Gesetzen des Zufalls.
Die Kombinationen entstehen ohne einen moralischen Stellenwert.

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