22.10.1965 - 1967

auferlegten Studien und dem Üben auf dem Instrument ab. Ideen, wie sinnvoll Geld zu verdienen wäre, bleiben unverwirklicht.  Reinhardt beschäftigt sich mit dem Studieren anderer Maler als Vorbilder, mit dem Bauhaus, mit Schriften von Paul Klee und Albrecht Dürer, Ludwig Wittgenstein, mit diversen fernöstlichen Philosophien und versucht sich im Kopieren von Malstilen. Dabei sucht er jedoch stets seinen eigenen Stil weiterzuentwickeln, wie sich in zahlreichen, Skizzen und einzelnen Zeichnungen ablesen lässt. Eingestreut zwischen seine Gedanken, Träume und Erlebnisse, erstrecken sie sich teilweise blockartig über mehrere Seiten hintereinander. Ab Oktober 1967 beginnt fast jeder Eintrag mit einer Zeichnung und den Zahlen des I Ging, aus dem er später sein Logo ableiten wird. In Zeichnungen probiert er Theorien und Berechnungen aus und „übersetzt“ mathematische Probleme in Illustration. Neben der Prosa finden sich neben immer wieder systematische Anweisungen für sein Malstudium, Farbvorgaben und „Regeln“ oder die Darstellung vom Symbolen, Ornamenten, Kombination von Farben oder Linienführungen.


Ich muss in den nächsten Monaten reifen für die Insel.

Konstant arbeiten. Zeiteinteilung. Im Laufe der Zeit habe ich ja konstant dazugelernt.
Das Objekt hat seine Tücken verloren. Es kommt nun auf den Willen an.
Komisch eigentlich, dass das Vögeln nicht mehr recht klappen will. Es gibt da kein Problem mehr. Problematisch ist nun noch das Arbeitsverhältnis, aber auch das ist bald gelöst. Ob ich ohne Ruhe darauf gekommen wäre?
Ich habe Sehen gelernt.
 
Gegenentwicklung. Es ist so schwierig, in dieser Welt zu etwas zu kommen.

Ich muss alles in diesem Buch beschreiben. Es gibt noch so viel Unklares.

22.10.65
Die Träg- und Faulheit muss ein Ende haben. Ich bin begabt, aber ich faulenze und das hängt damit zusammen, dass ich nicht recht an meine Begabung glaube.
Es gibt nur Malen und Musik, diese zwei Tätigkeiten. Also erst. Ich muss es doch schaffen. Auch das Schreiben!! Ich will, daher muss ich ...

10.11.65
Eigentlich ist es kein Wunder, dass dieses Wesen, was ich jetzt bin, sehr unvollkommen ist. Ich habe mir das alles so schön zurechtgelegt.
Es hat ein Ende. Es ist die Vollkommenheit ohne Ziel – Gitarre und Malen.
Musik und Handwerk, denn solches ist das Malen in erster Linie. Mit meiner Intuition alleine vermag ich nichts, wenn nur die Mittel zum Ausdruck fehlen. Die fehlenden Mittel und der Unsicherheitsfaktor in der Begabung, denn die technische Ausarbeitung ist auch ein Maßstab.
Ich muss mich dazu zwingen, (...) das Maß der Fülle ist so weit angestiegen, das ich mir die  Mittel zum Ausdruck aneignen will und zwar auf kürzestem Wege. Alles muss niemals gleich getan werden, dann ist auch ein Fortschritt da. Kein Zwang, sondern Wunsch, Zeit ist da. Ich verspüre den Wunsch, meine Zeit auszufüllen. Stark genug bin ich.

WR_11_1965
12.11.65
Heute wieder zwei Std. üben. Gestern Abend war schon gut.
Im Zeichnen vor allem Schattenübungen. Kopieren, Figurzeichnen.
Wo in was unterscheidet sich der Gammler vom Bürger?
Immer wenn ich Zeit habe, schreiben. Oder malen, wirklich die Zeit ausfüllen. Und sich auf die augenblickliche Fähigkeit konzentrieren.
Die Gefahr ist immer, vom Unwesentlichem abgelenkt zu werden, und diese Vielfalt bringt einen aus dem Konzept.

Gestern Abend, das war wirklich schön. Frisch gewaschen an die Arbeit, welch ein Segen. Man sollte sich nach Abschluss jeder Tätigkeit waschen, um damit zu demonstrieren, dass etwas Neues beginnt.
In diesem Sinne ist die Handlungsweise der Moslems verständlich: Es heißt nichts anderes als „Was du tust, das tue gut.“ Dann ist man zufrieden.
Wenn ich zu Julius gehe, dann nie ohne Buch. Diese zwei Bücher werden immer um mich sein. Dort muss alles stehen, was man lernen kann auf dem Gebiete  der Musik. In diesem Buch muss stehen, was zu lernen ist vom Leben, Malen und Schreiben und Denken. Gedanken zur Malerei, Motive und Übungen, Monotypie ausarbeiten, auch kopieren unter der Glasplatte.

Über die anderen Tätigkeiten musst du nie den wesentlichen Teil vergessen. Musik + Malen, wichtige Tätigkeit
Verbreitung wird kein Opfer.

Meine unendliche Gier nach Nahrung und Genussmitteln ist nicht gut. Eigentlich müsste es doch schön sein, dünn zu sein und weniger zu rauchen!

10.1.66
Demnächst werde ich beginnen, Schmuck zu machen. Emaillearbeiten.
Erst mal versuchen, ich muss dann auch malen, meine Konzeption beginnt sich im Kopf herauszuschälen.

11.1.66
Heute sah ich einen Jungen, so 4-5 Jahre alt, der mit seiner Mutter über die Theresienstraße lief. In diesem Alter sind die Kinder impulsiv und unfolgsam. Sie gehen mit der Mutter in die Stadt, weil es da soviel Aufregendes zu sehen gibt. Und sind darüber verwundert, dass die Mutter überhaupt nichts Aufregendes sieht. Sie betrachten die Pfütze oder den alten Mann ohne Pathos nur, weil hier etwas ist, was sich aus der Menge des Geschiebes heraushebt.
Komisch, dass die Erwachsenen so beschäftigt sind.
Die Mutter zieht das Kind mit sich. Es ist eine Last. Der Junge sucht sich wieder was anderes und wird wieder weg gezogen. All diese Dinge vermögen nicht, die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zu ziehen. Die falsch verstandene Psychologie der Amerikaner...

Aufsatz über das Sehen.

Es ist das, was uns an Maschinen von Tinguely und Haese oder Calder fasziniert, es ist die wirkliche Begründung  der Pop Art, weil sie in uns Erinnerungen wachruft, als wir Kinder waren. Hier können wir ohne von der Mutter gezogen zu werden Dinge behandeln, die uns  berühren.
Schade, dass wir so wenige dieser Dinge unterwegs sehen. Alles war schön. War hässlich und schön.

Grundregeln der Malerei

1. den Lebensatem wiedergeben; das heißt Bewegung schaffen.
2. das Knochengerüst finden; das heißt, den Pinsel richtig zu gebrauchen.
3. Gegenstände wiedergeben; das heißt Formen bestimmen.
4. Achtung haben vor dem Modell; das heißt die Farben richtig anbringen.
5. die Zeichnung  anzeigen; das heißt die richtige Verteilung der Bildelemente.
6. Übertragen und Fortsetzen; das heißt alle Werke kopieren.

20.1.66
Meine derzeitige Verfassung ist wieder einmal nicht die beste.
Zwar habe ich begriffen, dass man alles, was man tut, wirklich und ganz tun soll. Ich befürchte bloß, dass ich den schnellen Erfolg will und meinem Blick vom Wesentlichen richte. Wenn ich untätig bin, dann überkommt mich die Unruhe. Gehe ich einer Tätigkeit nach und es gelingt mir nicht beim ersten Anlauf, werde ich ungeduldig und mutlos. Es ist um den Glauben an sich selbst schlecht bestellt. Dies ist eine Äußerung, die sich auf alle Bereiche erstreckt.
Nun bin ich 33 Jahre alt und bin nicht minder verzweifelt als zu Beginn, und es ist kein Ende  abzusehen.
Vor mir liegen Berge der Übungen zur Weisheit und Sehen, aber meine Diligenz ist äußerlich und ich schelte mit mir selbst. Es liegt an niemandem, nur an mir selbst. Ich zermürbe mich und weiß, dass es nicht gut ist. Einen Zipfel zur Freiheit erlangen, die mich beflügelte.

15.2.66
Es ist erstaunlich, wie doch selbstverständliche Erkenntnisse immer wieder neu erarbeitet werden müssen. Es gibt einen Haufen Sprüchlein dafür und ich bin so lächerlich, dass ich das nie begreife.     
Mir geht es ähnlich wie jenem blöden Gott. Mir fallen die Sachen durch meine Begabung nur so zu und damit glaube ich, genug getan zu haben.
Dann wieder etwas Neues und noch was, aber zur Tiefe hat es nur in wenigen Fällen ausgereicht, vor allem weil ich bei der geringsten Schwierigkeit aufgegeben habe. Ich bin zu leichtsinnig und bisher nur zu sporadischer, nicht aber zu kontinuierlicher Tätigkeit fähig gewesen. Daher habe  ich mich auch bisher immer geschämt, längere Geschichten zu schreiben, weil das fortgesetzte Arbeit bedeutet.
Darin liegt der Wurm.
Ich bin einer von jenen, die gerne und leicht Erfolg haben und dafür gibt es keine Entschuldigung.
Ich muss hart und eisern sein und nur noch arbeiten. Es lohnt sich bestimmt.

7.3.66
Kontinuierlich arbeiten, ich muss meinen Bildern eine Grundlage geben. Vorzeichnen und vor allem wieder skizzieren und kopieren, damit die Technik besser wird.

11.10.66
Manchmal könnte ich an mir verzweifeln. Es ist so schwierig zu werden.
Immer diese verfluchte Nachgiebigkeit sich selbst gegenüber. Aber über andere lästern. Nichts gegen Spaß. Aber man bekämpft die Hinterfurzigkeit und begeht Rufmorde. Warum rede ich so viel und handele so wenig und entsprechend. Wenn ich mich so betrachte, habe ich keinen Mut, auch nur ein Wort über andere zu verlieren, weil ich selbst ein Jammerlappen bin. Dabei will ich kein Wort über mein nicht Erreichtes verlieren, aber ich kämpfe einen fast vergeblichen Kampf gegen mich selbst. Es muss sich mit mir sehr bald  alles oder vieles ändern, sonst wird’s nie was. Ich bin ärgerlich und traurig über mich selbst. Ich könnte mich ankotzen.

17.10.66
Jetzt im Augenblick glaube ich, meinen eigenen Stil gefunden zu haben. Das alles hängt auch mit Wohnen zusammen.
Die Malerei bekommt erst dann wieder einen echten Sinn, wenn die Wohnung oder das Wohnen sich vergeistigt. Der Europäer wohnt einfach ungünstig. Der einzige, den ich kenne, der einigermaßen vergeistigt wohnt, ist Max. Selbst bei Gerlach ist noch zuviel an Gegenständen.
Beim Julius ist vollends alles Technik und Ausstellung, er hat keinen Stil.

Man sollte sich beim Wohnen nur auf die wesentlichen Gegenstände beschränken. Die Leichtigkeit des japanischen Wohnhauses erzieht den Menschen zum Nachdenken. Das Wohnen mit Gegenständen, die man selbst gemacht hat, Binsensitze und Lampions, Bücher und Instrumente müssen ein harmonisches Ganzes sein, was bin ich froh, dass ich mir nur Holzinstrumente ausgewählt habe. Mit dem großen Bass ist auch die Posaune erledigt.
Ich freue mich auf das Instrument und liebe es jetzt schon. Auch wenn’s mich viel Mühe kosten wird.

26.3.67Walter Reinhardt
Ich muss mich daran gewöhnen, jeden Tag wenigstens etwas zu malen. Am besten in Tagebuchform und Collage, auch wenn man noch so müde ist.
Ebenso muss ich die mir liebsten Symbole feststellen und in x-facher Ausfertigung zeichnen, wie Beardsley.















24.4.67Walter Reinhardt Tagebuch 1967
Wenn ich mir alles recht überlege, ist noch kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, vorhanden. Zumal ich mein Instrument recht jämmerlich beherrsche und du hast mal wieder Angst vor der Zukunft.

23.9.67
1. Experimente mit der Kugel
2. zerlaufendes Filigran
Mandala rot-schwarz-gold

Monotypien nach klass. Vorbild, wie Kirchners Selbstbildnis im Morphiumrausch.
Großflächige Ornamente. Unterbrechungen etc. in Form und Farbe.

Bauhaus!
1) Nach Klee arbeiten. Systematisch morphologisch zeichnen.
2) Aufbauen von Einzellern bis zum Menschen und dessen Organen. Dürers Buch der Messungen.
3) Figurales Zeichnen in Kreisen, Dreiecken, Wellen.

4.10.67Walter Reinhardt Tagebuch 1967
Fuchs. Monotypien mit klass. Vorbild wie Kirchners Selbstbildnis im Morphiumrausch
Großflächige Ornamente
Unterbrechung etc.
1-Format Farbe


11.10.67
(A…) is back in town.
Was so ein paar Monate aus einem Menschen machen können.
Seit dem Ersten bin ich nun frei und so langsam muss ich wieder eine neue Ordnung schaffen. Dabei überlege ich immer: Muss das sein? Ordnung heißt im Grunde schaffen und schöpfen. Aber das bedeutet wieder, dass man Wert auf die Außenwelt legt, da man entsprechend beachtet wird etc. ...
Lässt man sich gehen, dann kommt man an den Punkt, wo man nur noch auf den Tod wartet, und bin noch nicht so weit. Der Mittelweg ist der der Hippies und Gammler, es ist dies der Kompromiss zwischen dem einen und anderen. Möglicherweise ...
Mit anderen Worten, ich suche eine Entschuldigung für meine Faulheit. Finden lässt sich auf jeden Fall etwas, und wenn es der Ausweg mit dem Zu-Ende-denken ist. Aber unterliege ich da nicht einer Selbsttäuschung? Ist der Mensch nicht deshalb zu dem geworden, was er ist, indem er sagte: Trotzdem, obwohl er wusste, dass er in einer aussichtslosen Position war und ist?
Man muss an seine Stärke glauben und man ist stark. Lässt man sich durch seine Umgebung hinreißen zu unüberlegtem Handeln, dann ist man schwach. Vielleicht ist es auch nur diese Barriere, die uns von den anderen trennt und die man überwinden muss, um in ein anderes Dasein zu gehen. Irgendwo da in der Nähe liegt Sartori und Samādhi oder auch das Erlebnis der Mystiker.
Bob ist nach Istanbul gefahren.

12.10.67
Ich denke die ganze Zeit über den tibetanischen Spruch bei meinen Meditationen nach. Was ist das eigene Ursprüngliche – denke nicht an das Gute, denke nicht an das Böse, sondern blicke auf das, was im gegenwärtigem Augenblick deine ursprüngliche Physiognomie ist, die du hattest, noch ehe du geboren wurdest.
Wenn ich dies bedenke, komme ich mit meinen Erbanlagen und Einflüssen, mit guten schlichten Taten, die das, was ich bin, ausmachen sollen, nicht mehr weiter. Ich komme mit meinen Gedanken bis zu einem gewissen Punkt, ab dieser Mauer – das ist keine Metapher – brodelt und  lodert es. Farben mit dem hellen Licht, ganz von irgendwoher kommend.

13.10.67 04.30 a.m.
Nachdem ich von einem ausgedehnten Spaziergang zurückgekehrt bin, habe ich wieder – natürlich vorher schon – gesündigt. 5000 Kalorien mindestens. Wo bleibt da der Vorsatz.
Man sollte auf dem Oktoberfest Soul verkaufen, vielleicht mit einer Wandergruppe, genug Zelte und Wohnwagen kaufen und von Stadt zu Stadt ziehen.

24.10.67
Heute im Blow up Eröffnung. Das (ist) interessant, aber nur für Augenblickseinwirkung gerechnet. Ich kann nicht schnell arbeiten.
Walter Reinhardt Tagebuch 1967Walter Reinhardt Tagebuch 1967Walter Reinhardt Tagebuch 1967Walter Reinhardt Tagebuch 1967Walter Reinhardt Tagebuch 1967
24.10.67
Kleine und schnelle Collagen - nach Art v. Cramer und Hartmann (...)
evtl. Tagebuch.
Katalog versuchen.

25.10.67
Nachdem ich nun 25 Tage frei habe und herumgelumpt habe, muss ich wieder etwas zustande bringen, es ist so schwer.

5.11.67
Bauhausausstellungen
Systematisch morphologisch zeichnen.
Dürers Buch der Messungen
Figurales Zeichnen

16.11.67
Macht uns nur etwas mutlos, weil ich keine Ordnung in mein Leben bringen kann?
Nachdem die Wege aufgezeichnet sind, braucht man das alles, was man hat, nicht mehr. Wofür Bücher etc., wenn man doch weiß, wohin es geht.

22.12.67
Läuft denn alles auf ein Ziel hinaus? Aber jeder hat ein eigenes Ziel, und jeder Gedanke hat ein eigenes Ziel. Was soll das? Und wenn man viel denkt, hat man viele Ziele, und wenn man wenig denkt, wenig, wenn man überhaupt denkt.
Verneinung oder Bejahung dieser Welt  – was ist empfehlenswert?
Vergleichsweise Parallelen gibt es nicht, da jede Spezies einzigartig ist. Aber es ist die Frage wieder, ob wie und in welcher Form einzigartig, von der Zelle zur hoch organisierten Zellkolonie ist es ein vergleichsweise kleiner oder großer Schritt, wie vom Element zur Zelle.
Was kommt vor dem Element – und dann sind wir wieder bei der Analytik angelangt. Was ist der Tod? Darum geht es ja letztlich.

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